Ist das okay? Ein Kinderfachbuch zur Prävention von sexualisierter Gewalt

Schlagwörter

• Emanzipation
• Gefühle
• Gewalt
• Kindheit
• Sexualität

Teaser

Dieses Kinderfachbuch zur Prävention von sexualisierter Gewalt lädt Kinder ab 6 Jahren zur gemeinsamen Lektüre mit Bezugspersonen/Eltern/pädagogischen Fachpersonen ein. Ein großartiges Buch, das mit dem Tabu des Sprechens über sexualisierte Gewalt ganz unaufgeregt bricht und Kindern dabei helfen will, grenzverletzendes Verhalten als solches zu erkennen. Erwachsene fordert es explizit dazu auf, (mehr) Verantwortung für den Schutz von Kindern zu übernehmen, indem sie sexualisierte Gewalt kindgerecht zum Thema machen.

Beurteilungstext

„Wie kann es uns als Eltern, Bezugspersonen und Fachpersonen gelingen, Kinder möglichst vor sexualisierter Gewalt zu schützen, ohne sie einzuschränken und Angst zu verbreiten?“, fragt Lavoyer im Vorwort des Buches. Vor dem Hintergrund meiner eigenen Kindheitserfahrungen, wo ich immer nur vor dem bösen, fremden Mann oder dem ebenso fremden Exhibitionisten, der plötzlich aus dem Gebüsch springt, gewarnt wurde, finde ich diese Fragestellung enorm wichtig. Denn sexuelle Ausbeutung von Kindern vollzieht sich in nur 3% der Fälle durch Fremde, also sind Opfer und Täter:innen in den allermeisten Fällen einander bekannt oder sogar gut vertraut. Als Kind hätte mir das Wissen, dass auch Menschen, die ich gut leiden kann, meine Grenzen achten müssen und dass es diese Nuancen von Übergriffigkeit sind, die es schwer machen, sie als solche zu identifizieren, zu mehr Selbstsicherheit und weniger Angst vor dem "perversen Unbekannten" verhelfen können. Es ist nachvollziehbar, dass wir uns nur schwer vorstellen können oder wollen, dass uns vertraute Menschen zu Täter:innen von sexualisierter Gewalt werden können, aber es ist enorm wichtig, Kindern ein realistisches Bild der Bedrohungslage zu vermitteln und keine unrealistischen Horror-Szenarien zu verbreiten - denn damit erhöhen wir nur die Schwelle für Kinder, um über Übergriffe aus dem Bekannten-, Freundes- oder Familienkreis zu sprechen.

Wie also muss gute Präventionsarbeit aussehen?
Der Ansatz, ein Umfeld zu schaffen, in dem offen über Grenzverletzungen und sexualisierte Gewalt gesprochen wird und damit potenzielle Täter:innen im Vorfeld bereits abzuschrecken, erscheint mir vielversprechend zu sein. Und dieses Buch bietet mit den übergeordneten Rubriken „Wissen schützt“, „Gemeinsam Grenzen entdecken“ und „Kein Geheimnis mehr“ eine super Grundlage, um miteinander ins Gespräch zu kommen. Wie der Titel des Buches schon verrät, geht es darum, sich während der Lektüre immer wieder selber Fragen zu stellen, ob etwas okay ist – oder ob es die (eigenen) Grenzen überschreitet. Um (als Kind und mögliche:r Betroffene:r) über sexualisierte Gewalt sprechen zu können, bedarf es zunächst einmal, ganz simpel: eines passenden Vokabulars, mit dem sich alles benennen lässt, was involviert sein kann. Das Sprechen über den Intimbereich und die (korrekte, nicht verniedlichte!) Benennung seiner Bestandteile schult zudem die Körperwahrnehmung des Kindes, lässt sich in dem klein gedruckteren Bereich der Rubrik „Wissen schützt“ lesen. Außerdem senkt es sicherlich die Hemmschwelle des Kindes, Dinge anzusprechen, mit denen es ihm nicht gut geht, wenn es merkt, dass das auch für die Erwachsenen kein tabuisiertes Thema ist.
Die Passagen, die sich explizit an Kinder richten, sind in größerer Schrift gedruckt, aber generell gilt: Alles darf von allen gelesen werden.
Zwischendrin finden sich immer wieder Seiten mit Fakten, so z. B. darüber, dass jedes 7. Kind in Deutschland sexualisierte Gewalt erfährt, also drei bis vier Kinder pro Schulklasse. Unter der Überschrift „Gemeinsam Grenzen entdecken“ finden sich großflächige, realitätsnahe Illustrationen von Anna-Lina Balke, die alltägliche Situationen des Miteinander darstellen und an denen sich Fragen wie „Wer darf dich trösten und wer nicht?“ oder „Darf dich eine erwachsene Person auffordern, auf ihrem Schoß zu sitzen?“ anschaulich diskutieren lassen.
Sowohl auf sprachlicher, als auch auf bildlicher Ebene ist das Buch inklusiv gestaltet. Es wird gegendert und es wird auf die besonders vulnerable Gruppe von Kindern mit Behinderung hingewiesen. Auch das Thema sexualisierte Gewalt in digitalen Netzwerken findet seinen Platz, ebenso das Thema Pornographie. Im hinteren Teil des Buches widmet sich Lavoyer den „Tricks der Täter:innen“, also dem manipulativen Vorgehen von Erwachsenen, die mit Aussagen wie „Das ist unser Geheimnis!“ oder „Das, was wir machen, ist normal!“ verhindern wollen, dass betroffene Kinder sich jemandem anvertrauen. Deshalb schließt das Buch sowohl mit Hinweisen für Freund:innen/Helfer:innen von Betroffenen, als auch mit weiterführenden Unterstützungsangeboten in der Schweiz/in Österreich/in Deutschland. "Ist das okay?" ist nicht unbedingt dafür gedacht, es an einem Stück zu lesen, sondern es bietet sich auch dafür an, die Lektüre zu unterbrechen und immer mal wieder hineinzulesen, wenn gerade Raum/Bedarf da ist.
Absolut empfehlenswert!

Anmerkung

Meines Erachtens eignet sich "Ist das okay" auch gut für den Einsatz im Grundschulunterricht. Mit dem vielfältigen Fragenkatalog lässt sich das Thema "Grenzen" auch im Klassenverbund sicherlich gut diskutieren. Es kann spannend sein, zu erfragen, wo die Grenzen der anderen Kinder liegen und ich denke, dass sich das Thema Konsens (was ja auch für die eigene Sexualität von enormer Bedeutung ist) hiermit schon kindgerecht anbahnen lässt.