Nächte im Tunnel

Autor*in
Woltz, Anna
ISBN
978-3-551-58474-8
Übersetzer*in
Kluitmann, Andrea
Ori. Sprache
Niederländisch
Illustrator*in
Seitenanzahl
222
Verlag
Carlsen
Gattung
Buch (gebunden)Erzählung/Roman
Ort
Hamburg
Jahr
2022
Lesealter
14-15 Jahre16-17 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
BüchereiFreizeitlektüreKlassenlektüre
Preis
16,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Bombardierungen in London im September 1940… Jede Nacht verbringen die 14-jährige Ella und ihr 9- jähriger Bruder Robbie mit ihrer Familie im überfüllten U- Bahntunnel. Dort treffen sie die 15- jährige Quinn und den 16-jähigen Jay. Sie suchen Schutz, helfen einander und verlieben sich. Dieser Jugendroman thematisiert das Erwachsenwerden in Zeiten des Krieges.

Beurteilungstext

Die Geschichte wird aus der Sicht der 14-jährigen Ella „Hinkebein“ erzählt und beginnt mit einer Vorschau: „Wir sind jetzt zu dritt. Wir waren zu viert, aber einer von uns wird sterben… Besser, du weißt das, bevor ich anfange… Drei haben alles überstanden. Die Bomben, die Brände, die Nächte. Unser Leben fängt gerade erst an… (S.5).
Jugendliche können den zeitgeschichtlichen Roman zugleich als Liebesgeschichte lesen, obwohl der Krieg in allen 39 Kapiteln des Buches allgegenwärtig ist. Er widerspiegelt sich in den Schicksalen der Protagonisten auf die unterschiedlichste Weise als persönlicher Überlebenskampf, beeinflusst von ihrer unterschiedlichen sozialen Herkunft. Quinn hat, wie bereits ihr älterer Bruder, heimlich das Landgut ihrer „steinernen, archaischen und rigiden“ Eltern verlassen. Gebildet und selbstbewusst, verfügt die Lady über erste sexuelle Erfahrungen mit „Pimmeln“, die sie aufklärerisch an Ella weitergibt. Exotisch verkleidet in der Hose eines Stallknechts, mit einer Tasche voller Juwelen will sie in London als Krankenschwester arbeiten. Jay ist Halbwaise, ein „charmanter Typ“, mit seinen 16 Jahren „zu jung für einen Soldaten, aber zu alt für einen Schuljungen“. Er hat nichts gelernt und träumt von einem späteren Leben in Amerika. Jetzt aber „verdient“ er am Krieg. Er besorgt und verkauft Schlafplätze im Tunnel und hat eine Gepäckaufbewahrung für Wartende organisiert. Manchmal plündert er in zerbombten Ruinen. Er schleppt und schuftet, um sich und seine drei kleineren Geschwister durchzubringen: „Wer sagt, dass man nicht für sich selbst sorgen darf, wenn sonst niemand das tut? Unsere Stadt wird weggefegt und was können wir tun? Nichts! Wir sehen London vor unseren Augen abbrennen, während wir gerade mit unserem armseligen Scheißleben angefangen haben.“ (S.126/127). In diesen Jungen verliebt sich Ella „Hinkebein“, ein mageres, blasses, ängstlich und schüchtern erscheinendes Mädchen, das im Tunnel gegen ihre Ohnmachtsanfälle und Panikattacken kämpft, Nachwirkungen einer gerade überstandenen Polioerkrankung. Sie fühlt sich zwar geborgen in ihrer Familie, die Geschwister kümmern sich umeinander. Jedoch psychologische Hilfe durch ihre Eltern beim Umgang mit ihrem lebenslangen gesundheitlichen Handicape vermisst sie ebenso wie sexuelle Aufklärung beim Erwachsenwerden. Der Vater löscht als „Nachbarschaftswächter“ Brandbomben, die Mutter kümmert sich im Freiwilligenkomitee um obdachlos gewordene Menschen, die in Ellas Schule beherbergt werden. Auch Quinn und Jay helfen dort gelegentlich mit, bis eines Tages im Keller dieser Schule eine Bombe explodiert… Ella hat ihr Krankenhaustagebuch inzwischen schon vernichtet und sich so verabschiedet aus ihrer geträumten Jungmädchenwelt „voller Luftballons bis hin nach Amerika“. Sie will Schriftstellerin werden und schreibt als erstes eine Geschichte zur Erinnerung an Quinn. „Den Rest meines Lebens werde ich hinken, das weiß ich. Aber ich brauche nicht den Rest meines Lebens Angst zu haben… Wir haben diesen Krieg nicht angezettelt und wir bekommen nicht die geringste Chance, ihn zu beenden… Ich möchte nicht sterben… Ich will weiter… Ich will wissen, was jetzt kommt und später und morgen…
Ella erzählt über sich und die anderen in der Ich – Form und im Präsens in einer anschaulichen, verständlichen, jugendgemäßen Sprache. Gleichzeitig gibt sie in inneren Monologen Einblick in die Gedanken und Gefühlswelt eines jungen Mädchens und ihrer Peergroup. Hervorzuheben ist die konkrete Darstellung der ersten sexuellen Erlebnisse. Daher können und sollen sich junge Leser, sowohl Mädchen als auch Jungen, mit den Protagonisten identifizieren. Zum Schluss - 6 Jahre später ist der Krieg vorbei… Ella ist 20, Jay mit 18 Jahren einberufen, aus dem Krieg zurück. Beide stehen an der Reling eines Schiffes auf dem Weg in eine neue Welt. „Ein neues Leben.“

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Diese Rezension wurde verfasst von Kra; Landesstelle: Sachsen.
Veröffentlicht am 12.10.2022