Die Nachtbushelden

Autor*in
Raúf, Onjali Q.
ISBN
978-3-85535-656-0
Übersetzer*in
Diestelmeier, Katharina
Ori. Sprache
Englisch
Illustrator*in
Curnick, Pippa
Seitenanzahl
288
Verlag
Atrium
Gattung
Buch (gebunden)Erzählung/Roman
Ort
Zürich
Jahr
2021
Lesealter
10-11 Jahre12-13 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
BüchereiFreizeitlektüre
Preis
15,00 €
Bewertung
empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Obdachlose – das sind doch diese elenden Jammergestalten, die auf der Straße herumlungern, stinken und den ganzen Tag Alkohol trinken. Die, an denen man achtlos vorbeigeht und die man ignoriert – außer, wenn man Hector heißt und nicht damit rechnet, dass alles anders ist, als man denkt.

Beurteilungstext

Normalerweise wird Mobbing auf Grundlage der Opferperspektive thematisiert. Nicht so in dieser Geschichte. Hier erfahren wir mit schonungsloser Offenheit, wie der Ich-Erzähler Hector es anstellt, dass viele Mitschüler, besonders die schwächeren, Angst vor ihm haben, weil er sie absichtlich und geplant quält. Noch mehr als seine Lehrer verachtet er Schüler, die er für Streber hält. Die Strafen, die er bekommt, spornen ihn nur zu weiteren Untaten an. Seine Eltern nimmt er aufgrund ihrer häufigen Abwesenheit und Unwissenheit darüber, was zu Hause wirklich passiert, nicht ernst. Zu Hause beschäftigt er sich ausschließlich mit Computerspielen, wenn er nicht gerade seine Schwester ärgert. Der einzige Mensch, dem er einen gewissen Respekt entgegenbringt, ist sein naiver, kleiner Bruder.

Hector meint, ein ganz besonders cooler Junge zu sein, wenn er immer üblere Taten ausheckt, wie zum Beispiel einem schlafenden Obdachlosen die Mütze vom Kopf zu klauen. Als das aufgrund des unerwarteten Widerstands des Mannes misslingt, versucht Hector, dem Mann den Einkaufswagen, in dem dieser all sein Hab und Gut verstaut hat, zu entwenden. Als auch das misslingt und der Einkaufswagen in einem See versinkt, kann Hector dies zwar noch als gewolltes Ergebnis seinen Freunden gegenüber verkaufen, wird aber unsicher, als er merkt, dass die größte „Streberin“ der Schule diesen Vorgang beobachtet hat. Um sie davon abzuhalten, ihn zu verpetzen, muss er etwas tun, was er bisher verabscheut hat, nämlich mit ihr in Kontakt treten. Und dann das Unerwartete: Das Mädchen Mei-Li hat Kontakt zu dem Obdachlosen, der einen Namen hat, Thomas nämlich. Mei-Li und ihr Vater helfen den Obdachlosen, indem sie sich in einer Suppenküche engagieren.

Unversehens befindet sich Hector in einer Welt, von der er bisher nichts ahnte. Hier gelten Maßstäbe und Regeln, die er nicht kennt und deshalb auch nicht durchbrechen kann. Ohne es zu wollen, findet er sich plötzlich beim Kartoffelschälen wieder und lässt sich in das Geschehen hineinziehen. Sein Ziel, noch einmal ganz groß herauszukommen und die Beachtung in der Öffentlichkeit zu finden, die er von seinen Eltern nicht bekommt, sieht er plötzlich in greifbarer Nähe.

Die Obdachlosen Londons werden beschuldigt, ein etwas absurd anmutendes Verbrechen begangenen zu haben, das er zufällig heimlich beobachtet hat. Hector, der Junge mit dem Namen eines Helden, möchte selbst gern ein Held sein und beschuldigt Thomas, der verschwunden ist, öffentlich bei der Polizei der Diebstähle. Aber auch dieses Mal scheitert er am Widerstand der Betroffenen und findet heraus, dass keiner von ihnen den Diebstahl begangen haben kann. Mit Hilfe von Mei-Li, Thomas und vielen anderen Obdachlosen gelingt es ihm, die wahren Täter zu stellen. Als sich die Ereignisse überschlagen, muss er sich, anders als für die feigen Anschläge auf seine Mitschüler, zu Mut und echter Tatkraft überwinden.

Jetzt ist er wirklich ein Held. Das sehen sogar seine Eltern und seine Schwester. Hector erhält die Aufmerksamkeit, nach der er sich schon so lange sehnt. Er weiß, dass er nicht der einzige Held ist. Thomas und Mei-Li, deren traurige Vergangenheit er kennengelernt hat, und die vielen anderen Obdachlosen, deren solidarische Gemeinschaft er erlebt, sind keine verachtenswerten Feinde, sondern Menschen wie er selbst, nur etwas anders. Hector lernt, Achtung an die Stelle von Verachtung und Menschen an die Stelle von Feinden zu setzen. Das ist wahrlich die größere Heldentat. Dass daraus Freundschaften und auch weitere gute Taten erwachsen, ist dann nichts Besonderes mehr.

Vom Bösewicht zum Gutmenschen – so könnte man Hectors Verwandlung ziemlich klischeehaft verstehen. Ihre Glaubwürdigkeit erhält die Geschichte jedoch dadurch, dass sie Boshaftigkeit aus der Ich-Perspektive ungeschönt und nicht psychologisch relativierend darstellt. Hector ist an keiner Stelle Opfer der Gesellschaft oder seiner Eltern, auch wenn diese Fehler machen. Er ist ein Lernender, der seine falschen oder richtigen Konsequenzen zieht aus dem, was er erlebt, und seine Probleme auf falsche oder angemessene Weise zu lösen versucht. Die Suche oder gar Sucht nach Anerkennung teilt er mit den meisten seiner Altersgenossen.

Dieses spannende Buch dürfte gut bei ihnen ankommen. Auch sie können etwas dazulernen. Im Anhang des Buches werden hilfreiche Informationen und Tipps gegeben, was man gegen Mobbing unternehmen kann. Zudem gibt es wichtige Hinweise zum Thema Obdachlose. Man kann sogar ihre „geheimen“ Zeichen lernen.

Die Autorin erklärt in einem lebendig geschriebenen Nachwort, dass sie einen Obdachlosen namens Thomas, den anderen Helden der Erzählung, als Kind tatsächlich kennengelernt hat. Sie möchte ihm und all denjenigen, denen es so geht wie ihm, ein Denkmal setzen und ihre speziellen Lebensleistungen anerkennen. Ein Teil des mit diesem Buch verdienten Honorars kommt Obdachlosen zugute.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von Susanne Hoffmann; Landesstelle: Niedersachsen.
Veröffentlicht am 11.06.2023

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