Die blauen Flügel

Autor*in
Aerts, Jef
ISBN
978-3-8251-5218-5
Übersetzer*in
Schweikart, Eva
Ori. Sprache
Holländisch/Niederlä
Illustrator*in
van der Linden, Martijn
Seitenanzahl
216
Verlag
Urachhaus
Gattung
Buch (gebunden)Erzählung/Roman
Ort
Stuttgart
Jahr
2019
Lesealter
10-11 Jahre12-13 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
17,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Teaser

Josh und Jadran sind Brüder, die ein sehr enges Verhältnis zueinander haben. Aber Jadran hat eine Behinderung, und es ist manchmal ziemlich schwer, mit seinen besonderen Verhaltensweisen umzugehen. Eines Tages finden die beiden an einem See einen jungen, verletzten Kranich, den sie mit nach Hause nehmen dürfen.

Schon bald überschlagen sich die Ereignisse: Bei dem Versuch, dem Kranich, Tirie genannt, das Fliegen beizubringen, bricht sich Josh ein Bein und Jadran ist schuld daran. Nun soll Jadran ganz in der Betreuungseinrichtung untergebracht werden, in die er tagsüber schon geht. Als Jadran von diesem Plan erfährt, flieht er Hals über Kopf mit Josh und Tirie auf dem Traktor seiner Spezialschule. Wie weit werden die drei wohl kommen?

Beurteilungstext

Der Autor Jef Aerts hat für seinen Jugendroman ein sehr wichtiges Thema gewählt: Das Leben mit einem behinderten Menschen und den Umgang mit seinen besonderen Verhaltensweisen und Fähigkeiten. Dabei ist es ihm gelungen, die Leser*innen von Anfang an mitten in das Leben dieser gerade neu entstandenen Patchworkfamilie eintauchen zu lassen, und er zeichnet ein sehr detailliertes Bild der beteiligten Personen, deren Charaktere er intensiv von allen Seiten beleuchtet.

Josh ist elf Jahre alt und erzählt die Geschichte aus seiner Perspektive. Er lebt eigentlich mit seinem behinderten, sechzehnjährigen Bruder Jadran und seiner Mutter zusammen in einer kleinen Wohnung. Sie nennen den kindlichen Jadran liebevoll „Riese“, weil er sehr groß und etwas unbeholfen ist. Gerade sind jedoch Murad und Yasmin bei ihnen eingezogen, der Freund der Mutter und dessen Tochter.

Während des Lesens wird erst nach und nach deutlich, in welchen Situationen und auf welche Weise sich Jadrans Behinderung zeigt, z.B. dass er laut schreit, wenn er seinen Willen nicht bekommt, dass er ungeduldig ist und zornig mit dem Fuß aufstapft oder wie Josh einmal feststellt: „Wenn Jadran sich nämlich etwas in den Kopf gesetzt hatte, musste alles andere zurückstehen, so war es schon immer gewesen.“ (S.64)

Zunächst ist der Leser*in sehr berührt, aber gleichzeitig auch etwas verwundert darüber, wie einfühlsam Josh seinen Bruder in allen brenzligen Situationen zu nehmen weiß und mit welcher Überzeugung er für ihn eintritt. Dann erfährt der Leser*in jedoch, dass die Mutter Josh schon sehr früh aufgetragen hat, er müsse Jadrans „Schutzengel“ sein und ihm helfen, wenn er nicht zurechtkomme. Handelt Josh nur aus reinem Pflichtgefühl, wenn er Jadrans Verhalten z.B. seiner Stiefschwester Yasmin gegenüber verteidigt oder die blauen Flügel aus dem Keller holt, mit denen ihre Mutter vor Jahren mit dem Vater in einem Musical aufgetreten ist, weil Jadran damit Tirie das Fliegen beibringen will? Im Laufe der Geschichte wird deutlich werden, was die Beziehung zwischen den Brüdern wirklich ausmacht.

Dem Autor gelingt es auf eine ungewöhnlich warmherzige, authentische Art, die Leser*innen mit den durchaus widerstrebenden Gefühlen und zweifelnden Gedanken, die Jadrans Verhaltensweisen hervorrufen und besonders Josh und seine Mutter ständig beschäftigen, vertraut zu machen. Und da ist ja auch noch Mika, Jadrans Betreuerin in der Spezialschule, die sich sehr dafür einsetzt, dass Jadran in die Wohngemeinschaft dort einzieht. Möchte sie wirklich nur „das Beste“ für ihn und seine Familie?

Der Autor beschreibt dagegen auch schonungslos, was Jadran besonders aufwühlt und bewegt, weil er sich durchaus darüber bewusst ist, dass er für bestimmte Situationen verantwortlich ist oder zu sein meint. Er sagt dann immer: „Es ist meine Schuld.“ „Alles ist immer meine Schuld.“ (S.13/14)

Im Verlauf der Geschichte lernen die Leser*innen aber auch Jadrans besonderen Kompetenzen kennen, z.B. dass er ein ungewöhnlich gutes Gedächtnis hat, dass er Stimmen imitieren kann, dass er sehr tierlieb ist und es mit seinem besonders freundlichen, charmanten Wesen schafft, ein warmes Essen während ihrer Flucht zu organisieren. Diese Fähigkeiten spielen eine große Rolle im Fortgang der Ereignisse.

Von Anfang an entwickelt sich eine Spannung, die sich kontinuierlich erhöht und erst ziemlich am Ende des Buches ihren Höhepunkt erreicht. Da ist Tirie, der Kranich, dem Jadran unbedingt das Fliegen beibringen will, damit er seiner Familie in den Süden hinterherfliegen kann. Da ist die drohende Unterbringung in der Betreuungs-WG und letztlich die überstürzte Flucht mit dem Traktor, die beinahe in einer Katastrophe zu enden droht. Hier kommt Yasmin mit einer spektakulären Aktion zum Zug, und sie zeigt damit allen Beteiligten, dass sie ihren Platz in der Familie gefunden hat. Durch die sehr schnell aufeinander folgenden Ereignisse entsteht eine besondere Dynamik, die den Leser*in zum Weiterlesen bewegt, ihn mitfiebern lässt und es schwer macht, das Buch aus der Hand zu legen.

Entsprechend des Titels „Die blauen Flügel“ sind alle doppelseitigen Illustrationen überwiegend in Blautönen gehalten. Sie leiten jeweils eins der fünf großen Kapitel an, die eine eher minimalistische Überschrift (bestehend aus einem bis drei Wörtern) tragen. Die meist kurzen Unterkapitel sind dagegen am Anfang mit einem fliegenden blauen Kranich geschmückt.

Dem Autor Jef Aerts ist das Kunststück geglückt, mit großer Feinfühligkeit und Herzenswärme von einer ungewöhnlichen Familie zu erzählen, die sich von großen Herausforderungen nicht unterkriegen lässt und bereit ist, die Chance für Veränderungen zu ergreifen.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von MlMs; Landesstelle: Niedersachsen.
Veröffentlicht am 02.01.2021

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