Glücksdrachenzeit

Autor*in
Zipse, Katrin
ISBN
978-3-7348-8206-7
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
272
Verlag
Magellan
Gattung
Erzählung/RomanTaschenbuch
Ort
Bamberg
Jahr
2019
Lesealter
14-15 Jahre16-17 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
9,00 €
Bewertung
empfehlenswert

Teaser

Mitten in der Nacht verabschiedet sich Nellies großer Bruder von ihr, weil er vor seiner Familie nach Avignon flüchten will. Seinen Eltern hinterlässt er nur einen Abschiedsbrief. Doch Kolja war schon immer Nellies innigste Bezugsperson. Deshalb macht sich die 15-Jährige auch auf den Weg, um ihren Bruder zurückzuholen. Damit beginnt ein abenteuerlicher Road-Trip, auf dem sie außergewöhnlichen Menschen begegnet, die ihr helfen, ihre eigene Familiengeschichte zu verarbeiten.

Beurteilungstext

„Bei uns wird immer nur geschwiegen und geschwiegen und geschwiegen, und keiner redet über die Sachen, die wirklich wichtig sind, auch wenn sie vielleicht wehtun.“ (S. 220) Die 15-jährige Nellie erzählt aus der Ich-Perspektive, was sie über sich selbst lernt und über ihre Familie erfährt, während sie sich auf die Suche nach ihrem großen Bruder nach Südfrankreich begibt.

Kolja, der große Bruder, hat das Gefühl, nicht der Sohn zu sein, den seine Eltern gerne gehabt hätten und verlässt deshalb die Familie. Weil er früher mit einem Freund einmal Cannabis angebaut hatte, ist er von der Schule geflogen und gilt seitdem als schwarzes Schaf in der Familie. Doch für Nellie ist er viel mehr: Er ist ihr Halt, ihre Stütze, ihr Vertrauter - er ersetzt ihr Mutter und Vater, wenn sie nachts vor Angst nicht schlafen kann, wenn ihre Mutter unter Erschöpfungszuständen leidet und ihr Vater sich auf einen Segeltörn absetzt.

Durch Koljas plötzliche Abwesenheit verunsichert, trampt Nellie ebenfalls nach Avignon. Die ersten Mitfahrgelegenheiten stellen sich schnell als Nieten heraus, vermutlich deshalb, weil Nellies Hund Jackson keine pflegeleichte Begleitung darstellt. Als Miss Wedlock sie in ihrem pfefferminzgrünen Oldtimer vor einer kruden Verfolgungsjagd anderer Fahrer rettet, scheint dem Reiseziel nichts mehr im Weg zu stehen. Doch Miss Wedlock, eine rüstige, alte Dame, lebt in ihrer ganz eigenen Welt. Nellie erfährt nach und nach, dass Leni, Miss Wedlocks verstorbene Schwester, als imaginäre Freundin mitreist. Zusammen sind die beiden Schwestern auf der Flucht vor den kleinen Leuten. „Das sind Hirnmonster von Miss Wedlock. Feindselige Fantasiewesen, die bei ihr zu Hause wohnen und sie verfolgen.“ (S. 120) Mit dieser Beschreibung erklärt Nellie später die Situation Elias'. Ihn treffen Nellie und Miss Wedlock an einer Autobahnraststätte. Zwischen Nellie und Elias entwickelt sich sofort eine tiefe Verbundenheit. Elias, der sich vor ein paar Jahren noch in den Oberkörper und die Arme geritzt hat, nun aber selbstbewusst seinen eigenen Weg geht, entfacht in Nellie eine neue Leidenschaft. Sein über den Arm tätowierter Drache verleiht der Erzählung so vermutlich auch seinen Titel.

Zusammen mit Elias verbringt Nellie trotz aller Rahmenbedingungen die wohl wertvollste Zeit in ihrem Leben. Zu dritt setzen sie ihre Reise nach Avignon fort. Nach einiger Suche trifft Nellie dort auf Kolja. Doch statt eines beherzten Wiedersehens erfährt sie, dass ihr großer Bruder ungewollt in eine schwerwiegende Dealerszene geraten ist. Mit dem Rückhalt der Reisegruppe und Miss Wedlocks altem Bekannten Ben, schaffen sie es, die brutalen Machenschaften der Drogendealer aufzudecken.

Die Fahrt in den Süden ist eine klassische Initiationsreise: Nellie wächst über sich selbst hinaus und entwickelt sich in ihrer Persönlichkeit weiter. Ihre Ängste, die sie seit ihrer frühesten Kindheit prägen, werden durch minimalistische, retrospektive Einschübe eingeflochten. Durch die Begegnung mit Nellies Mentoren, Miss Wedlock und Elias, lernt Nellie andere schicksalshafte Geschichten kennen und identifiziert immer wieder kleine Parallelen zu ihrem Leben. Denn so wie Miss Wedlocks kleine Schwester Leni mitreist, wohnt auch in Nellie der früh verstorbene kleine Bruder Jonas weiter. Doch weil die Familie nie über den Tod des dritten Kindes gesprochen hat, muss Nellie den Verlust alleine verarbeiten. Schlussendlich gewinnt sie dazu aber auch Koljas Nähe wieder.

Erzähltechnisch interessant collagiert die Autorin die verschiedenen Handlungsebenen, indem Nellie Jonas immer wieder als direkten Leser ihrer Geschichte adressiert. In einer bewundernswert schlichten Sprache schafft es der Roman, sowohl anthropologische als auch tiefenpsychologische Aspekte anzusprechen.

Mit dieser Taschenbuchausgabe lohnt sich besonders eine Einbindung in unterrichtliche Zusammenhänge. Die Verbindung von Road-Novel, Liebesgeschichte, Fantasy-Roman und Märchen sorgt nicht nur für illustre Unterhaltung, sondern kann auch zur Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Merkmalen von Genres genutzt werden. Durch das in weiten Teilen positiv gestaltete Happy End kann der Roman als Coming-of-Age-Erzählung charakterisiert werden, die besonders durch die vielschichtigen Figuren überzeugt.

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Veröffentlicht am 05.10.2019

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