Kafkas Puppe

Autor*in
Schneider, Gerd
ISBN
978-3-401-06081-1
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
218
Verlag
Arena
Gattung
Erzählung/Roman
Ort
Würzburg
Jahr
2008
Lesealter
12-13 Jahre14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
12,95 €
Bewertung
eingeschränkt empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Eine Puppe geht verloren. Was könnte einen größeren Verlust bedeuten für ein kleines Mädchen aus einem Waisenhaus. Traurig sitz sie auf einer Bank im Park. Ein berühmter Schriftsteller versucht sie zu trösten. Für die kleine Lena schickt Franz Kafka 1923 die Puppe auf eine lange Reise, von der sie Briefe an ihre Besitzerin sendet.
Ein Roman, der auf Tatsachen beruht: Kafka war in diesem Park und er traf das weinende Mädchen auf der Bank. Die Briefe gab es auch - allerdings sind sie bis heute una

Beurteilungstext

Es steckt viel drin in diesem Roman. Gerd Schneider erzählt die Geschichte der kleinen Lena. Sie sitzt eines Tages traurig auf einer Bank im Park. Ihre Puppe ist verloren gegangen. Jemand scheint sie gestohlen zu haben. Für das in einem Heim lebende Mädchen ein unendlich großer Verlust. Kafka, krank und schwach, arm und fremd in der großen Stadt, trifft auf das traurige Mädchen. Und er folgt einem Impuls, sie trösten zu wollen. So erfindet er die Geschichte der reisenden Puppe. Sie schreibt Briefe an ihre Besitzerin und lässt ihr diese über Kafka zukommen. "‚Eine schöne Briefmarke.' ‚Ja, mit Tauben drauf.' Lena betrachtet aufmerksam die Briefmarke, sieht Franz zweifelnd an, als sei sie sich auf einmal gar nicht mehr sicher, was hier abgelaufen ist. Eine Briefmarke bedeutet, dass der Brief von irgendwoher kommt. ‚Woher kommt der Brief?' ‚Von deiner Puppe. Sie ist auf eine Reise gegangen und schreibt dir.'"
Vor diesem Hintergrund entfaltet der Autor eine Vielzahl von Erzähl- und Betrachtungsebenen. Da ist das Leben eines Kindes in einem privaten Heim zur damaligen Zeit. Der Wert eines Kindes in der damaligen Gesellschaft. "Heute gibt es im Heim Rübensuppe und sogar Apfelmus und für jeden eine Birne zum Nachtisch. Vielleicht kommt wieder der Mann vom Amt, denkt Lena. Dann schaut Mutter Krall immer, dass die Kinder nicht verhungert aussehen." Dann Kafka, seine Liebe und seine Krankheit. "Mit Dora spricht er nicht über den Tod, mit ihr trifft er keine Reglungen für den Fall der Fälle. Sie sind glücklich, sie leben von einem Tag zum anderen, es könnte immer so weiter gehen, solange sich die Zeichen der Krankheit nicht mehren, solange sich die Symptome bekämpfen lassen und der Kampf gegen die Tücken des Alltags nicht verloren gegeben wird." Sein Leben und seine Beziehung zum Vater, seine berufliche Ausbildung und Ausübung dieses Berufes. Seine Literatur schließlich. Die Gesellschaft mit ihren politischen Umwälzungen, der Grund auf dem die Saat des Nationalsozialismus aufgehen wird. Da ist die Inflation, die Armut, die Kafka und so viele Menschen gefangen hält und sie im Winter in unendliche Kälte einschließt.
Der Autor erzählt diese Geschichte mit vielen Bezügen und Verweisen auf Kafkas berühmteste Werke: "Der Prozess", "Die Verwandlung".... Szenen aus diesen Romanen und Erzählungen werden zitiert, nachgestellt, in Bemerkungen eingeflochten. "Der Mann wird aus seinem Keller herausstürzen'" erzählt Kafka in Anbetracht der immer knapper werdenden Kohlevorräte, "und rufen, oh, unsere beste Kundschaft! Immer pünktlich bezahlt! (...) Nicht auf dem fliegenden Teppich. Mit unserem wunderbaren Kohlenkübel reiten wir, liebste Dora.' (...) Er sagt ihr allerdings nicht, das seine Geschichte vom Kübelreiter, im vorigen Jahr geschrieben, (...), gar kein gutes Ende nimmt (...)." Ein unendlicher Quell an Informationen steht Schneider zur Verfügung. Er, der sich schon lange mit dem Schriftsteller und Mensch Franz Kafka beschäftigt. Fast scheint es, als hätte er sich nicht ganz entscheiden mögen, welchen Aspekt des Lebens er betrachten möchte. Und so hat er einfach alles verarbeitet. Zuträglich ist das nicht wirklich. So sind die Sprünge zwischen privater Not, gesellschaftlichem Druck und politischer Dramatik, montiert neben literarischen Versatzstücken und Zitaten ein wenig mühsam bis nervig.
Natürlich erfährt man auch eine ganze Menge. Es ist ein "Seiltanz zwischen Fiktion und Wirklichkeit", den Schneider wagt. Kafka traf dieses Mädchen tatsächlich im Oktober 1923, wie Dora in einem ihrer Briefe erwähnt. Die Post an das Mädchen jedoch ist verloren gegangen. Und so begleiten Motive aus Kafkas Werken die Erzählung: Zelluloidbälle aus "Blumfeld, ein älterer Junggeselle" begleiten hier Lenas Puppe, "Die kleine Frau", eine Erzählung, in der Kafka seine Berliner Wirtin porträtiert - hier treffen wir sie wieder. Singende Wölfe aus "Forschungen eines Hundes" und so weiter. Wo man all diese Originaltexte nachlesen kann, findet sich in einer erstaunlich kurzen Bibliographie: Ganze zwei Bücher sind dort vermerkt. Für einen Literaturwissenschaftler und Kafka-Kenner hätte man sich mehr erwartet.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von ar.
Veröffentlicht am 01.01.2010

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