Future History 2050

Autor*in
Harding, Thomas
ISBN
978-3-96428-057-2
Übersetzer*in
Jacoby, Edmund
Ori. Sprache
Englisch
Illustrator*in
Toperngpong, Florian
Seitenanzahl
191
Verlag
Jacoby & Stuart
Gattung
Buch (gebunden)Erzählung/Roman
Ort
Berlin
Jahr
2020
Lesealter
14-15 Jahre16-17 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
18,00 €
Bewertung
eingeschränkt empfehlenswert

Teaser

Wie sieht die Welt in 30 Jahren aus? Und: Würden wir etwas an unserer Gegenwart ändern, wenn wir eine Nachricht aus der Zukunft erhalten würden, die uns warnt, dass wir auf dem besten Wege sind, uns selbst die Lebensgrundlage zu entziehen? Diese Fragen thematisiert Harding in seinem Roman.

Beurteilungstext

Ein Historiker ("Thomas Harding") recherchiert im Berliner Landesarchiv und macht einen höchst merkwürdigen Fund: Hefte voller handschriftlicher Aufzeichnungen sowie einige Artefakte - Postkarten, Zeitungsartikel u.a. - die aus dem Jahr 2050, also aus der näheren Zukunft zu stammen scheinen. Wie das sein kann, erschließt sich ihm nicht. Da er den Inhalt aber für sehr bedeutsam hält, veröffentlicht er die Notizen unter dem Titel "Geschichtsschreibung der Jahre 2020 bis 2050."
Aufgeschrieben wurden sie von Billy Schmidt, die 2050 fünfzehn Jahre alt ist. Sie hat die Erzählungen ihrer Oma - Großma Nancy - wörtlich protokolliert und mit eigenen Anmerkungen versehen. Da sie sich für Geschichte interessiert, war sie sehr gern bereit, den Berichten der Oma zu lauschen und damit einverstanden, sie aufzuzeichnen.
Nancy erzählt über die globale und lokale wie über die familiäre Geschichte der letzten dreißig Jahre. Über eine Welt, die radikale Veränderungen erfahren hat und über eine Menschheit, der mit Mühe das Überleben gelang. Vor allem, weil es - irgendwann um 2030 herum - zu "The SHOCK" kam, dem globalen Klimakollaps. Dem bisherigen Lebensstil wurde die ökologische, ökonomische und soziale Grundlage entzogen. Dennoch gelang eine Art Neustart. Die Menschen leben nun in "City Towers", riesigen, hermetisch abgeschlossenen Gebäudekomplexen; sie ernähren sich ausschließlich vegan; leben vom AGE - dem Anständigen Grundeinkommen, welches ein solides Auskommen garantiert und werden in der Regel über 100 Jahre alt (auch Nancy ist schon 102). Regiert wird die Welt von den "Ethnarchen", den größten Wirtschaftsbossen, die die Grundzüge des gesellschaftlichen Miteinanders definieren und durchsetzen.
Es ist ein merkwürdiges Dasein, welches dargestellt wird; es ist aber keineswegs völlig utopisch und unglaubwürdig. Die meisten Menschen scheinen sich gut mit dieser Existenz arrangiert zu haben. Wenige Oppositionelle werden von einer Geheimpolizei verfolgt und ruhiggestellt. Zu ihr gehörte Nancys Sohn Quentin, der seit seiner Jugend hauptamtlicher Aktivist war und gegen die Umweltzerstörung ebenso kämpfte wie gegen Kriege und Ungleichheit - bis er im Gefängnis starb, angeblich durch einen Unfall. Seinen alten Freund und Kampfgefährten Benji lernt Billy kennen und ist von ihm fasziniert. Immer mehr stellt sie die Gesellschaftsordnung in Frage; erst recht, als sie erfährt, dass auch Nancy mit der Polizei zusammenarbeitet. Auf nicht näher erläuterte Art und Weise gelingt es Benji, Billys Aufzeichnungen ins Jahr 2020 zurückzuexpedieren - in der Hoffnung, dass die damaligen Menschen die Warnung verstehen und sich zur Rettung der Erde und der Demokratie entschließen.
Hardings Roman stellt entscheidende Fragen zum Umgang der gesamten Menschheit mit der Erde und ihren Ressourcen und zum Verständnis von Freiheit, Demokratie und Verantwortung. Seine Vision ist an vielen Stellen nachvollziehbar. Die Schreckensszenarien des "SHOCK" wurden bereits in den siebziger Jahren vom "Club of Rome" entworfen und werden heute von "Fridays for future" unüberhörbar auf die Straße gebracht. Als Anregung zu Nachdenken und vor allem nachhaltigen Verhalten sind sie zu schätzen.
Literarisch allerdings offenbart das Buch viele Schwächen. Inhaltlich bleibt es sehr schwer zu entscheiden, ob hier eine klassische Dystopie gezeichnet werden soll, oder ob nicht vieles von der dargestellten Zukunft praktikabel wäre. Die entscheidenden politischen Fragestellungen erscheinen verschwommen und nicht klar ausgearbeitet. So erschließt sich zum Beispiel nicht, warum die Ethnarchen-Kaste so viel Wert darauflegt, dass die Geschichte im Orwell´schen Sinne auf eine einzige legitimierte Sicht und Lesart hin "umgedichtet" wird. Wogegen genau Benji opponiert, wird ebenso wenig deutlich. Die vielen umwälzenden Entwicklungen werden nur knapp umrissen, aber nicht einleuchtend auserzählt. Es überwiegt der Eindruck, dass ein Kompendium aller denkbaren relevanten Weltprobleme zusammengetragen wird; dies aber in eher stenografischer Kürze.
Sehr störend ist, dass die Person von Nancy, da sie ja über weite Strecken die Haupterzählerin ist, zwar einigermaßen plastisch wird, Billy, die jugendliche Protagonistin dagegen schattenhaft bleibt und keinerlei Kontur gewinnt. Über ihre Eltern erfährt man gar nichts; ihre Freundin Katia wird an wenigen Stellen knapp erwähnt; wie ihr Leben 2050 aussieht, wird nur sehr vage beschrieben. Auch wer die Freundin Rosemary ist, deren Briefwechsel mit Nancy häufig eingearbeitet wird, bleibt unkonkret. Die Sprache ist häufig trocken und akademisch; die wenigen Dialoge sind hölzern und unglaubwürdig. Abgesehen davon wird eine der wichtigsten dramaturgischen Ideen - das Zurückschicken der Notizen in unsere heutige Zeit - nur mit einem "Deus ex machina"-Trick gelöst.
Sehr schön sind die pseudodokumentarischen Illustrationen von Florian Toperngpong - Postkarten, Briefe, Zeitungsausschnitte, Werbeanzeigen und anderes.
Insgesamt ist es ein Werk, welches viel will und dies aus sehr ehrenwerten Motiven. Literarisch aber überwiegen die Defizite; weshalb auch kaum nachvollziehbar ist, warum das Buch für den "Deutschen Jugendliteraturpreis" 2021 nominiert ist.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von RPKJ; Landesstelle: Rheinland-Pfalz.
Veröffentlicht am 01.04.2021

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