Fürs Leben zu lang

Autor*in
Huppertz, Nikola
ISBN
978-3-86429-570-6
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
160
Verlag
Tulipan
Gattung
Buch (gebunden)Erzählung/Roman
Ort
München
Jahr
2023
Lesealter
12-13 Jahre14-15 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
BüchereiFreizeitlektüreKlassenlektüre
Preis
16,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Magali ist 13 Jahre alt und 1,82 Meter groß, Tendenz steigend. Aber schlimmer noch ist für sie, dass sie noch nie geküsst wurde. In den Osterferien ist sie etwas einsam. Das ändert sich, als der alte Herr Krekeler beschlossen hat zu sterben und deshalb seine zahlreiche Familie eingeladen hat. Besonders sein Enkel Kieran wird ungebeten zum ständigen Begleiter von Magali.

Beurteilungstext

Die Eltern schenkten ihren Töchtern Magali, 13, und Malve, 18 Jahre, je ein Tagebuch, weil sie das für pädagogisch wertvoll halten. Während Malve ihrem Tagebuch ihr „wildes Liebesleben“ anvertraut, entschließt sich Magali, da sie nichts dergleichen zu berichten hat, ihre Familie und die Bewohner in ihrem Mehrfamilienhaus zu beobachten und ihre Gedanken dazu dem Tagebuch anzuvertrauen. Amüsant und herrlich ironisch gelingen ihr die Portraits der Menschen in der Nachbarschaft und ihrer eigenen Familie. Bis zu diesen denkwürdigen Osterferien, die Magali zuhause verbringt, kennen sich die Hausbewohner nur vom Grüßen, wenn sie sich im Treppenhaus begegnen. Da ist die Familie Siemerding, deren Husky namens Snow arg vernachlässigt wird, weil sich ein plötzlicher Kindersegen (3-7Kids?) eingestellt hat. Den holt Magali nun regelmäßig zum Gassi gehen und zum Austausch von Schmuseeinheiten. Dabei trifft sie im Treppenhaus den alten Herrn Krekeler, der, wie Magali findet, mit seinen 98 Jahren noch sehr gut aussieht, immer chic gekleidet ist und regelmäßig joggen geht. Und sie lernt seinen Enkel, Kieran Krekeler (KK) kennen, der, ohne zu fragen, über die ganzen Ferien zu ihrem fast ständigen Begleiter wird. Er ist mit seinem Vater Louis zum Besuch gebeten worden, weil der alte Herr beschlossen hat, zu sterben. Im folgenden Wirbel der Ereignisse kommt Magali kaum nach mit Schreiben. Als ihre Eltern versuchen, die beiden Töchter von „schlechtem Umgang“ fernzuhalten, gelingt das nur bedingt. Magali gerät über KK an eine bunt gemischte Patchwork Familie, weil Papa Louis mit gut fünf Frauen jede Menge Kinder gezeugt und auch schon viele Enkelkinder hat. Und Malve geht lieber mit tollen Typen aus, statt sich auf ihr Abi vorzubereiten. Als der ganze Trubel vorbei und Ruhe eingekehrt ist, stirbt der alte Herr in aller Stille. Magali und KK trösteten sich damit, dass Herr Krekeler ja bis zur allerletzten Sekunde gelebt hat „elegant und rücksichtsvoll“, so rücksichtsvoll, „dass er erst gestorben ist, nachdem die Osterfeier zu Ende gegangen war und er niemanden damit störte.“ Weder der Sohn Louis noch der Enkel Kieran sind in der Lage eine kleine Abschiedsfeier vorzubereiten. Da wird Magali aktiv und trommelt die gesamte Hausbewohnerschaft zusammen, der Einäscherung beizuwohnen. Die etwas seltsame Zeremonie endet schließlich in einem fröhlichen Picknick und gegenseitigem Kennenlernen. Der ganze Tagebuch-Roman lebt von vielen witzigen Details und Dialogen zwischen den verschiedenen Protagonisten. Dass Magali überhaupt Tagebuch führt, hat mit den Erziehungsprinzipien ihrer Eltern zu tun, die sich zu einer „bewussten Elternschaft“ entschlossen hatten. Nichts in der Erziehung ihrer Töchter wird dem Zufall überlassen. Viele Leserinnen und Leser werden die familiären Auseinandersetzungen aus eigenem Erleben kennen. Die ältere Schwester, die sich wie Malve mühsam ihre Freiheiten erkämpfen muss, und ihre kleine Schwester, der sie später liebevoll beisteht, ist eines der altbekannten Muster. Den schmerzhaften Prozess für die Mutter, ihre heranwachsenden Kinder loszulassen und nicht mehr, wie bisher, weiter zu behüten, werden viele wieder erkennen. Magalis eigentliches Problem, nämlich dass sie allen Gleichaltrigen über den Kopf gewachsen ist, wird von den Eltern nie thematisiert. Erst als sie in einem Verzweiflungsanfall ihrem Vater, der Arzt ist, vorwirft, dass er ihr Wachstum nicht mit Medikamenten gestoppt hat, sagt er ihr den erlösenden Satz: „Du bist nicht zu groß, Magali. Du bist ein gesundes, kluges, schönes Mädchen. Wir wollten dich nie anders haben.“ Dies ist ein Satz, den viele junge Mädchen gerne hören möchten, die unter ihrer Größe leiden. Gerade weil Magali nicht über sich, sondern über die Menschen ihrer Umgebung schreibt, gelingen ihr großartige Portraits der sehr verschiedenen Familienstrukturen in der Nachbarschaft. Sie selbst ist ein „privilegiertes“ Kind: Mutter Studienrätin, Vater Arzt, bestes Gymnasium, Musikunterricht, psychologisch bedachte Farbgebung des Kinderzimmers… Aber da lebt zum Beispiel im Hinterhaus eine alleinerziehende, französische Mutter mit ihrem Sohn Joel, die ihre Streitereien stets laut und für alle hörbar miteinander austragen. Joel ist dazu noch das Ziel von Magalis Sehnsucht, doch statt sie zu küssen, ignoriert er sie völlig. Die kinderreiche Familie Siemerding mit ihrem Husky Snow ist ebenfalls lautstark, aber nicht streitsüchtig. Ein kinderloses junges Paar lebt unauffällig im selben Haus. Und dann ist da eben dieser vornehme, gutaussehende alte Herr Krekeler. Sein „selbstbestimmter“ stiller Tod gibt seinem Enkel Kieran und Magali Anlass, über gut gelebtes Leben und Sterben zu diskutieren. Magali gibt mit ihren Beobachtungen sehr viele Themen vor, über die sich junge, aber auch erwachsene Leserinnen und Leser Gedanken machen sollten. Ihr eigener Weg zur selbstbewusst Handelnden kommt dabei fast ein wenig zu kurz. Dass Magali nicht geküsst wird, weil die gleichaltrigen Jungs in der Regel im Wachstum noch hinterher hinken, löst sie am Ende ganz pragmatisch: Zum Abschied zieht sie Kierans Gesicht zu sich hoch und küsst ihn. Dieser Roman ist sehr empfehlenswert, weil all die ernsthaften Denkanstöße in eine überaus unterhaltsame, ja amüsante Geschichte „verpackt“ sind.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von Gertrud Mürle; Landesstelle: Baden-Württemberg.
Veröffentlicht am 10.12.2023

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