Mein Bruderbuch

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Teaser

""Sendaks Vermächtnis"" klingt sehr pathetisch, aber das trifft das Buch ebenso gut wie ""Sendaks Rückblick"". Texte wie Bilder sind dieses Mal offensichtlich nicht für Kinder gedacht, aber sie berühren alle, die sich je wenigstens ein wenig mit Sendaks Büchern für Kinder beschäftigten. Seine ""Wilden Kerle"" waren ja fast ein Aufschrei damals, dass man das Kindern bestimmt und auf keinen Fall zumuten dürfe! Wir haben dazugelernt.

Beurteilungstext

Einer der ganz Großen der Kinder- und Jugendliteratur starb 83-jährig im Jahr 2012: Maurice Sendak. 2013 erschien in den USA sein letztes Buch, das nun 2014 in der deutschen Version im Aladin Verlag erschien, der sich nicht nur mit diesem Buch darum kümmert, dass Sendak auch neueren Generationen viel zu sagen hat.
Hier hat er allerdings eher den Eltern etwas mitzuteilen, das sehr berührend ist, weil es den Autor selbst betrifft. 17 Jahre nach dem Tod seines Bruders Jack und fünf Jahre nach dem Tod seines Lebensgefährten, dem Psychoanalytiker Eugene Glynn, (die eheähnliche Verbindung wurde noch bis 2008 geheim gehalten), arbeitet Sendak seine Beziehung zu seinem Bruder und zu seinem bevorstehenden Tod auf. Zwölf Bilder zeichnet er, malt er, lässt er seiner Hand fast freien Lauf. ‚Fast' heißt, dass sich Einfluss Bahn bricht, um das zu gestalten, was sich tief eingegraben hat.
Wie man sehen kann, hat Sendak in seinem ""Bruderbuch"" William Blakes Bilder mehr als zitiert, hat sie aufgesogen und in ""Sendaks"" verwandelt. Sehr eindringlich und gut nachvollziehbar hat Mark Crosby, ein Schüler von Blake, das aufgezeigt und auf ""Songs of Innocence and Experience"" hingewiesen (siehe dazu http://www.philnel.com/2013/03/09/sendakblake/).

Noch deutlicher als bei den Bildern sieht man am Text, dass Sendak hier kein Buch für Kinder schrieb, sondern - vielleicht in einer elegischen Phase der Erinnerung - seine Wörter formt im Stil der englischen Klassiker, auch wenn er kein Versmaß festlegt, wenige Reime nutzt, sich kein strenges Korsett anlegt. Die englischsprachigen Webseiten versuchen, Verbindungen zu Shakespeare herzustellen.
Die deutsche Übersetzung schwankt zwischen wort- und inhaltsgetreu, übersetzt ""bleak"" mit ""rau"" (‚bleich' träfe vielleicht eher, denn ‚rau' passt nicht, sehen wir doch warme Farben und viel pflanzliches Grün im zugewandten Bild); für ""in two"" gibt es das gute deutsche Wort ""entzwei"" (anstatt ""in zwei""); für ""his poor nose froze"" wäre ""Seine Nase eingefror'n"" vielleicht besser als ""die Nase ganz steif"" ... Wer nicht auf Reime oder Versmaß achten muss, dennoch lyrisch denken und übersetzen darf, ist ziemlich frei - wenn er der Intention des Autors folgt. Die Übersetzung ist also ein kleiner Wermutstropfen.
Die für Sendak völlig untypischen Bilder sind wässrig, undeutlich, zeigen schwarze Übermalungen mit Linien, Krakeluren - und bleiben dennoch sehr unbestimmt, passen auch nur bedingt zum ebenso unbestimmten Text.

Entweder legt man das Buch sogleich zur Seite (""Was soll das denn?"") oder man beginnt zu forschen, neu zu schauen, findet Vergleiche, vermutet, was Sendak wohl bewegt haben mag, schaut nach Vergleichlichem oder Andeutungen in seinen Kinderbüchern. Dann lässt einen das Buch, das wohl in der Größe, nicht aber in der Dicke einem Kinderbuch nahekommt, allerdings nicht so leicht los. Vorsicht ist also geboten.