Die Flucht

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Auf der Suche nach Schutz und einem lebenswerten Leben ist für Menschen aus vielen Regionen "Die Flucht" der einzige Ausweg. Die persönliche Tragik und Tragweite dieser Thematik wird in dem Bilderbuch von Francesca Sanna behutsam aufgearbeitet. Das Bilderbuch thematisiert die Fluchtgründe sowie die Flucht selbst, ob die Geflüchteten ankommen und ob sie Schutz finden bleibt offen.

Beurteilungstext

"Die Flucht" ist die Geschichte einer Familie, die auf Grund von Krieg aus ihrer Heimat flieht.

Die Familie wohnt in einer Stadt nahe dem Meer, viele Sommer verbrachten sie am Strand, bis sich ihr Leben vor einem Jahr komplett veränderte - Krieg brach aus. Umgeben von schrecklichen Dingen und Chaos verliert die Familie den Vater, und die Mutter macht sich große Sorgen. Als die Mutter von Bekannten hört, die in ein Land geflohen sind, wo sie sicher sind, beginnt auch sie sich schweren Herzens mit dem Gedanken auseinanderzusetzen, ihre Heimat zu verlassen.
Die Mama informiert sich umfassend über das neue Land und den Weg dorthin. Schweren Herzens verabschiedet sich die Familie von allem, was ihnen etwas bedeutet, bevor sie mitten in der Nacht losfahren. Sie sind viele Tage unterwegs, zunächst fahren sie in ihrem eigenen Auto, dann zwischen Vasen in einem PKW, dann in einem Lastwagen zwischen Obst, schließlich mit dem Fahrrad und zuletzt zu Fuß zur Grenze. Ihre Habseligkeiten verkleinern sich stetig. An der Grenze werden sie von Grenzbeamten entdeckt und zurückgejagt. Sie verbringen die Nacht im Wald unter freiem Himmel in großer Angst. Schließlich treffen sie auf eine Person, die sie gegen Geld unbemerkt über die Grenze bringt. Hinter der Grenze erstreckt sich das Meer, über das sie rüber müssen. Sie steigen auf ein Boot mit vielen Menschen, während das Meer stürmisch und die Nacht dunkel wird, erzählen sich die Personen an Bord Geschichten von Seeungeheuern und dem Land ihrer Träume. Am Morgen entdecken sie am Horizont Land, die Mutter sagt, sie haben Glück, dass sie alle noch da sind.
Um allerdings in dem Land, in dem sie sicher sind, anzukommen, muss die Familie noch sehr weit mit dem Zug fahren. Über dem Zug fliegen Vögel, der Junge träumt davon anzukommen, wie die Vögel in einer neuen Heimat.

"Die Flucht" ist ein sehr schönes Bilderbuch, das behutsam das Thema Flucht aufgreift. Es eignet sich insbesondere zum Einstieg in das Thema. Das Buch emotionalisiert stark, die Notsituation der Familie berührt von Anfang an, sodass ihr Verhalten nachvollziehbar und absolut nötig erscheint. Diese Perspektive kann in der Schule ein Türöffner sein und mit möglicherweise vorhandenen Vorurteilen aufräumen. Das offene Ende des Buches ist passend gewählt, denn der Ausgang ihrer Situation ist letztlich unklar: in welchem Land kommt die Familie an? Wie werden sie von Behörden und Mitmenschen behandelt? Finden sie Schutz? – Das sind interessante Fragen zum gemeinsamen Nachdenken, Diskutieren oder als Schreibanlass. Es kann in unterschiedliche Richtungen überlegt werden, z.B.: wie sieht die aktuelle Situation in Deutschland aus (wie geht es der Familie, wenn sie hier ankommt) oder auch wie könnte/sollte die Situation aussehen. Das Bilderbuch kann auch ein Einstieg in eine Projektarbeit sein, in der sich mit unterschiedlichen Themen rund um das Thema Flucht beschäftigt wird: Zahlen/Routen, Gründe, Situation im Ankunftsland (Flüchtlingsunterkünfte, Bildung für Kinder/Erwachsene ...) usw.

Francesca Sannas Bilderbuch ist ein Gesamtkunstwerk aus ihrer Feder. Die Bilder passen perfekt zu der Geschichte der Familie. Die Farben sind deckend und passend gewählt. Das Leben vor dem Krieg erscheint bunt und freundlich, während als der Vater verschwindet schwarz dominiert. Die Tragik der Fluchtgeschichte wird durch die Bilder noch intensiver dargestellt. So erscheint der Wachmann an der Grenze vor schwarz/grünem Hintergrund riesengroß und feuerrot. Der unbekannte Schlepper, der die Familie über die Grenze bringt, ist ebenfalls riesig und schwarz, mit den Fingerspitzen greift er die Familie und geht mit ihr durch die Dunkelheit.

Francesca Sanna hat in einem Flüchtlingszentrum in Italien zwei Mädchen kennengelernt, durch die ihr klar wurde, dass hinter einer Flucht etwas Starkes steckt. Das war die Geburtsstunde ihrer folgenden Sammlung von Flüchtlingsgeschichten. Sie studierte Illustration an der Hochschule in Luzern. In diesem Bilderbuch verleiht sie den persönlichen Geschichten ein Gesicht und macht die Flucht für Kinder greifbar.

Ein Bilderbuch, das bei der gemeinsamen Erarbeitung des Themas "Flucht" in der Schule nicht fehlen sollte.

Lisa Martje Koch