Alexander

Autor*in
Barth-Grözinger, Inge
ISBN
978-3-522-20042-4
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
365
Verlag
Thienemann
Gattung
Ort
Stuttgart
Jahr
2009
Lesealter
14-15 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Bücherei
Preis
19,90 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Alexander ist der Sohn eines jüdischen Getreidehändlers in Württemberg, der vor 150 Jahren beschloss, in Stuttgart eine Bank zu gründen. Das Wagnis gelingt und die beiden Söhne werden zu begnadeten Bankern, die es mit dem Vater zusammen schaffen, aus der kleinen Privatbank die größte in Württemberg werden zu lassen. Überschattet wird diese Karriere von persönlichen Schicksalsschlägen.

Beurteilungstext

Spätestens mit dem Nachwort und dem angefügten Stammbaum bekommt der Leser die Gewissheit, dass es diesen Alexander wirklich gegeben hat. Aus den dürren Daten, die der Autorin zur Verfügung standen, hat sie einen lebensvollen Bildungsroman geschrieben, der exemplarisch aufzeigt, wie eine gesellschaftliche Karriere im Kaiserreich ausgesehen hat. Aber hier wird kein Tellerwäscher zum Millionär, sondern der kleine Alexander lernt Handel und Geldgeschäfte von seinem Vater, der als Handelsjude über das schwäbische Land zog. Schwer war das Lernen nicht unbedingt, denn Alexander hatte von Anfang an das richtige Gefühl für das Geschäft des Vaters, intuitiv entschied er richtig und der Vater war ein guter, argumentativ verfahrender Lehrmeister. So bricht auch die Verbindung der beiden nicht ab, Vater und Sohn handeln gemeinsam, gründen, zusammen mit dem jüngeren Bruder, eine Bank in Stuttgart. Diese Bank fusioniert und expandiert, bis sie zur größten Bank Württembergs wird.
Die Vielschichtigkeit dieses Romans zeitigt eine Fülle von Handlungssträngen, von denen ich hier nur zwei erwähne:

Das Trauma des Vaters, in dieser Hinsicht ist und bleibt er Pessimist, und die Geschichte wird später zeigen, dass er Recht hatte, ist, dass Juden nicht gesellschaftlich akzeptiert werden. Gleichzeitig ist er aber nicht bereit, deswegen, wie viele Geschäftsfreunde, seine Religion aufzugeben, auszutauschen. Er hält an seinem Glauben fest und das wird von Alexander nicht nur akzeptiert, sondern in - fast könnte man sagen - säkularer Form mitgetragen. Alexander ist nicht eigentlich als aktiver Glaubender zu bezeichnen, er glaubt an das Faktische, an die Welt des Geldes. Aber nie würde er auf die Idee kommen zu konvertieren. So bleibt er fest in die jüdische Fast-Parallel-Welt eingebunden, unterstützt sie finanziell - das ist aber auch alles. Im Gegenteil: er reüssiert in der bürgerlich-kaiserlichen Gesellschaft, wird schließlich sogar geadelt, besitzt eine Fülle von Titeln und Aufsichtsratsposten und ist eigentlich der lebende Beweis dafür, dass die Juden in der Gesellschaft angekommen sind - wüssten wir nicht um den Lauf der Geschichte. Das Verdienst der Autorin liegt aber genau in der Betrachtung dieser gesellschaftlichen Stellung: Selbstredend sind vielerlei Geschäftspartner Alexanders Juden. Aber nirgendwo ist etwas von einer jüdischen Verschwörung welcher Art auch immer zu spüren, immer entscheidet der Geschäftsmann. Auch hier wider die Klischees: Schon als Junge lernte Alexander von seinem Vater, einen Schuldner nicht fallen zu lassen, wenn er den Eindruck hatte, der könne sich wieder aus dem Schuldenloch befreien. Auch wenn es keinen faktischen Beleg dafür gibt - hier entscheidet das Gefühl, der Bauch und nicht der Kopf. Diese Haltung bewahrt Alexander bis zum Schluss und fährt gut dabei. Nur einmal hätte er beinahe falsch entschieden und leidet lange unter der Demütigung.

Der zweite wichtige Strang ist das persönliche Schicksal: Alexander hat eine Jugendliebe, die er verlassen muss, weil er mit seinem Vater in die Hauptstadt zieht. Lange braucht er, bis er sich - und dem Mädchen - eingesteht, dass er sich für ein anderes Leben entschieden hat. In der anrührenden Liebesgeschichte beschreibt die Autorin schon, was Alexander wirklich bewegt: nicht eigentlich die Liebe, sondern die Planung der Zukunft. Die Pläne bekommen ein Eigenleben, das die Gefühlswelt beiseite schiebt. So heiratet er schließlich nicht das arme Bauernmädchen, sondern ein reiches Stadtkind. Und hier beginnt das persönliche Drama, denn sie bekommen keine Kinder. Es ist fast nicht zu glauben, in welchem Maße der Gedanke an die ihnen versagten Kinder das Ehepaar beherrscht. Alle Entscheidungen werden mit Blick auf die Kinder oder eben Nichtkinder betrachtet. Es gibt auch keine Alternative, der Fokus auf ihr “Versagen” wird immer enger. Die Projektion dieser schon fast manischen Idee ist ein Hauptanliegen der Autorin, sonst würde es nicht alle paar Seiten zum xten Male aufgegriffen. Das oberste Ziel des Aufstrebenden (und nicht nur von ihm) war in der bürgerlichen Gesellschaft Ende des 19. Jahrhunderts tatsächlich der Erbe. Wozu denn alles Streben, alles Vermögen, alle Anerkennung, wenn nicht ein Erbe da ist, der dieses auch antreten kann? Der Leser des 21. Jahrhunderts kann das belächeln oder sich darüber ärgern - aber damals war das so: Alles Glück der Erde ist der Erbe. Wenn sich das Lebensgefühl dieser Epoche an einer Stelle deutlich vermitteln lassen kann, dann ist es diese.
Allerdings kommt ein Bereich des zeitgenössischen Lebensgefühls überhaupt nicht vor. Das mag daran liegen, dass der Roman ausschließlich in Württemberg spielt, von diesem Land weiß ich zu wenig darüber, ich glaube allerdings, es liegt eher daran, dass ihn eine Frau schrieb: Der Militarismus existiert überhaupt nicht. Nicht einmal das Säbelrasseln vor dem 70/71-Krieg wird erwähnenswert, noch weniger die Zeit der Sedanfeiern. Oder gab es die nur in Preußen? Durch Heinrich Manns Untertan oder gar Zuckmayers Köpenick bekommt man ein anderes Bild dieser Gesellschaft.
Andererseits bekommt man nicht alles in den auch so schon umfänglichen Roman und fehlen tut mir das verbale Säbelgerassel nun wahrlich nicht.
Die persönlichen Dramen gehen aber auch noch weiter. Es wird viel gestorben in diesem Roman. Das ist in der Biografie eines ganzen Lebens nicht außergewöhnlich. Aber außergewöhnlich ist, dass der Tod Vieler als etwas beschrieben wird, das sich mit dem heutigen medizinischen Wissen um Diagnose, Therapie und Operationen leicht hätte beheben können oder wenigstens hätte hinaus schieben lassen. Man starb viel früher als heute. So auch der Held, der unter einer anscheinend belanglosen Operation wegstarb.

Das Buch ist nicht ganz einfach zu lesen. Ein ganzes Leben ist lang und gut 350 Seiten sind viel Text. Aber dieser Roman gehört zu den Texten, die das Gefühl und das Wissen über eine Zeit vermitteln, die lange vergangen ist, auf der aber unser Leben aufbaut. Es tut gut zu wissen, dass es Juden schon damals in unserer Gesellschaft gab, die von ihr als ebenso gleichwertig betrachtet wurden wie wir es heute tun. Aber dass auch damals, fast 100 Jahre vor Hitler, Antisemitismus existierte, der später dann zur fast vollständigen Vernichtung der Juden in unserem Land führte.
Dass sich der junge Leser in diese Welt hineinlesen kann, ist dem tiefen Gefühl der Autorin zu verdanken, das sie ihren Protagonisten einhaucht. Sie denken modern - vielleicht etwas anders als ihre Vorlagen es aus ihrer Zeit heraus leisten konnten. Aber dadurch ist der Leser in der Lage mitzuleben.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von cjh.
Veröffentlicht am 01.01.2010

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