Das ganz und gar unbedeutende Leben der Charity Tiddler

Autor*in
Murail, Marie Aude
ISBN
978-3-596-85443-1
Übersetzer*in
Scheffel, Tobias
Ori. Sprache
Französisch
Illustrator*in
Dumas, Philippe
Seitenanzahl
576
Verlag
FISCHER Schatzinsel
Gattung
Ort
Frankfurt
Jahr
2011
Lesealter
12-13 Jahre14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
16,95 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Mit der Lebensgeschichte der Beatrix Potter, der Autorin der bekannten “Peter Rabbit”-Bücher, als Vorlage erzählt Marie Aude Murail mit gewohnt leichter und spitzer Feder die fiktive Geschichte um das Leben der Charity Tiddler, einer jungen außergewöhnlichen Frau im ausgehenden 19. Jahrhundert.

Beurteilungstext

Für Kinder der besseren Klassen im London des ausgehenden 19. Jahrhunderts hielt die Welt wenig Überraschungen bereit: Gut behütet, wurden sie für ihre spätere Rolle in der Gesellschaft erzogen, das Hauspersonal immer in Rufweite. Es war eine Gesellschaft, in der auch der Nachwuchs ausschließlich per "Sie" verkehrte, in einer Welt zwischen Wohltätigkeitstees bei der Verwandtschaft, dem täglichen Klatsch und Tratsch über seinesgleichen und Sommeraufenthalten auf dem Land.

Marie-Aude Murail lässt ihren Roman "Das ganz und gar unbedeutende Leben der Charity Tiddler" in diesem heute so fremden, aber interessanten Milieu spielen - umso mehr interessant, als ihre Protagonistin Miss Charity Tiddler ein Quergeist ist, der sich von den gesellschaftlichen Normen leise, aber souverän emanzipiert. Auf 570 Seiten erzählt die Ich-Erzählerin ihr Leben nach, und bereits der Titel des Buches deutet auf einen eher kühlen, ironischen Blick auf das Geschehen hin. Miss Charity beginnt ihren Exkurs auf sich selbst mit dem zarten Alter von Vier, als sie zuhause eine Maus fängt - eine für Mädchen eher unübliche Beschäftigung, die ihr Leben verändert. Sie behält das Tier und domestiziert es; es folgen weitere "Haustiere" wie eine Ratte, ein Eichelhäher und ein Rabe, ein Frosch und eine Ente. Ein kleiner Zoo im Kinderzimmer also - nicht sehr schicklich für eine junge Dame, aber von den Eltern geduldet. Das Mädchen bleibt Außenseiterin, interessiert sich mehr für die Wissenschaften als für die höhere Gesellschaft und findet ihr Talent schließlich im Zeichnen ihrer eigenartigen tierischen Gefährten, während sich ihre gleichaltrigen Cousinen lustig machen über sie.

Das ganz und gar unbedeutende Leben ist nicht frei von Höhen und Tiefen, von Tod und Verlust, so wie es der Leser von der französischen Bestsellerautorin Murail gewöhnt ist. Immer wieder beweist die Ich-Erzählerin Herz und Mut, um ihrem Umfeld zu helfen, sei es ihrer Gouvernante, ihrem Kindermädchen oder ihrem späteren Dienstmädchen. Für sie selbst jedoch mag sich niemand so recht interessieren, eine Tatsache, die Miss Charity jedoch nie infrage stellt.

Aus dem Mädchen wird eine junge Frau, ihre Cousinen sind mit Hochzeiten und Familiengründungen beschäftigt. Charity selbst hält von diesem vorherbestimmten Leben wenig. Ihre Zeichnungen ergänzt sie mit Geschichten, die sie mit Hilfe eines guten Freundes zu Büchern macht. Fortan verdient sie, die weiterhin von ihren Eltern am finanziellen Gängelband gehalten wird, ihr eigenes Geld. Das ist ebenso wenig schicklich für eine junge Dame wie das Künstlersein an sich. Das Schicksal als mildtätige, aber weltfremde und verschrobene "alte Jungfer" steht fest.

Marie-Aude Murail tauscht für diesen Roman die vertraute Gegenwart gegen die Vergangenheit und erzählt eine faszinierende Lebensgeschichte angelehnt an die Vita der Beatrix Potter, der Erfinderin der weltbekannten "Peter Rabbit"-Bücher. Der Leser wird mit den ersten Seiten des Buches hineingezogen in die Geschichte der Charity Tiddler alias Beatrix Potter. Nicht, weil der Plot so spannend wäre, sondern weil es die warmherzige, aber zugleich scharfzüngige Art zu schreiben ist, die den Leser die bemerkenswerte Protagonistin ins Herz schließen lässt - wie im Grunde bei jedem ihrer Bücher. Es ist nie die heile Welt, die Murail beschreibt, aber es ist eine Welt, in der auf zauberhafte Weise zuletzt doch immer wieder ein gemeinsames Fazit steht: Eigentlich ist das Leben doch schön, trotz oder gerade wegen der Widrigkeiten des Alltags. Es lohnt sich, für seine Ideale zu kämpfen.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von hr.
Veröffentlicht am 01.01.2010

Weitere Rezensionen zu Büchern von Murail, Marie Aude

Murail, Marie Aude

3000 Arten, Ich liebe dich zu sagen

Weiterlesen
Murail, Marie Aude

3000 Arten, Ich liebe dich zu sagen

Weiterlesen
Murail, Marie Aude

So oder so ist das Leben

Weiterlesen
Murail, Marie Aude

So oder so ist das Leben

Weiterlesen