Doch meine Seele hat Narben. Wie Niusia Horowitz dank Oskar Schindler den Holocaust überlebte

Autor*in
Engelmann, Reiner
ISBN
978-3-570-31434-0
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
315
Verlag
cbj/cbt
Gattung
BiografieSachliteratur
Ort
München
Jahr
2022
Lesealter
14-15 Jahre16-17 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
BüchereiKlassenlektüre
Preis
10,00 €
Bewertung
empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Eine geraubte, eine zerstörte Kindheit: Niusia gerät als Sechsjährige in die Vernichtungsmaschinerie der nationalsozialistischen Judenverfolgung. Das polnische Mädchen und ihre Familie überleben die unvorstellbaren Qualen und Demütigungen der Kriegszeit vor allem wegen des Einsatzes von Oskar Schindler. Engelmann stellt das Schicksal der Familie Horowitz und Rosner in seinem erzählerischen Sachbuch dar.

Beurteilungstext

Bronislawa wird von allen Niusia genannt. Sie verlebt eine glückliche und behütete Kindheit in der alten polnischen Hauptstadt Kraków (Krakau). Ihre Eltern stammen aus bürgerlichen Gesellschaftsschichten; Rosners, die Verwandten der Mutter, sind begabte und erfolgreiche Musiker. Niusia bekommt ein Brüderchen - Ryszard - und freut sich auf die Einschulung. Ihr Leben wird wie das von Millionen Polen von einem Tag auf den nächsten in die Hölle auf Erden verwandelt, als Hitlers Wehrmacht am 1.9.1939 in Polen einmarschiert und wenige Wochen darauf Stalins Truppen von Osten her gleichziehen. Vor allem die jüdische Bevölkerung muss vom ersten Tag der Besatzung an Repressionen, Erniedrigungen, Verfolgung, Misshandlungen und Mord erdulden. Niusia muss bald mit ihrer Familie ins Krakauer Ghetto Podgórze umsiedeln, wo die Juden der Stadt zusammengetrieben werden - in unvorstellbarer Enge, verbunden mit Hunger und Kälte. Schritt für Schritt verschärfen die Nazibehörden die Repressionen, mit dem Ziel, im Rahmen der "Aktion Reinhardt" und später den Beschlüssen der sogenannten "Wannseekonferenz" folgend die polnischen Juden systematisch umzubringen. Regina und Dolek, Niusias Eltern, versuchen verzweifelt, wenigstens die Kinder zu schützen und zu retten. Zeitweise können sie sie bei Verwandten unterbringen, wo ihnen weniger unmittelbare Gefahr droht - doch nirgendwo gibt es wirklich Sicherheit; ganz zu schweigen davon, dass die Lebensumstände immer katastrophaler werden. Schließlich kommt die Familie ins berüchtigte Konzentrationslager Plaszów, befehligt vom sadistischen Lagerleiter Göth, der täglich von seiner Veranda aus Häftlinge "zum Vergnügen" mit seinem Gewehr erschießt. Eine einzige Hoffnung haben viele der Lagerinsassen - es spricht sich herum, dass es einen deutschen Fabrikbesitzer gibt, der Zwangsarbeiter unter einigermaßen menschenwürdigen Bedingungen in der Produktion einsetzt und der vor allem eine Deportation der bei ihm Arbeitenden nach Auschwitz verhindert, so es ihm möglich ist. Oskar Schindler ist selbst Mitglied der NSDAP, was ihn nicht daran hindert, Menschlichkeit und Mitgefühl zu Handlungsmaßstäben zu machen und zu versuchen, so viele Juden wie irgend möglich zu retten. Die Familien Horowitz und Rosner gelangen auf die Liste Schindlers, kommen in das Lager auf seinem Fabrikgelände und entgehen so dem Tod in einem der Vernichtungslager. Im Mai 1945 endet ihr Martyrium.
Spätestens mit Steven Spielbergs Spielfilm "Schindlers Liste" Mitte der neunziger Jahre erfuhr das mutige Engagement dieses Mannes, seiner Ehefrau und seiner Helfer eine weit verbreitete Würdigung. Die Einzelschicksale der Menschen, die er aus den Fängen der nationalsozialistischen Vernichtungskampagne gegen die europäischen Juden rettete, sind weit weniger bekannt. Reiner Engelmann, der bereits eine Reihe von Jugendsachbüchern zu Themen der NS-Zeit veröffentlicht hat, gibt beispielhaft einem Kind, das den Holocaust erlitten und dank Schindler überlebt hat, ein Gesicht, eine Biografie. Er stützt sich in erster Linie auf persönliche Gespräche, die er mit Frau Horowitz führen konnte. Engelmann erzählt Niusias Geschichte und die ihrer vielen Verwandten meist in kurzen belletristisch-erzählerischen Kapiteln; teilweise abgelöst von eher sachlichen Hintergrundinformationen. Es gelingt ihm, die Unfassbarkeit und die Ausmaße des Holocaust anhand der einzelnen Schicksale darzustellen. Der Autor bemüht sich um eine sprachliche Gestaltung, die das Grauen des Massenmords und der millionenfachen Unterdrückung nicht relativiert oder verharmlost, aber dennoch besonders grauenhafte Details in sensibler Form darstellt. Das gelingt in unterschiedlichem Maße. Teilweise bleibt eine gewisse terminologische Distanz bestehen, die es dem Lesenden schwer macht, die Dimension des Schreckens wirklich empathisch mitzuvollziehen. Irritierend sind vor allem die Brüche zwischen den belletristisch gestalteten Abschnitten zu Niusisas Erlebnissen und den sachlichen Darstellungen der politischen Hintergründe. Engelmann hat das Anliegen, die jungen Leserinnen und Leser sehr umfassend über den Holocaust zu informieren. Diesem Zweck dient auch der außergewöhnlich umfangreiche Anhang - neben Stammbäumen der Familien Horowitz und Rosner gibt es ausführliche Begriffs- und Ortsglossare, Kurzbiografien von Beteiligten, eine Literaturauswahl sowie einen Bildnachweis. Der Umfang dieser historischen Hintergrundinformationen und die vielen mit Sternchen gekennzeichneten Verweise darauf im Text hindern den Lesefluss allerdings an einigen Stellen.

Anmerkung

Das Buch ist empfehlenswert. Allerdings wäre eine Begleitung der Lektüre durch Lehrkräfte und die intensive Diskussion über das Gelesene ratsam.

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Diese Rezension wurde verfasst von RPKJ; Landesstelle: Rheinland-Pfalz.
Veröffentlicht am 01.06.2022