Es begab sich aber …

Autor*in
Schmidt, Hans-Christian
ISBN
978-3-95470-273-2
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Német, Andreas
Seitenanzahl
13
Verlag
Klett Kinderbuch
Gattung
Bilderbuch
Ort
Leipzig
Jahr
2022
Lesealter
4-5 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
BüchereiFreizeitlektüreVorlesen
Preis
15,00 €
Bewertung
empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Ein schwarzhaariger und schwarzbärtiger Mann und seine hochschwangere Frau im Umschlagtuch kommen als Fremde in eine Stadt. Weil niemand ihnen eine Unterkunft geben will, macht der Mann in einer verlassenen Garage eines Abbruchhauses seiner Frau auf einer zerschlissenen Matratze ein Bett, wo sie ihr Kind zur Welt bringt. Besucher*innen kommen, gratulieren, bringen Geschenke, singen, machen Musik und feiern.

Beurteilungstext

Botschaft
Das ist ein lobenswerter Vorsatz: die biblische Geschichte von der Geburt Christi in die heutige Umwelt zu versetzen und damit zu aktualisieren. Mit der Geburt des göttlichen Kindes wird den gläubigen Menschen ein Zeichen dafür gegeben, dass sie in Schuld, Krankheit, Not und Bedrängnis auf eine Zukunft mit Besserung, Heilung und Erlösung hoffen dürfen. Die Freude darüber ist groß. Symbolisch wird dieses Kind in der Kunst als Licht in der Finsternis dargestellt.
Diese Parabel ist vielfältig interpretierbar. Grundsätzlich ist für jedes Paar die Geburt seines Kindes ein glückliches Ereignis, das ihnen zeigt, dass ihre Familie eine Zukunft haben wird. Die umgebenden Menschen sind indirekt in diese Zukunftserwartungen eingebunden, freuen sich mit und drücken ihre Anteilnahme durch Gaben für das Kind aus. Ein zweiter Aspekt der Geschichte ist, dass dieses so bedeutsame Kind in eine Armutssituation hineingeboren wird und seine Umwelt durch Geschenke dieser Armut abhelfen will. Diese Geschichte aus der Vergangenheit ist religiös aufgeladen. Deshalb wollen die später lebenden Gläubigen sie durch eigene Aktionen der Liebe und der Armenhilfe für sich erneut nachvollziehen. Diese rituellen Praktiken haben sich im Laufe der Zeit veräußerlicht bis zum Waren-Weihnachten, bei dem das Kaufen das Wichtigste ist. Andererseits versucht man auch, die Botschaft mit neuem Sinn zu füllen, indem man die Armenfürsorge hervorhebt, sie zur Zeit auch auf die Situation der Geflüchteten bezieht.
Eine Bild-Text-Umsetzung dieser Geschichte steht zwischen dem religiösen Aspekt des Bibeltextes und der Tradition der jahrhundertelangen Aufführungspraxis von Krippenspielen und den bildlichen Darstellungen der Christgeburt einerseits und andererseits dem Bemühen um zeitgemäße Aktualisierung, um die heutigen Bilderbuch-Rezipient*innen zu erreichen.
Das stellt die Umsetzung vor viele Probleme. Das vorliegende Bilderbuch schwankt zwischen diesen Polen hin und her. Schmidt/Német haben sich zu einer Aktualisierung entschlossen. Ihre beiden herbergssuchenden Menschen sind ein Flüchtlingspaar in einer Straße mit Mietwohnhäusern. Die herbeieilenden Hirten sind jetzt eine Polizistin mit ihrem Pferd und Nachbar*innen mit ihren Haustieren. Die Geschenke sind ein Blumentopf, ein Cupcake mit einer Kerze, Pakete in Weihnachtspapier, ein Holzspielzeug und eine Strampelhose. Der Lichterglanz wird dargestellt durch eine Papierlaterne vom Laternelaufen, der jubilierende Gesang der Engel wird vertreten durch den Gesang der Nachbarn, durch ihr Spiel auf Gitarren und einer Trompete und ihr lärmendes Feiern.
Leider hat die Handlungskonstruktion Lücken. Die vergebliche Herbergssuche am Anfang, die die Notsituation des Paares erklärt hätte, wird nicht bildlich dargestellt. Neben den Nachbarn, die neugierig oder böse aus den offenen Fenstern schauen, fehlt die Szene des Anklopfens und der Abweisung. Auch dem Auftreten der Nachbarn fehlt die logische Motivation: Wodurch wussten sie von der Geburt des Kindes? Die Erzählung hat Brüche: Die Intimität der gefühlsstarken Geburtsszene schlägt um in die allgemeine ausgelassene Feier der Nachbarn mit Lichterketten, artet lärmend aus und zerfasert. Nun beschenken sich alle, sogar die ganze Welt umarmt sich:
„Doch nein, es kommen immer mehr,
sogar manch König kommt hierher.
Aus Süden, Norden, Ost und West:
Sie alle feiern hier ein Fest.
In froher, ausgelassner Runde
verbringen sie so manche Stunde.
Sie freuen und beschenken sich
und fühlen sich ganz andächtig.“
Ein ukrainischer und ein russischer Autofahrer (Putin ähnlich) reichen sich sogar die Hände. Den Schluss bildet der nächtliche Blick in erleuchtete Fenster, in denen man sieht, wie Menschen heute das Weihnachtsfest feiern. Hier wäre eine koordinierende Lektoratsarbeit sinnvoll gewesen.
Dem Bemühen um Säkularisierung wird immer wieder widersprochen durch die Allgegenwart des mythisierenden dunkelblauen gestirnten Nachthimmels und des Bethlehemsterns, der über der Geburtsszene schwebt. Das Baby wird dagegen nie hell leuchtend dargestellt. Eine weitere Mythisierung geschieht durch den Rückgriff auf die altbekannte Ikonografie der Christgeburt: eine liegende Frau, ein Kind in ihren Armen, ein Mann, der schützend neben ihr steht.
Hier liegen aber auch die Stärken dieses Bilderbuches, in der Körpersprache. Das Stöhnen der Gebärenden ist an ihrer Mimik ablesbar, ihre Konzentration auf die inneren Vorgänge an ihren geschlossenen Augen. Der Mann legt immer wieder seinen Arm schützend um seine Frau. Er ist ein moderner Vater, der seiner Frau bei der Geburt die Hand hält. Die Gesten der Liebe und Fürsorge zwischen Mann und Frau und Mutter und Kind sprechen direkt an.
Auch das Coverbild übersetzt sehr sinnfällig die Freudenbotschaft „Uns ist ein Kind geboren“. Zwei Hände heben ein in eine Decke gewickeltes Baby hoch in einen Nachthimmel über Hochhausdächern, über denen der Bethlehemstern steht. Die Geste des Emporhebens eines Säuglings hat die Bedeutung: Die Eltern haben das eben Geborene lange erwartet und sind glücklich und stolz und wollen es aller Welt zeigen, aber auch dem Himmel, der sie mit dem Kind beschenkt hat. Die Hochhausdächer zeigen: Die Botschaft ist gestern, heute und in Ewigkeit gültig.

Form
Die verknappenden Zeichnungen mit Tintenstift auf aquarellierten Flächen in gedämpften erdigen Farben haben bei leichtem Comicstil doch eine starke emotionale Wirkung. Erzählerische Details mit Werbeplakaten in der Straße, überquellenden Abfallkörben und einer Taube, die an einer herumliegenden angebissenen Brotscheibe pickt, bringen einen kritischen Blick auf unsere kapitalistische Konsum- und Wegwerfgesellschaft ein.
Der kurze Text ist leider holprig und dilettantisch gereimt. Teilweise setzt er kindliche Diktion ein, die sich dann an biblisch-sakralen Formulierungen stößt.

Vermittlung in der Gruppe
Bei gemeinsamer Bildbetrachtung ergeben sich viele Gesprächsanlässe: vom vordergründigen Erinnern an private Weihnachtsfeste und an öffentliche Inszenierungen bis zum religiösen Hintergrund oder bis zu zeitgeschichtlichen und ethischen Aspekten. Aber die Freude über die Geburt eines Kindes ist wohl das vorherrschende Erlebnis, das allgemein zugänglich ist.
Es können sich kreative Umsetzungen anschließen mit dem Herstellen einer Papierkrippe oder der Zeichnung von Geschenken. Es können auch Überlegungen gemacht werden, wen man beschenken möchte und was ihm am meisten Freude bereiten würde.

Über den Autor und den Illustrator
Hans-Christian Schmidt wurde 1973 in Dresden geboren und lebt noch immer dort. Er ist Gymnasiallehrer für Deutsch und Geschichte. Neben seiner Unterrichtstätigkeit entwickelt er gemeinsam mit dem Illustrator Andreas Német Kinderbücher
Andreas Német wurde ebenfalls 1973 geboren, und zwar in der Kreisstadt Sömmerda bei Erfurt. Er lernte zunächst an der Staatlichen Porzellanmanufaktur Meißen den Beruf des Porzellanmalers. Danach absolvierte er eine Lehre als Kunsttischler, bevor er Angewandte Kunst und Produktdesign an der Westsächsischen Hochschule Zwickau studierte. Nach einem mehrmonatigen Praktikum für Produktdesign in Italien machte er sich selbständig und arbeitet seit 2002 als Illustrator, Grafiker und Produktdesigner. Sein Hauptarbeitsgebiet ist die Illustration von Kinderbüchern, die er meist zusammen mit Hans-Christian Schmidt konzipiert. Er beherrscht unterschiedliche Stilmöglichkeiten.
In der „Wunder“-Reihe mit „Das Eiwunder“, „Das Kastanienwunder“, „Das Schmetterlingswunder“ und „Das Apfelwunder“ erinnern z. B. seine feinen Zeichnungen von Pflanzen und Tieren auf weißem Grund an seine Ausbildung als Porzellanmaler.
Diese und andere Pappbilderbücher sind wahre Papierkunstwerke mit ihren Elementen zum Schieben, Klappen und Drehen, mit denen kleine Kinder das Leben der Natur nachvollziehen können. Es sind sogar Geräuschelemente beigegeben.
Német und Schmidt arbeiten seit Jahren zusammen und haben in verschiedensten Verlagen veröffentlicht. Die Deutsche Nationalbibliothek zeigt von Hans-Christian Schmidt 75 Titel an, von Andreas Német: 59 Titel, meist Bilderbücher. Viele davon nehmen zum Anlass, wie Kinder die großen Festtage Weihnachten und Ostern erleben. Aber es werden auch gesellschaftsrelevante Themen angesprochen, z. B. wie Kinder gegen Missbrauch stark gemacht werden können („Das komische Gefühl“), Liebe und Sexualität („Liebe machen“) oder Migranten an der Grenze („Eine Wiese für alle“). Sie erarbeiten gemeinsam nicht nur Bücher, sondern auch Lieder für Kinder und bringen sie mit ihrer Band „Firlefanz und Grete“ auf die Bühne.
Auch ihre Lesungen gestalten sie gemeinsam. Nach einer kurzen Vorstellung ihrer Bücher – auch mit Gitarre – entwickeln sie mit den Kindern eine eigene Kinderbuchidee. Auf Zuruf zeichnet Andreas Német mögliche Hauptfiguren und eine Anfangs- und Endszene. Anschließend dürfen sich die Kinder eigene Szenen ausdenken, die in der Gruppe vorgestellt und weiterentwickelt werden. Am Ende können alle Kinder mit einer fertigen Buchidee nach Hause gehen.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von Geralde Schmidt-Dumont; Landesstelle: Hamburg.
Veröffentlicht am 26.09.2023

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