Die Farben der Freundschaft

Autor*in
Glass, Linzi
ISBN
978-3-446-23891-6
Übersetzer*in
Günther, Ulli
Ori. Sprache
Englisch
Illustrator*in
Seitenanzahl
220
Verlag
Hanser
Gattung
Ort
München
Jahr
2012
Lesealter
16-17 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
14,90 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Südafrika 1976: Apartheidssystem, Aufstände in den Townships und Rivalität zwischen englisch- und afrikaanssprachiger weißer Oberschicht prägen diese düstere Zeit. Die 17-jährige Ruby ist Tochter eines Untergrundaktivisten, der für die Rechte der Schwarzen kämpft, und zugleich Vorzeigeschülerin einer privaten Highschool. Erst recht gerät sie zwischen alle Fronten, als sie sich in einen Afrikaander verliebt und die politischen Auseinandersetzungen blutig werden – ihr Leben ist in Gefahr.

Beurteilungstext

Ruby hat sich an ihr Doppelleben längst gewöhnt. Während sie in der Schule die mustergültige und allseits beliebte Vertrauensschülerin mimt, lebt sie zu Hause in einer völlig anderen Welt: Ihre Mutter, eine bekannte, aber umstrittene Galeristin stellt vornehmlich die Werke von dunkelhäutigen Künstlern aus den Townships von Johannesburg aus und macht es sich zur Lebensaufgabe, über die Kunst die Grenzen der Apartheid zu durchbrechen. Rubys Vater vertritt als Anwalt die Rechte der Schwarzen und engagiert sich in der Untergrundorganisation ANC (African National Congress) gegen das Apartheidsregime. Zu Hause ist es für Ruby selbstverständlich, dass dunkelhäutige Menschen genauso willkommen sind wie alle Anderen und nicht wie Sklaven behandelt werden. Dass es aber außerhalb ihres geschützten Heimes ganz anders zugeht, wird ihr tagtäglich schmerzlich klar. Aus Sicherheitsgründen muss sie jedoch ihre Einstellungen und ihren häuslichen Alltag sorgfältig vor der Außenwelt verbergen. Nicht einmal mit ihrer besten Freundin kann sie dieses Geheimnis teilen, denn die ganze Familie wird permanent von der Polizei überwacht und niemand weiß, wem man in diesen Zeiten noch trauen kann.
Rubys ewiges Versteckspiel führt dazu, dass sie sich trotz ihrer Beliebtheit zunehmend einsam fühlt. Ihr Umgang mit ihrer Isolation ist wechselhaft: Mal ist sie traurig und wünscht sich ein ganz normales Leben wie jeder andere Teenager auch, mal empfindet sie die Glitzerwelt der anderen weißen Reichen und ihre menschenverachtenden Umgangsformen mit ihren Hausangestellten so abstoßend, dass sie in einen trotzigen Stolz über sich und ihre Familie verfällt. Bisweilen kippt ihre Einsamkeit aber auch in eine seltsame Gleichgültigkeit um. Dieses Wechselbad der Gefühle wird dem Leser in eindrucksvollen Vergleichen nahegebracht; so fühlt sich die Protagonistin beispielsweise einmal, als wäre ihre Haut eine Frischhaltefolie, die sich eng um ihren Körper spannt, der sich kalt und feucht anfühlt. Zu den plastischen Beschreibungen ihres Gefühlschaos' gehört auch, dass Ruby manchmal ihre Gefühle selbst nicht einordnen und benennen kann und beispielsweise nur weiß, dass es nicht die Mandelentzündung ist, die sie quält, sondern etwas Tieferes. Insgesamt sind ihre Gefühle für den Leser sehr nachvollziehbar, weil hier die Empfindungen, die sich aus Rubys persönlichem Schicksal ergeben, eng verwoben sind mit klassischen Motive aus der Gefühlswelt eines jeden Teenagers – etwa Suche nach Zugehörigkeit und Identität, Versagensängste, Streben nach Autonomie und Anerkennung.
Neben der gefühlsbetonten Auseinandersetzung mit Rubys Lebenswelt, die – begünstigt durch die Erzählung in der Ich-Form und den Einschub von Traum-Passagen – einen großen Teil des Romans ausmacht, spielt der historisch-politische Hintergrund eine wichtige Rolle: Die Einbettung von historisch belegten Fakten (z. B. die Bedeutung des Namens „Soweto“, des Townships, in dem die Unruhen begannen oder die Erläuterung der Zusammenhänge zwischen afrikaanssprachiger und englischsprachiger Obersicht) lassen einerseits die Erzählung ungeheuer realistisch wirken und geben andererseits Einblick in die jüngere Geschichte Südafrikas, die in Zeiten von Migration und rechtsradikalen Strömungen auch hierzulande mit Sicherheit von Interesse sind. Auch ein Nachwort, das in einem kurzen Infotext den politischen Umbruch Südafrikas von 1976 bis 1994 zusammenfasst, trägt dazu bei, dass der Roman beim Leser bleibende Eindrücke hinterlässt. Was mit Blick auf Apartheid und Rassismus immer wieder deutlich herausgearbeitet wird, ist das absurde Nebeneinander von Luxusleben und Unbeschwertheit der weißen Oberschicht auf der einen und dem Leben der Schwarzen auf der anderen Seite, geprägt von bitterer Armut, Unterdrückung und Gewalt. Besonders eindrucksvoll gelingt dies in der unmittelbaren Gegenüberstellung eines Schüleraufstandes in Soweto, der tragisch endet, und des Schulalltags in Rubys Highschool mit dessen banalen Unterrichtsinhalten.
Ein weiterer bemerkenswerter Aspekt ist der Umgang der Autorin mit der Mehrsprachigkeit in Südafrika, die als wiederkehrendes Motiv in verschiedensten Zusammenhängen aufgegriffen wird: Die Charakterisierung von Personen erfolgt häufig über die Sprache, die sie sprechen, sei es Englisch, Afrikaans oder eine der ortsansässigen afrikanischen Sprachen. Welch wichtige Rolle die Sprache in den politischen Auseinandersetzungen in Südafrika spielte, zeigt die Tatsache, dass die Schülerproteste in Soweto sich gegen ein neues Gesetz richten, das vorschreibt, dass alle Schüler in den Townships künftig auf Afrikaans unterrichtet werden sollen – einer Sprache, derer sie nicht mächtig sind. Und auch Ruby selbst gerät in Situationen, in denen die sprachlichen Differenzen zu Barrieren werden. Hin und wieder treten Verständigungsschwierigkeiten zwischen ihr und ihren afrikaanssprachigen Freunden auf (die Autorin verfasst einige Äußerungen der Freunde auf Afrikaans und verzichtet bewusst auf eine Übersetzung, sodass sie auch für den Leser nicht vollständig zu verstehen sind – ein raffiniertes Stilmittel, das zur Authentizität des Erzählten und zur Empathie des Lesers beiträgt).
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es sich bei „Die Farben der Freundschaft“ um einen Roman handelt, der sowohl hohen literarischen Ansprüchen genügt als auch inhaltlich Vieles zu bieten hat. Die Themen sind vielschichtig und komplex ineinander verwoben und vereinen universelle Motive der Adoleszenz mit politischen Grundsatzfragen und gut recherchierte geschichtlichen Hintergrundinformationen. Der Roman bietet dem Leser spannende Unterhaltung und Auseinandersetzung mit sich selbst und dem Thema „Apartheid“ zugleich und ist daher sehr empfehlenswert.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von nv.
Veröffentlicht am 01.01.2010

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