Wovor haben Monster Angst?

Autor*in
Duprat, Guillaume
ISBN
978-3-95728-356-6
Übersetzer*in
Wegener, Lisa
Ori. Sprache
Französisch
Illustrator*in
Duprat, Guillaume
Seitenanzahl
28
Verlag
Knesebeck
Gattung
BilderbuchBuch (gebunden)Sachliteratur
Ort
München
Jahr
2020
Lesealter
8-9 Jahre10-11 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
20,00 €
Bewertung
eingeschränkt empfehlenswert

Teaser

Auf 12 Doppelseiten je eine Monstergeschichte aus dem Erzählschatz der Welt. Wenn Angst und Grusel angesichts des böse starrenden Monstergesichts auf der rechten Buchseite auf ihren Höhepunkt gestiegen sind, kann man innerhalb dieses Gesichts eine Klappe umlegen. Text und Bild darunter lassen nun das Monster zu Wort kommen, und es offenbart unerwartet entweder einen harmlosen Charakter oder geht zum Angriff über.

Beurteilungstext

Inhalt
Zusammenstellung von 12 Monstergeschichten aus dem Erzählschatz der Welt (klassische und moderne Märchen, Sagen, Epen und Mythen aus Skandinavien, Japan, Griechenland, China, England, Nepal, Indien, Frankreich, USA, Brasilien).
Auf jeweils einer Doppelseite geht es jedes Mal um das unerwartete Auftauchen eines schrecklichen Ungeheuers und um die Angst, die es auslöst. So erzählt es der Text auf der linken Seite. Die rechte Buchseite wird raumfüllend eingenommen vom überwältigend übermächtigen Kopf des Ungeheuers, der den Betrachter frontal fixiert und böse anstarrt. Der Kopf ist jedoch in der oberen Gesichtshälfte mit einer Klappe versehen. Wenn man sie anhebt, kommen darunter ein Bild und ein Text zum Vorschein, die in die Rolle des Ungeheuers führen, das nun selbst spricht. Es ist erbost über die Störung durch die Menschen, aber es erweist sich auch als bemitleidenswertes Wesen, das selbst Angst hat und das sich nach Gemeinschaft sehnt.

Wirkung
Der Reiz dieser Geschichten besteht in dem plötzlichen Umschlag von Grusel und Angst zu Erleichterung und Mitgefühl. Dies wird buchtechnisch ermöglicht durch die Anbringung der Klappen, die umgelegt werden können. Durch das Riesenformat des Buches und die frontale Gegenüberstellung mit dem Monster von Angesicht zu Angesicht wird der Betrachter in eine beängstigende Situation gebracht, die dann überraschend erleichternd aufgelöst wird. In diesem Spiel mit dem Schrecken werden anfängliche Erwartungen zerstört, indem die Monsterfigur plötzlich ihren Charakter verändert. Somit hat das Buch großen Unterhaltungswert.

Botschaft
Es bemüht sich aber auch um eine positive pädagogische Botschaft: Hab keine Angst, jeder Schrecken ist positiv auflösbar. Letztendlich sehen Monster nur ein wenig anders aus als wir. Auch sie sind zartfühlende Wesen. Und mit ihren Augen betrachtet, sehen wir ebenso seltsam und wunderlich aus. Damit übt das Buch den Perspektivwechsel ein, der nötig ist für Offenheit, Verständnis und Empathie für fremde und äußerlich anders aussehende Menschen. Aber das Prinzip wird nicht durchgehalten. In manchen Geschichten gehen die Monster, wenn man ihnen zu nahekommt, in den Angriff über.
Zusätzlich wird das Thema Umweltzerstörung in der Geschichte von dem Urwaldgeist und der von dem Marsmenschen eingebracht, zu dem sich die Erdbewohner flüchten, nachdem sie ihren eigenen Planeten unbewohnbar gemacht haben.

Texteigenschaften
Leider haben die Nacherzählungen, die einen großen und komplexen Stoff auf jeweils eine Seite komprimieren, narrative Sprünge und Lücken, die Verständnis und Nachvollzug oft schwierig machen. Auch mangelt es ihnen vor allem in den Reden der Monster an poetischer Qualität.

Zielgruppe
Es stellt sich die Frage, welche Zielgruppe mit diesem Buch erreicht werden kann. Es ist trotz des Riesenformats definitiv kein Bilderbuch für das Vorschul- und Grundschulalter. Oder sind die heutigen Grundschüler*innen bereits so abgebrüht und eingeübt in den Konsum der Angstlust der kommerziellen Grusel- und Schreckenswelt, dass sie folgende Sätze kalt lassen? „Die Bestie [Zerberus] beginnt zu knurren und leckt sich die Lefzen, als sie das frische Fleisch des jungen Mannes wittert.“ Oder: „Also streift er [Doktor Frankenstein] nächtelang über Friedhöfe, gräbt Leichen aus und bringt sie in sein Laboratorium, wo er allerlei verbotene Experimente durchführt. Er zerteilt die Körper, setzt sie neu zusammen und tränkt sie in chemische Mixturen.“
Ein noch stärkeres Argument für die Heraufsetzung des Nutzeralters ist jedoch die stark fremdkulturelle Färbung der Geschichten. Die vielen fremden Namen und unbekannten mythischen Vorstellungen wirken verwirrend. Sie können wohl erst ab dem Alter von 10 Jahren nachvollzogen werden. Aber in dem Alter fühlt man sich bereits erhaben über das Baby-Bilderbuchformat.

Einsatz in der Gruppe
Für die Sekundarstufe steht das Kennenlernen von komplexerer Erzählliteratur auf der Agenda. Oft werden dafür Nacherzählungen von Sagen, Mythen und Epen, gerne auch außereuropäischer Literaturen eingesetzt. Dafür ist das vorliegende Bilderbuch nicht geeignet. Stattdessen bieten sich umfangreichere Sagen- oder Mythen-Sammlungen an.
Für die Grundschule bietet es sich an, die Texte frei nachzuerzählen und sie dem Aufnahmevermögen dieser Zielgruppe anzupassen.
Weiter könnte man die leichter zugängliche Geschichte von der Wyvern auswählen, von der zuerst ein schlafendes Gesicht mit geschlossenen Augen gezeigt wird. Nach Anheben der Klappe erfährt man, dass dieses Wasserweib mit Drachenflügeln böse wird und dem Dieb ihres Rubins droht.
Danach könnten die Kinder Klappbilder mit (Monster-)Gesichtern herstellen, die sich durch Umlegen der Klappe von böse in freundlich verwandeln oder umgekehrt und dazu Geschichten erfinden.

Ausstattung
Schade um die hervorragende, fast bibliophile Aufmachung: grünes Vor- und Nachsatzblatt, auf dem sich in hellgrüner Zeichnung die verschiedenen Monster tummeln. Der farbigen Bildseite steht jeweils die Textseite gegenüber mit einer grau gezeichneten Vignette des ganzen Monsters mit vorausdeutender Funktion, Angaben zur Herkunft der Erzählung in Kapitälchen, groß und fett gedruckter Überschrift und am Ende des Textes fett hervorgehoben der letzte Satz mit Cliffhängerfunktion, der die Spannung steigert, bevor die Klappe hochgehoben wird.

Zum Autor/Illustrator
Guillaume Duprat (geb. 1973) machte seinen Master an der École supérieure des arts et industries graphiques in Paris (École Estienne). Heute ist er Art-Direktor des Pariser Verlages Edition Ulmer. Seine privaten ethnographischen Interessen führten ihn in viele Erdteile, wo er den unterschiedlichen Vorstellungen vom Kosmos und seiner Entstehung in den Erzählungen der Völkergruppen nachging. Aus dieser ungeheuren Sammlung von Wissen entstanden u. a. seine reich illustrierten Sachbücher „Seit wann ist die Erde rund? Wie sich die Völker unseren Planeten vorstellten“ (2009) und „Wie laut war eigentlich der Urknall? Wie sich Menschen unser Universum vorstellen“ (2018), in denen auch mit Klappen als Motivierungsunterstützung gearbeitet wird. Hier schwanken Rezensent*innen zwischen den Altersangaben 8-11 und 12-99.

Hamburg: Geralde Schmidt-Dumont

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Diese Rezension wurde verfasst von gsd; Landesstelle: Hamburg.
Veröffentlicht am 27.11.2020

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