Sehr kleine Liebe

Autor*in
Lieshout, Ted van
ISBN
978-3-943919-56-1
Übersetzer*in
Erdorf, Rolf
Ori. Sprache
Holländisch/Niederlä
Illustrator*in
Püls, Brigitte
Seitenanzahl
56
Verlag
Gattung
BilderbuchSachliteratur
Ort
München
Jahr
2014
Lesealter
12-13 Jahre14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
13,95 €
Bewertung
empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Eine sehr persönliche und poetische Auseinandersetzung mit dem Thema "sexueller Missbrauch von Kindern". Das Buch zwingt dazu, das Thema nicht zu vereinfachen, sondern sich mit seiner Vielschichtigkeit zu beschäftigen.

Beurteilungstext

Das Buch erzählt in Gedichten vom Vertrauen, das ein Junge, Ted, in einen erwachsenen Mann gesetzt hat, der ihn endlich ernstnimmt, sich mit ihm beschäftigt, dabei aber die Beziehung sexuell ausnutzt - nicht exzessiv, aber immer weitergehend, bis sich der Mann zurückzieht und den Jungen nun wieder allein und einsam lässt. In einer zweiten Ebene ist in die Gedichte ein Briefwechsel eingeflochten, der 25 Jahre später zwischen dem Mann und dem Jungen geführt wird - ausgehend von dem Mann.

Erzählanlass ist die Irritation des erwachsengewordenen Ted über den Brief des Mannes. Deutlich wird in dem Buch immer wieder, dass für Ted vielleicht gar nicht der sexuelle Missbrauch problematisch war: "Zwei Menschen empfanden sich gegenseitig als etwas Besonderes und hatten aus dem Grund eine Beziehung. Zufällig war der eine ein Mann und der andere ein Junge", schreibt der erwachsene Ted in seinem Antwortbrief an den Mann. Problematischer erscheint Ted der Vertrauensbruch, der dadurch entstand, dass der 12-jährige Junge an diese besondere Beziehung geglaubt hatte, die schließlich ohne Erklärung endete und in dem Jungen Schuldgefühle zurückließ: "... und dann kam ich langsam dahinter, dass es nicht mein Geheimnis war, mit dem ich mich abschleppte, sondern Ihres. Damit waren auch meine Schuldgefühle vorbei".

In einem Nachwort wird deutlich, was im Buchtext schon angedeutet ist: Es geht um autobiografisches Erleben des Autors.

Besonders an diesem Buch ist nicht nur der Inhalt, der das Thema aus ungewöhnlicher Perspektive bearbeitet. Ungewöhnlich ist die Kombination aus Gedichten und Briefen, die als Collage eine Gesamterzählung ergeben - mit Handlungen, mit Innenwelten und Reflexionen. Trotz der autobiografischen Anlage gelingt es durch diese Collage, bei den Lesenden viel Raum für eigene Deutungen, Rekonstruktionen, Denkweisen zu entwickeln - vorausgesetzt, sie lesen das Nachwort nicht als Erstes. Denn dort wird die Poetik, der literarische Fiktionalitätscharakter, die Offenheit der Anlage deutlich eingeschränkt. Lese ich das Buch als Literatur, als Fiktion, dann bin ich aufgefordert mitzudenken, mir eigene Urteile über die Protagonisten zu bilden - gerade auch in Bezug auf den Erzähler. Die Offenlegung des autobiografischen Zusammenhangs im Nachwort durchbricht diese Suche und stellt die Frage "Was will der Dichter - also Ted van Lieshout - uns sagen?" in den Mittelpunkt. Das wäre schade.

Skizzenhaft sind in den Text Illustrationen von Brigitte Püls eingestreut. Sie scheinen auf den ersten Blick wenig oder nichts mit dem Text zu tun zu haben: Ein Stiefelpaar mit Augen steht auf einem Wollknäul, Häusersilhouetten, eine Krone. Sie bilden eigene Metaphern und ergänzen so die Offenheit der Texte, der Gedichte, sie geben Kommentare zum Geschehen. Aber sie stellen auch den Zusammenhang her: Orange-rote Wolle ist auf fast jedem Bild zu sehen, sie ist der "rote Faden" durch das Buch, mal als Auge, mal als Lot, um den Abgrund auszuloten, mal als Blumenblüte.

So entsteht eine Gesamtkomposition, die als literarisches Werk wertvoll und vielfältig ist. Eine Arbeit mit dem Text, das auf Thema "sexueller Missbrauch" reduziert ist, würde der Vielschichtigkeit des Buches nicht gerecht werden.

Und so gibt das Ende des Buches zu denken:

„...
Doch rede ich,

dann wird die zarte
Stille brechen,

drum schweige ich,
bleibe stumm

und deck Sie sachte
zu.

Christoph Jantzen, AJuM Hamburg

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von Christoph Jantzen; Landesstelle: Hamburg.
Veröffentlicht am 02.11.2015

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