Mit offenen Augen

Autor*in
Oates, Joyce Carol
ISBN
Übersetzer*in
Kollmann, Brigitt
Ori. Sprache
Amerikanisch
Illustrator*in
Seitenanzahl
Verlag
dtv
Gattung
Ort
München
Jahr
2007
Lesealter
Einsatzmöglichkeiten
Preis
8,00 €
Bewertung
nicht empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Die 15-jährige Francesca sieht mit an, wie die Ehe ihrer Eltern vor die Hunde geht und die ganze Familie gleich mit dazu.

Beurteilungstext

Auf dem Band prangt das Bild von einem etwa 13-jährigen Mädchen, mit gar nicht mal so grünen Augen, freigelegten Schultern und einer ansehnlichen Klavikula. Das ist st schon auf den ersten Blick nicht besonders ansprechend - und auf den zweiten erst recht nicht.
Irgendwie hat man das Gefühl, gleich einen dieser unsäglichen Jugendromane über magersüchtige Teeniegirls aufzuschlagen, doch es kommt anders.
Francescas Vater Reid Pierson, berühmter Sport-Journalist, neigt zu häuslicher Gewalt (was dem Leser erst sehr spät klargemacht wird) und scheint Francesca, genannt Franky, und ihre zwei Geschwister des Öfteren zu "disziplinieren", wie er es nennt. Das heißt: beschimpfen und misshandeln. Die Mutter Krista, bescheidene Hausfrau und - wenn es ihr Mann denn erlaubt - sogar Künstlerin, beginnt mit schüchterner Vehemenz ihre Freiheiten einzufordern. Als sie plötzlich verschwindet, zusammen mit einem homosexuellen Nachbarn, bricht das wohlgehütete Pseudo-Familienleben der Familie Pierson zusammen und der Leser darf zuschauen - oder lesen - wie die Protagonistin Francesca Pierson, zweitältestes Kind, das Geschehen verfolgt und mitbestimmt.
Beinahe tagebuchartig gewinnt man diverse Einblicke in allzu intime Momente im Kreise der unglücklichen Familie: Hier und da ein paar Schläge, ab und zu ein Herumschreien und dann doch wieder "Ich liebe dich, Schätzchen!"-Gebrabbel. Geradezu unerträglich wird der Drang, das Buch zuzuschlagen und in eine dunkle, verstaubte Ecke zu schmeißen, wo man es beim Auszug - höchstens dann! - wiederfindet und endgültig in der Mülltonne deponiert.
Ich ringe mich jedoch durch - mit dem scheinheiligen Argument, dass ich doch wissen wolle, wie es ausgeht.
Abgesehen aber von der gerade zu apokalyptischen Handlung ist der Schreibstil Joyce Carol Oates' einfach nur noch abartig. Mit einer Mischung aus Protokoll und Tagebuch, gespickt mit Dialogen und Schilderungen aus Reid Piersons Berufsleben sowie dem etlicher anderer Personen, schafft es die Autorin zumindest mich - noch immer - mit einer derartigen Abscheu zu erfüllen, dass mich das Durchlesen des genannten Bandes viel Geduld und Durchhaltevermögen kostete. Ganz abgesehen von den depressiven Stimmungsschwankungen, die mich danach plagten.
Immer wieder wird das Beschreiben langweiliger, von Gleichmut erfüllter Gedankengänge unterbrochen von plötzlichen Gefühlsausbrüchen, die dem Leser wohl ein Paar Tränen oder freundliche Auflacher abdrücken sollen, mich aber lediglich den letzten Nerv gekostet haben.
Ich übergehe hier aber gerade das Wichtigste:
FREAKY GREEN EYES!
Das ist die rebellische Seite Francescas, die quasi als zweite Persönlichkeit in ihr lauert und in gewissen Momenten hochintelligente und raffinierte Worte in Francescas Mund legt, um sie den bösen Erwachsenen (außer ihrem Vater!) vor den Latz zu knallen und sich danach über die Reaktionen zu freuen. Das nennt sie dann "scharfsinniger Freaky-Gedanke", und der Leser beginnt sich zu fragen, welchen IQ das Mädchen denn wohl hat, und ob "Freaky" denselben Grad erreicht. Oder womöglich noch weniger. Oder was?
Das Schönste an der ganzen Sache ist, wie Freaky Green Eyes zu "ihr gekommen ist", wie Francesca selbst zu sagen pflegt: Bei einer versuchten Vergewaltigung.
Ein junger, netter Gentleman entführt sie bei einer Party in den Nebenraum und bei ihrer Flucht vor ihm (Tritt ihm in die Eier, Baby!), schreit er ihr volltrunken etwas von Freaky Green Eyes hinterher - Francesca hält es für DIE Eingebung schlechthin und seitdem ist es das intelligentere und scharfzüngigere Etwas in ihrem Kopf. Oder Bauch, oder sonstwo. Freaky ist seit dieser Stunde immer im Hintergrund (oder auch nicht) und lauert, erhellt den Geist der etwas minderbemittelten Francesca und nervt den Leser.
Dank der anstrengenden Angewohnheit der Autorin oder Übersetzerin, sich nicht für nur ein wunderbares Adjektiv entscheiden zu können und die dazu passende Unfähigkeit, Kommata zu setzen, dafür aber Slashs ("Verwirrt*slash*Verletzt*Slash*stoisch dreinblickende Augen"), wird der Leser zunehmend meschugge und weiß später nicht mehr, was er denken soll. Womit man mehr und mehr das Gefühl gewinnt, das sei alles nur ein Manuskript, oder man könne jetzt die Option wählen, die einem am besten gefällt und den Rest wegstreichen.
Das Schlimmste aber an diesem ganzen verdammten Buch ist die unübertroffene Blödheit der Protagonistin, trotz ihrer Freaky oder gerade deswegen. Als Leserin erscheint mir dieses Mädchen wie der Ausbund an Dummheit und Egoismus, dass sie, ganz das Klischeebild eines pubertierenden Teenagers, die Augen verschließt vor der Brutalität ihres liebenswürdigen Vaters, keinen einzigen Zusammenhang erkennt (oder erkennen will), einfach stehen bleibt und sich in ihrem Selbstmitleid förmlich ersäuft.
Man fragt sich, wozu es überhaupt Freaky gibt, und just in diesem Augenblick verschwindet die gepeinigte und von den Kindern schmerzvoll gehasste Mutter spurlos. Francesca findet das Tagebuch ihrer Mutter (entdeckt ihre unsterbliche Liebe zu selbiger wieder) und so erfährt sie von der Angst der Mutter vor dem Vater. Fesselnd ist selbst diese Stelle jedoch nicht. Der Leser ahnte und wusste es von Anfang an. Ganz ohne die Hilfe einer scharfzüngigen Freaky.
Dann geht es plötzlich ganz schnell: Noch ein paar Schilderungen von krankem Psychoterror und noch ein kräftiger Backenstreich von Papi, dann kommt's raus: Daddy hat Mummy erschossen und von der Brücke geworfen, weil er eifersüchtig war. Und weil Daddy homophob ist, hat er dasselbe mit Mummys homosexuellen Nachbarn getan, der, unglücklicherweise, in derselben Galerie wie Mummy Keramiktöpfe ausgestellt hat.
Ich bin schockiert und doch war es nur zu erwarten. Plötzlich scheint die ganze Handlung sinnvoller: abartiges Ende erfordert eben abartige Handlung.
Oates Versuch, ein schreckliches Familiendrama dokumentarisch zu schildern und einen Apell gegen Gewalt, insbesondere die häusliche, an die Öffentlichkeit zu richten, ist dramatisch gescheitert. Die Vermischung der verschiedenen Stile hat fatale Auswirkung auf den Lesegenuss und gibt einem das Gefühl, nicht Leserin, sondern Lektor zu sein. Schade, dass ich in mein Exemplar nicht reinschreiben konnte. Ich denke, es wäre eh nicht genug Platz da gewesen für meine Kommentare!
Mir stellen sich aber vor allen Dingen diese Fragen (mit an Dringlichkeit steigendem Grad): Wie kann man so etwas schreiben? Wie kann man mit so etwas zu einem Verlag gehen? Und welcher Verleger hat es zu allem Übel dann auch noch veröffentlicht??!
Ich kann nur raten, dieses Buch auf keinen Fall zu lesen. Es macht schlechte Laune, ist schlecht geschrieben und für alle diese Eigenschaften einfach viel zu lang. Mal ehrlich, fünf Seiten davon hätten locker gereicht.
(Lydia Sarges, 9a, 01.04.08)

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Diese Rezension wurde verfasst von jh.
Veröffentlicht am 01.01.2010

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