Roxy. Ein kurzer Rausch, ein langer Schmerz.

Autor*in
Shusterman, NeilShusterman, Jarrod
ISBN
978-3-7373-6120-0
Übersetzer*in
Kurbasik, PaulineLutze, Kristian
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
448
Verlag
FISCHER KJB Sauerländer Duden
Gattung
Erzählung/RomanTaschenbuch
Ort
Frankfurt am Main
Jahr
2022
Lesealter
14-15 Jahre16-17 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
BüchereiKlassenlektüre
Preis
16,00 €
Bewertung
eingeschränkt empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

„Roxy“ verspricht uns Lesern*innen, ein Roman zu sein, in dem das Thema Sucht auf neue Art, nämlich aus der Sicht der Droge, erzählt wird. Doch was uns tatsächlich begegnet, ist eine Geschichte, die das Thema Sucht oberflächlich erzählt und den Leser*innen Fakten vorenthält, die dieses spezielle Thema erst zu einem interessanten machen.

Beurteilungstext

Die Idee hinter „Roxy“ ist, dass die Geschichte einer Sucht aus der Sicht der Droge Oxycodon erzählt wird, die im Buch als verführerisches Mädchen namens Roxy auftritt. Roxy ist Teil der Familie der Schmerzmittel, zu der auch ihr Cousin Phineas (Morphium) oder das Familienoberhaupt Hiro (Heroin) gehören. Daneben gibt es noch die Familien der Aufputschmittel (prominent hier zum Beispiel Charly und Dustin, also Kokain) und die der Halluzinogene (wie Lucy/ LSD). Diese Figuren befinden sich alle auf einer großen Party und ihr Ziel ist es, ein „Eins-Plus“ – einen süchtigen Menschen – an sich zu binden und ihn zu ihrem Oberhaupt zu bringen.

Während der Erzählung wechseln sich die Perspektive von Roxy sowie ihrem Opfer, Isaac, ab. Isaac wird von Roxy nach einer Verletzung abhängig und rutscht immer weiter in die Sucht hinein – hier dargestellt als Liebesgeschichte -, bis er an einer Überdosis stirbt. Parallel wird die Geschichte seiner Schwester erzählt, die von „Addison“ begleitet wird, also dem Medikament Adderall, das bei ADHS verschrieben wird. Auch sie wird abhängig, kann sich aber befreien.

Was nach einer interessanten Idee klingt, ist auf verschiedenen Ebenen nicht gelungen. Sprachlich gibt das Buch – was vermutlich daran liegt, dass es sich um eine Übersetzung handelt – wenig her. Ähnlich wie bei dem Roman „Die Welle“ ist es hier nicht möglich, im Deutschunterricht über sprachliche Aspekte des Erzählens zu sprechen. Beispielsweise wird über einen Rasenmäher resümiert: „Pures Glück, dass niemand getötet wurde, als er vom Himmel plumpste.“ Weder nehme ich den Autoren die Geschichte vom fliegenden Rasenmäher ab, noch wird das „Vom Himmel Plumpsen“ der Sprache von Jugendlichen gerecht oder wirkt für diese ansprechend. Die Sätze weisen keine literarische Qualität auf, wirken plump, auch die Metaphern.

Interessanter könnte die Schriftsetzung sein; die vereinzelt dick gedruckten Buchstaben zu Beginn jedes Kapitels ergeben jeweils eine zweite Überschrift. Zum Beispiel werden im Kapitel „Naloxon“ die Buchstaben al, l, e, i und n fett gedruckt. So ergibt sich das Wort „allein“. Das ist eine nette Spielerei und zumindest mit Schülern*innen ließe sich hier rätseln und über die versteckte Bedeutung sprechen. Mir erscheint diese Idee aber missglückt, zumal sie mich an den inhaltlich und sprachlich hochinteressanten Roman „Crank“ erinnert. In diesem ist der gesamte Text so in Versen angeordnet, dass sich je nach Leserichtung mindestens zwei Bedeutungen ergeben – und dies funktioniert in Deutsch wie in Englisch und regt zum Kreativ Werden an. „Roxys“ Versuch kann damit nicht mithalten.

Das wäre noch zu verkraften, wenn der Inhalt – verwiesen wurde schon auf „Die Welle“ – überzeugen würde. Doch da der Roman sich an der Sichtweise einer Droge entlanghangelt, deren Motive und Charakter höchst begrenzt sind, kann „Roxy“ auch hier nicht überzeugen. Immer wieder wird wiederholt, dass Roxy Isaac mit auf die Party nehmen will, verliebt ist, ihn verführen will. Mehr hat „sie“ nicht zu sagen.
Erfrischender wirken dagegen die Perspektiven von Isaac (und seiner Schwester), da hier „echte Menschen“ sprechen, die handeln und einen Charakter haben. Ihre Geschichte ist nicht unbedingt schlecht erzählt, aber bezogen auf das Thema Sucht bleibt sie so oberflächlich, dass es mich als Leserin nicht berühren konnte. Einzig dass Isaac am Schluss alles tut, um an die Droge zu kommen, zeigt, wie grausam eine Abhängigkeit sein kann. Doch verglichen mit einem brutal offenen Roman wie „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ führt „Roxy“ nicht ansatzweise vor Augen, was Sucht mit einem Menschen macht. Vor allem bleiben dabei die Ursachen außen vor, die zu einer Sucht führen. Mit Isaac Schwester Ivy wird die Tatsache berührt, dass es zwischen ADHS und Sucht eine Verbindung gibt. Alle anderen Gründe werden nicht angesprochen. Was gäbe es hier mit Schülern*innen zu besprechen?

Der größte Makel des Buches liegt aber darin, dass es systematisch die interessantesten Fakten ausblendet. Vielleicht liegt es daran, dass der Roman für den US-amerikanischen Markt geschrieben wurde und jede*r den Kontext kennt. Für deutsche Leser*innen sei erklärt: „Roxy“ ist der fiktive Name für Oxycodon, das in den USA unter dem Namen Oxycontin als Schmerzmittel auf den Markt kam. Teils absichtlich unter Vorspiegelung falscher Tatsachen von der Firma Purdue Pharma vermarktet, nahm die Familie Sackler damit Milliarden ein, trieb Millionen Menschen in die Sucht und Hunderttausende in den Tod und löste die größte Opioidkrise in der Geschichte der USA aus. Wer mehr darüber erfahren mag, dem sei die Serie „Dopesick“ aus dem Jahr 2021 ans Herz gelegt, die das Thema aufarbeitet. „Roxy“ jedenfalls tut es nicht. Damit wird die Chance verpasst, die gesellschaftlichen Hintergründe des Themas zu beleuchten.

So bleibt unausgesprochen, was für ein Medikament Isaac dort gegen seine Schmerzen bekommt – und dass dieses Opiod eigentlich viel zu stark für seine Verletzung ist. Unausgesprochen bleibt auch, dass viele Menschen kriminell werden, um an das Medikament zu kommen beziehungsweise Ärzte Oxycodon verschwenderisch verschreiben, da Isaac es sich problemlos im Internet bestellen kann. Anderes wird dezent angedeutet, wie zum Beispiel, dass das Medikament auch gerauscht werden kann – verschwiegen wird aber, dass viele Jugendliche den Stoff durch die Nase ziehen oder aus Kostengründen auf Heroin umsteigen. Die Liste könnte noch fortgesetzt werden.

Insgesamt entsteht bei mir der Eindruck, dass der Roman zum Thema Oxycodon mehr verschweigt als erzählt, indem er die Perspektive auf die Figur „Roxy“ einengt, die zwangsläufig eindimensional ist. Leider wirft er damit nicht einmal Fragen auf, sondern verdammt sich selbst zur Bedeutungslosigkeit. Das ist umso trauriger, als es zu dem Thema viel zu sagen gäbe. Wer das hören möchte, sollte sich einem anderen Buch zuwenden.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von KB; Landesstelle: Berlin.
Veröffentlicht am 17.06.2022

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