Nicky & Vera. Ein stiller Held des Holocaust und die Kinder, die er rettete

Autor*in
Sís, Peter
ISBN
978-3-8369-6151-6
Übersetzer*in
Jakobeit, Brigitte
Ori. Sprache
Illustrator*in
Sís, Peter
Seitenanzahl
64
Verlag
Gerstenberg
Gattung
BilderbuchBuch (gebunden)
Ort
Hildesheim
Jahr
2022
Lesealter
10-11 Jahre12-13 Jahre14-15 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
BüchereiFreizeitlektüre
Preis
18,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Den Autor Peter Sís und die beiden Hauptpersonen seines trotz der grausamen Thematik märchenhaft anmutenden Bilderbuches "Nick & Vera" verbindet eine Gemeinsamkeit: Alle drei sind real existierende Persönlichkeiten mit biographischem Bezug zur Tschechoslowakei. Geschildert wird in Bildern und Texten die Rettung von 669 jüdischen Kindern in den Jahren 1938/39 aus Prag nach England durch den jungen Engländer Nicholas (= Nick) Winton, dessen Eltern aus der Tschechoslowakei stammten. Eines der geretteten Kinder war Vera Gissin aus einem kleinen tschechischen Dorf und der Autor Peter Sís wurde 1949 in Brünn geboren, studierte Kunst in Prag und London und wanderte später in die USA aus.

Beurteilungstext

Im Herbst 1939 besetzte Nazi-Deutschland das Sudetenland, im November kam es zu den organisierten Pogromen gegen die jüdische Bevölkerung. Aus diesem Grund befanden sich im Dezember 1938 bereits 250.000 jüdische Flüchtlinge in Prag. Großbritannien gestattete es in dieser Zeit jüdischen Jugendlichen bis 17 Jahren, in ihr Land einzureisen, wenn sie von einer englischen Familie aufgenommen wurden und 50 britische Pfund dabei hatten, damit sie nach Ende der `Krise`, so die optimistische Vorstellung, wieder in die Tschechoslowakei zurückreisen können!

Nicholas Winton, ein junger Engländer mit tschechischen Wurzeln, war Banker in London und hörte von den Repressionen gegen die dortigen jüdischen Bürger. Statt eines geplanten Skiurlaubs reiste er deshalb nach Prag, um zu helfen. Er stellte in einem Hotelzimmer in Prag Listen mit ausreisewilligen jüdischen Kindern zusammen, bemühte sich für sie von London aus um englische Gastfamilien und kümmerte sich auch um die notwendigen Ausreisepapiere. Auf diese Weise gelang es ihm, bis August 1939 in insgesamt 8 Zügen 669 jüdische Kinder nach England in Sicherheit zu bringen. Der 9. Zug, in dem sich weitere 250 jüdische Kinder befanden, sollte am 01.09.1939 Richtung England losfahren, doch das verhinderte Nazi-Deutschland mit seinem Beginn des 2. Weltkriegs.

Diesen historischen Sachverhalt fasst der Autor konzentriert in einem dreiseitigen Textbeitrag am Ende seines insgesamt poetisch gestalteten Bilderbuchs zusammen. Dabei dominiert die besonders gestaltete Bilderwelt, versehen mit knappen Textzeilen. Auf jeweils einer Doppelseite werden in aussagekräftigen Illustrationen zunächst Nicks Kindheit und Jugend und dann rund 30 Jahre später Veras Kindheit in Form variierender symbolischer Lebenskreise dargestellt. Mit filigranen Tuschezeichnungen, dezenter Aquarellierung und entsprechender Kreidemalerei bringt Peter Sís auf diese Weise das glückliche Heranwachsen der beiden Protagonisten sinnfällig auf die Buchseiten. In dunklen Farbtönen erscheint dagegen das aggressive Eindringen der deutschen Soldaten oder auch die nächtliche Zugfahrt Veras ins Ungewisse in Richtung England. Mit dieser doppelten Symbolkraft, also der Farbgebung und der verschiedenartigen Gestaltung der Lebenskreise auf den Doppelseiten gelingt es dem Autor eindrucksvoll, die Einzelschicksale von Nick und Vera als Mikrokosmos mit dem politischen Geschehen als Makrokosmos zu kontrastieren.

Dieses historisch verbürgte Geschehen wird nach Kriegsende fortgesetzt. Zunächst fährt Vera in ihre Heimat zurück, trifft dort aber keinen ihrer Familie mehr lebend an und kehrt nach England zurück. Nick engagiert sich in England in verschiedenen sozialen Projekten und gründet auch eine Privatschule. Spät entdeckt seine Frau auf dem häuslichen Dachboden eine Kiste mit den von ihm erstellten Ausreisepapieren für die jüdischen Kinder. Sie arrangiert es, dass im Rahmen einer BBC-Fernsehsendung Nick mit Vera und weiteren von ihm geretteten ehemaligen Kindern zusammengeführt werden. Auf diese Weise erfährt Nick späte Ehrungen für seine gewichtigen Rettungsaktionen, lebt aber weiterhin bescheiden und als stiller Held, bis er 2015 im Alter von 106 Jahren stirbt.

All diese dramatischen und existentiellen Vorgänge werden von Peter Sís eindrucksvoll in poetische Bilderwelten eingebracht, die sich bereits für Kinder ab 10 Jahren fast von allein erschließen. Die ganze Tiefe der symbolkräftigen Darstellung kann dann mit Hilfe von Erwachsenen wie zugleich auch für diese selbst entdeckt werden. Und als abschließende kontrastive Kritik kann der erwachsene Betrachter, die erwachsene Betrachterin, darauf hinweisen bzw. sich selbst bewusst machen, was Großbritannien aktuell und im Widerspruch zur Europäischen Menschenrechtskonvention mit seiner "Illegal Migration Bill" plant und auch, wie sich die gesamte EU bezüglich der aktuellen Migrationssituation verhält!

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Diese Rezension wurde verfasst von KS; Landesstelle: Niedersachsen.
Veröffentlicht am 28.08.2023