Falsche Bilder

Autor*in
Leeuw, Jan de
ISBN
978-3-423-78226-5
Übersetzer*in
Erdorf, Rolf
Ori. Sprache
Niederländisch
Illustrator*in
Seitenanzahl
316
Verlag
dtv
Gattung
Ort
München
Jahr
2009
Lesealter
12-13 Jahre14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
7,95 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Die Beerdigung seiner Großmutter konfrontiert Arnould mit einer unglaublichen Vergangenheit, in dem nicht nur sein früh verstorbener Großvater und die Baroness des Dorfes eine große Rolle spielen.

Beurteilungstext

Arnoulds Großmutter ist tot. Sie verstarb mit 80 Jahren in ihrem Haus in Deemstervelde, einem kleinen Dorf irgendwo in Flandern. Gemeinsam mit seinem Vater, Sohn der Verstorbenen, reist der 13jährige zu Beginn seiner Sommerferien in die Einöde, um das Haus für den Verkauf zu räumen. Doch das geht nicht so schnell, wie Arnould sich das vorgestellt hatte. Im Gegenteil: Fast scheint es, als plane sein Vater für längere Zeit in seinem Elternhaus zu bleiben. Und überhaupt passieren seltsame Dinge in dieser abgelegenen Welt.
Wer eigentlich war diese Frau, seine Großmutter? Arnould beginnt zu ahnen, dass sie mehr war, als diese distanzierte Alte, die Abend für Abend zerlöcherte Socken mit einem Stopfei reparierte. An mehr kann Arnould sich nicht erinnern. Dass sie nichts von einander wussten hatte Irma de Vriendt jedoch nicht davon abgehalten, ihrem Enkel in einem langen Brief ihre Vergangenheit zu erzählen. Stück für Stück kommt Arnould einem lang gehüteten Geheimnis auf die Spur, welches nicht nur seine Großmutter, sondern das ganze Dorf seit dem Zweiten Weltkrieg niederdrückt. Der Schlüssel zu diesem schrecklichen Geheimnis ist sein Großvater Arnould, mit dem ihm neben dem Namen zudem eine verblüffende Ähnlichkeit verbindet.
Durch die Briefe seiner Großmutter neugierig geworden, beginnt der junge Arnould genauer hinzuschauen, hinzuhören vor allem, nachzufragen. Und so kommt er einem Bilderraub auf die Spur, für den sein Großvater sowie neun weitere Bewohner des Dorfes im Jahre 1942 von den Nationalsozialisten erschossen wurde. 25 Jahre war Arnould de Vriendt zu diesem Zeitpunkt. Sein Sohn damals noch ein Fötus im Bauch Irma de Vriendts.
Doch für wen oder was opferte sich der junge Mann, der werdende Vater ,der einzige im Dorf mit einem Universitätsabschluss, der schon damals ein Held war, weil er ein Leben rettete? Tat er es aus Liebe? Um seine Frau zu schützen? Oder seine Geliebte, die Baroness, wie die Leute im Dorf behaupten? Oder tat er es des Geldes wegen? Für sein Vaterland? Wollte er das Leben seines ungeborenen Kindes schützen? Oder wollte er einzig und allein als Held sterben? Und was bedeutet das überhaupt "Heldentum"? Ist man ein Held, weil man ein Mädchen aus dem Eis rettet? Oder weil man sein Leben opfert? Ist Titus der Eulenforscher ein Held, weil er um das Leben einer aussterbenden Tierart kämpft? Oder Arnoulds Vater? Ist er ein Held, weil er so viel weiß oder weil er den Schmerz aushält, den ihm seine Frau durch ihr Davonlaufen zugefügt hat? Vielleicht ist Eifersucht und Liebe der Schlüssel zur Lösung des Geheimnisses. Und auch die Antwort auf die Frage, warum Arnoulds Vater weiter macht.
Ein stetig wachsender Fragenberg türmt sich auf vor Arnould. Eine gefundene Antwort bringt wenigstens eine neue Frage mit sich. Doch Irma de Vriendts Enkel will es wissen. Was ist passiert, damals, 1942? Was ist die Wahrheit? Recht schnell begreift der 13jährige, das Wahrheit eine individuelle Sicht der Dinge ist. Die Baroness erzählt ihm ihre Wahrheit ebenso wie seine Großmutter sie in ihren Briefen niedergeschrieben hat.
Letztlich geht es - ja um was? Um die Liebe? Das Gefühl der Geborgenheit? Arnould entdeckt die Bedeutung der Vergangenheit als etwas Identität bildendes. Als etwas, dass zu einem gehört und dessen man sich nicht einfach so entledigen kann. Aber im Hier und Jetzt kann man handeln. "Du hast nur eine Chance in diesem Leben. Jeden Tag, den du lebst, ist der letzte seiner Art. Du bekommst keine Probezeit. Es muss gleich beim ersten Mal hinhauen. Tut es das nicht, dann lass los. Leb weiter. Schau dich nicht um." Und so trifft Arnould de Vriendt eine Entscheidung von der er hofft, es möge die richtige sein. Aber wer kann das schon wissen?
Jan de Leeuw erzählt die Geschichte eines Jungen, der mit der Macht der Vergangenheit konfrontiert wird, mit der Grausamkeit der Liebe, der zerstörerischen Kraft der Eifersucht und der Gier. Der überrollt wird von individuellen Wahrheiten, von der Macht des Kollektivs, von der Ohnmacht der Menschen. De Leeuw erzählt von Arnoulds eigener Ohnmacht, dem Gefühl des Verlassenwerdens durch die Mutter. Eingebettet werden die Betrachtungen des Protagonisten in das Schicksal eines kleinen belgischen Dorfes im Dritten Reich. Einer Zeit, in der die Grausamkeit von Menschen gegenüber ihresgleichen unfassbar wurde. Spannend, einfühlsam und mit einer wunderbar humorvollen Leichtigkeit werden die Fragen nach dem Sinn des Lebens gestellt. Ein beeindruckendes Buch, ein großartiges Buch.

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Diese Rezension wurde verfasst von ar.
Veröffentlicht am 01.01.2010

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