Das Wunderkind und andere Erzählungen
- Autor*in
- Mann, Thomas
- ISBN
- 978-3-596-85261-1
- Übersetzer*in
- –
- Ori. Sprache
- –
- Illustrator*in
- Knappe, Joachim
- Seitenanzahl
- 240
- Verlag
- FISCHER Schatzinsel
- Gattung
- –
- Ort
- Frankfurt
- Jahr
- 2007
- Lesealter
- 12-13 Jahre14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
- Einsatzmöglichkeiten
- Klassenlektüre
- Preis
- 12,90 €
- Bewertung
Schlagwörter
Teaser
7 Erzählungen, u.a. die titelgebende und der “Tonio Kröger”, führen junge Leser in das erzählerische Werk des Literaturnobelpreisträgers ein.
Beurteilungstext
Dass Thomas Mann ein begnadeter Erzähler war, in allen seinen Werken, muss man nicht mehr erwähnen. Doch sind vor allem seine großen Romane oft sehr umfangreich und daher als Einstieg in sein Schaffen für jüngere Leser nur bedingt geeignet. Eine Zusammenstellung von Erzählungen aus verschiedenen Schaffensperioden erscheint von daher sinnvoll und der Mühe wert.
Aber darf man denn das literarische Werk eines ganz Großen als “Mühe” bezeichnen? In Manns Fall schmälert es nicht seinen Wert und seine Bedeutung, das offen zu tun. Denn auch die Kurzprosa erschließt sich dem heutigen Leser nicht auf Anhieb und nicht in jedem Falle. Gerade die sprachliche Meisterschaft einer scharf präzisierenden und detailliert ziselierenden Schreibweise ist für heutige, besonders jüngere Leser ungewohnt und wirkt manchmal langatmig. Hinzu kommt der erkennbare zeitliche Abstand des Sprachgebrauches von etwa 100 Jahren, der in Stil und Wortschatz schon deutliche Spuren hinterlassen hat. Manche Begriffe sind zumindest fremd, andere inzwischen gänzlich ungebräuchlich. Das muss kein Nachteil sein, erschließt es doch einen latenten Reichtum unserer Sprache, dessen Verlust oft nur beklagt werden kann. Aber es steht einem raschen “Durchlesen” der Texte stark im Wege.
Gewöhnungsbedürftig ist sicher auch für manchen Adepten das Sujet der meisten Geschichten. Nie geht es um die starken, erfolgreichen, stromlinienförmigen Mitmenschen, sondern dem Autor ist überdeutlich eine besondere Neigung zu den gebrochenen, sich fremd fühlenden, von künstlerischen und emotionalen Neigungen getriebenen Typen zu eigen. Hieraus Rückschlüsse auf die eigene Person und Persönlichkeit Thomas Manns zu ziehen, fällt in der heutigen Zeit allerdings leichter als zu seinen Lebzeiten, wo manche Themen einfach nicht angesprochen werden durften.
Da aber gerade Gefühlsbewegungen wie das Nicht-dazu-gehören, Unsicherheit in sexueller Orientierung und eine Betätigung auf künstlerischem Gebiet wie der Dichtung als Ventil für überschäumende Emotionen bis heute typisch sind für viele Jugendliche während der Pubertät, werden gerade diese in der erkennbaren Seelenverwandschaft zu geschilderten Denk- und Verhaltensweisen Trost und Halt finden. Das bei Mann allerdings häufig zu findende völlige Aufgehen in solchen Regungen (noch stärker in seinen Novellen wie dem “Tod in Venedig”) birgt auch Gefahren, die bei einer unterrichtlichen Verwendung vorsichtig kalkuliert werden sollten. Eine abmildernde Wirkung geht hierbei übrigens von den Vignetten Joachim Knappes aus, der allzu emotionalen Momenten mit feiner Ironie und witzigen Details seiner sepiafarbenen Zeichnungen die Spitze nimmt und eher unirdische Momente wieder erdet.
Die kleine, aber schön ausgestattete Sammlung bietet also für viele Interessen etwas. Der Neuling kann sich in den typischen Erzählduktus Manns einlesen, es entsteht ein lebhaftes und facettenreiches Bild der Zeit und der bürgerlichen Gesellschaft kurz vor und nach dem Ersten Weltkrieg. Etwas weitergehende Beschäftigung enthüllt viel über den Menschen Thomas Mann und seine Familie, wobei gerade auch die etwas schattigeren Seiten seines Lebens und seiner Empfindungen spürbar sind. Die ausführlichsten Erörterungen gelten dem Menschentyp und der Aufgabe des Künstlers, der bei Thomas Mann außerhalb der “normalen” Bürgerlichkeit steht und unter seiner Begabung oft mit einem wohligen Schauder leidet.
Bei alledem beeindruckt die Schärfe und Präzision seiner Beobachtung und Schilderung auch der Mitmenschen, die er mitunter gnadenlos karikiert und bloßstellt, um wenig später seine Sehnsucht nach einem solchen unmittelbaren und “animalischen” Leben auszudrücken. Wie gesagt: Es ist die Mühe wert!