Sankt Irgendwas

Autor*in
Bach, Tamara
ISBN
978-3-551-58430-4
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
124
Verlag
Carlsen
Gattung
Buch (gebunden)Erzählung/Roman
Ort
Hamburg
Jahr
2020
Lesealter
14-15 Jahre16-17 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
FreizeitlektüreKlassenlektüre
Preis
13,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Tamara Bach spielt in ihrem für den deutschen Jugendliteraturpreis nominierten Buch „Sankt Irgendwas“ mit den Erwartungen der Rezipient*innen und überzeugt durch eine ungewöhnliche Erzählstruktur.

Beurteilungstext

Was ist auf der Klassenfahrt der 10b passiert? Es muss etwas Schreckliches sein, sonst wäre keine Konferenz mit allen Eltern einberufen worden. Man hat gehört, dass irgendwas in die Luft gejagt worden sei, am Flughafen. Vielleicht fliegt jetzt die gesamte 10b von der Schule. Dann muss es etwas wirklich Schlimmes sein. Die 10b schweigt, alle haben angeblich Arrest, sogar Sofia, die „ganz harmlos“ ist und jeden Tag Hausaufgaben macht.
Mit all diesen ungeklärten Fragen und Spekulationen werden die Leser*innen in die Geschichte katapultiert. Ein abrupter Einstieg in Form eines Dialogs schürt Erwartungen und wirft Fragen auf: Wer unterhält sich hier gerade? Was ist da nun passiert? Die Leser*innen erfahren es nicht und können nur Vermutungen anstellen. Klar ist nur: Irgendetwas scheint auf dieser Klassenfahrt passiert zu sein, Regeln wurden anscheinend gebrochen und nun folgen Konsequenzen. Es bauen sich allerlei Vermutungen auf, was passiert sein könnte; auf jeden Fall muss ein Fehlverhalten seitens der 10b stattgefunden haben, anders kann es nicht sein. Dem Dialogausschnitt folgt der Abdruck einer Mail: Der Klassenlehrer der 10b, Dr. Utz, teilt den Eltern Details der geplanten Klassenfahrt mit. Es ist ein Zeitsprung zurück, wodurch nun Spannung erzeugt wird, denn die Leser*innen werden vermutlich miterleben, was auf der Klassenfahrt passiert ist. Daraufhin ändert sich wieder die Darbietungsform der Erzählung: Es folgen nun Protokolle der Klassenfahrt, die zunächst von unterschiedlichen Schüler*innen angefertigt werden, bis schließlich Ole zum dauerhaften Protokollführer und damit zum Erzähler wird. Diese anfänglichen Wechsel wirken wie ein Ausprobieren verschiedener Erzählfiguren und Stile, bis schließlich der richtige gefunden wird. Adrian zum Beispiel versieht alle Angaben mit Uhrzeiten und spickt den Bericht mit humorvollen Kommentaren, Anna wiederum berichtet knapp, sachlich und ohne Kommentierung. Ole fällt als Protokollant schließlich besonders auf, da sein Schreibstil sehr elaboriert wirkt und er genau und detailreich beschreibt und kommentiert, was geschieht. Durch die Protokolle wird sehr schnell deutlich, dass das Verhältnis zwischen Klasse und Herrn Utz angespannt ist, was vor allen an Herrn Utz selbst zu liegen scheint. Folglich entwickeln die Leser*innen immer mehr Sympathie für die Klasse und die Erwartungen vom Anfang werden nach und nach gebrochen. Narrative Leerstellen bieten viel Platz für Interpretationen. Ein Handy taucht auf, trotz strikten Handyverbots. Die Begründung, die Ole für den Regelverstoß aufschreibt, ist fragmentarisch: Man hat es mitgenommen, weil man gesagt hat, man ist da, wenn es schlimm zu Hause wird, immer. Weil es wichtig ist, dass man da ist. Das Handy wird von Dr. Utz konfisziert, ein*e Schuldige*r soll gefunden werden – und die Klasse hält zusammen. Niemand sagt etwas, alle nehmen die Strafe hin, vielmehr überlegt die Klasse gemeinsam, wie man das Handy zurückbekommen kann. Es wird deutlich, dass ein Gespräch mit Herrn Utz nicht möglich ist, dass hier kein Vertrauensverhältnis herrscht oder Verständnis erwartet werden kann. Die Situation wird immer verfahrener und von einem anfänglichen Misstrauen gegenüber den Schüler*innen seitens der Leser*innen entwickelt sich tiefe Verbundenheit und Verständnis. Einzelne Figuren kommen den Leser*innen näher, auch wenn sie nicht gänzlich gegriffen werden können. Schließlich stellt sich die Frage nicht mehr, was Schlimmes vorgefallen sein könnte, weil den Leser*innen immer klarer wird, warum es vorfallen wird. Der erzählerische Rahmen schließt sich am Ende: eine nächtliche Mail von Herrn Utz, der die Eltern vage über das widrige Verhalten in Kenntnis setzt und den Elternabend einberuft, gefolgt von einem erneuten Dialog über den ungefähren Ablauf des Elternabends. Auch hier werden Fragen nicht geklärt, wird vieles offen gelassen.
Die interessante Erzählstruktur, das Spiel mit Erwartungen, die vielen Leerstellen und die Nahbarkeit, die durch die Erzählfigur Ole hergestellt wird, machen „Sankt Irgendwas“ zu einer lohnenden Lektüre, auch hinsichtlich der Frage, wie wichtig Vertrauen ist und wie man sich als Lehrperson und Schüler*in auf Augenhöhe begegnen kann. Eine Auseinandersetzung im Literaturunterricht bietet sich aufgrund der vielfältigen Potenziale hinsichtlich literarischen Lernens unbedingt an.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von Lisa Ingermann; Landesstelle: Mecklenburg-Vorpommern.
Veröffentlicht am 01.03.2023

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