Vorbei ist eben nicht vorbei

Autor*in
Boie, Kirsten
ISBN
978-3-7512-0287-9
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
191
Verlag
Oetinger
Gattung
Taschenbuch
Ort
Hamburg
Jahr
2022
Lesealter
12-13 Jahre14-15 Jahre16-17 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
FreizeitlektüreKlassenlektüreBücherei
Preis
10,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Auf dem Hintergrund des Zeitgeschehens 1961 (Mauerbau, Eichmann-Prozess) schildert Kirsten Boie die Flutkatastrophe an der Nordseeküste vom Februar 1962, vor allem in Hamburg.

Beurteilungstext

Karin, 13 Jahre alt, lebt mit ihren Eltern und ihrem jüngeren Bruder in einer Hamburger Siedlung mit einfachen Behelfshäusern für Ausgebombte und Heimatvertriebene, wie sie nach dem 2. Weltkrieg schnell gebaut wurden. Jeder kennt jeden, man besucht sich, bearbeitet einen Garten und hält Kleintiere, kurz, die Bewohner fühlen sich wie im Paradies. Allerdings ist der zeitgeschichtliche Hintergrund nicht so paradiesisch: Die Erzählung setzt im Sommer 1961 ein: In Jerusalem steht Eichmann vor Gericht, in Berlin wird die Mauer gebaut, und die Männer in der Siedlung erzählen immer wieder gern vom Krieg. Auch das Frauenbild ist noch stark von der Nazi-Ideologie geprägt: Die deutsche Frau schminkt sich nicht, man hört keine „Negermusik“, Mädchen tragen Zöpfe, allenfalls einen Pferdeschwanz. Karin beginnt sich langsam für das zu interessieren, was in der Zeit der Nazi-Diktatur mit den Juden geschehen ist. Bei Fragen wimmeln ihre Eltern sie ab. Nun folgt im Ablauf der Romanerzählung ein Zeitsprung. Im Februar 1962 bricht über Hamburg eine verheerende Flutkatastrophe herein, ungeheure Zerstörung ist die Folge, über 300 Menschen sterben. Auf dem Dach ihres Behelfsheims überlebt Karin, auch ihre Familie kann gerettet werden. Karin findet sich in einer Notunterkunft in einer Turnhalle wieder, die genauso ausgestattet ist, wie die Notunterkünfte für Ausgebombte, Flüchtlinge und Heimatvertrieben in den Kriegsjahren gewesen sind. Zudem leidet das Mädchen an der nicht grundlosen Vermutung, ihr Vater und ihre Mutter seien in der Zeit der Nazi-Diktatur und des Krieges schuldig geworden. Dieser kleine, recht unscheinbar wirkende Roman hat es im Wortsinn in sich. Vergangenheit will nicht vergehen (Titel!), die Gegenwart ist belastend genug. Ist der erste Teil des Romans überschrieben „Das Paradies“, so trägt der zweite Teil den Titel „Die Vertreibung“. Und schon dieser Teil lohnt die Lektüre, denn hier wird die Flutkatastrophe vom Februar 1962 aus der Sicht der inzwischen 14jährigen Karin beschrieben. In ungemein eindringlichen, unter die Haut gehenden Sätzen schildert die Autorin, was sich in jener Nacht abgespielt hat. Karin, mit einer alten Frau allein auf dem Dach ihres Hauses, erlebt, wie ihr „Paradies“ untergeht und wie Menschen ertrinken. Eindrucksvoll berührt und erschüttert folgen Lesende dem Schicksal des jungen Mädchens. Auch die Sprache ist dieser Situation angemessen. Kurze, fast atemlose Sätze lassen die Lesenden mit den Augen Karins auf die Wasserwüste und auf die Vernichtungen blicken. Die „ZEIT“ schreibt: „Ein wertvolles Zeitdokument:“ Aber auch nach der Rettung der Familie Karins, die sich inzwischen etwas Freiheit was Frisur und Schminken angeht, erkämpft hat, bleiben die nicht beantworteten Fragen nach der Schuld der Eltern und vieler anderer, die sie während der Nazi-Zeit angehäuft haben. Mit der Begleitung eines einfühlsamen Erwachsenen (Eltern, Lehrerin oder Lehrer) kann der Roman auf junge Menschen sehr positiven Einfluss haben

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Diese Rezension wurde verfasst von rem; Landesstelle: Baden-Württemberg.
Veröffentlicht am 04.12.2022