Die Biene im Kopf

Autor*in
Schimmelpfennig, Roland
ISBN
978-3-7373-6116-3
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Jung, Barbara
Seitenanzahl
80
Verlag
FISCHER KJB Sauerländer Duden
Gattung
Erzählung/Roman
Ort
Frankfurt am Main
Jahr
2022
Lesealter
10-11 Jahre12-13 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
FreizeitlektüreKlassenlektüre
Preis
12,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Ronald Schimmelpfennigs „Die Biene im Kopf“ erzählt vom herausfordernden Alltag eines vernachlässigten Kindes. Weder von seinen arbeitslosen Eltern, Mitschüler:innen, Nachbarskindern noch der Lehrerin hat es Unterstützung oder Empathie zu erwarten, und so hilft nur die Verwandlung in eine Biene, welche all den Zumutungen davonfliegt und sich in eine rote, köstlich duftende Blüte zurückziehen kann...

Beurteilungstext

Von der ersten Zeile an schafft es der erfolgreiche Gegenwartsdramatiker und hier erstmals als Kinderbuchautor in Erscheinung tretende Schimmelpfennig, der Geschichte trotz aller erzählten Widrigkeiten Leichtigkeit zu verleihen. Das liegt u.a. an einem in der Erzählliteratur immer noch selten genutzten formalen Clou: Die Leser:innen werden durchgängig in der Du-Form angesprochen und dadurch in eine besonders enge Verbindung mit der Hauptfigur verwickelt. „Aber wenn du die Augen zumachst und dir die Finger in die Ohren steckst, dann kannst du das Rauschen dieses Feuers [gemeint ist die Sonne] hören. Probier es aus! Hörst du das? Du hörst es. […] Das hier, das ist besser als jedes Computerspiel.“. Die Identifikation wird obendrein durch eine namenlos bleibende und ungegenderte Hauptfigur forciert. So können die Leser:innen noch besser in seine/ihre Haut schlüpfen und mit ihr/ihm den Tag bestehen, und zwar von Level zu Level, wie die Kapitel der einsträngig und linear erzählten Handlung passenderweise heißen.
In der Tat sind etliche Zumutungen zu ertragen und zu bewältigen: Vom alleine Aufstehen, dem leeren Kühlschrank, der Angst vorm restalkoholisierten Vater am Küchentisch über das Zuspätkommen in der Schule oder die furchteinflößende Brüder-Krüger-Bande – die Hauptfigur stürzt von einem kleinen oder größeren Abenteuer ins nächste, erlebt unvorgesehene Witterungswechsel wie Nebel und plötzliche Hitze und sogar das buchstäbliche Versinken im Erdboden. Alle Etappen sind temporeich und unprätentiös erzählt und transportieren dadurch umso überzeugender eine zentrale Botschaft: Letztlich ist es die Kraft der Imagination, die Kindern, zumal Leser:innen innere Stärke (oder Resilienz, wie es heute heißt) verleiht und als inneres Refugium unverwundbar machen kann.
Der Text vermittelt diese Überzeugung so schwungvoll wie unpädagogisch; lediglich am Ende wird die Grenze zum Kitsch leicht überschritten, wenn eine Bienenkönigin in Form einer „wunderschönen, strahlenden“ Frau auftaucht, das Kind sich in ihren Armen ausweint und ermutigt wird: „Du bist sehr, sehr, sehr besonders, und das darfst du nie vergessen.“ Der Kreis schließt sich, wortgetreu geht alles wieder von vorne los: „Und dann beginnt die Morgendämmerung. Alles beginnt ganz harmlos. Wunderschön. […] Und du – du bist plötzlich eine Biene. Der blaue Morgenhimmel wartet nur auf dich. Und du fliegst los.“
Barbara Jungs feine und humorvolle Schwarz-Weiß-Illustrationen unterstützen die Geschichte in absolut kongenialer Weise: Das Kind ist auch visuell qua Frisur und Kleidung ungegendert dargestellt, die Bilder simulieren die Vogelperspektive der Biene oder zeichnen ihre Flugbahn nach, wie sie das Textfeld kreuz und quer durchpflügt. Text und Bild gehen also eine herausragend gelungene Synergie ein und ermutigen die Leser:innen damit auch auf der Bildebene zu Eigensinn und Originalität. Deswegen ist dieses Buch ein wirklich gutes Exemplar Kinderliteratur, das sich obendrein dem Thema „defavorisierte Klassenlage“ ohne problembeladene Schwere annimmt – ein immer noch viel zu seltenes Phänomen.
Einzig bedauerlich ist, dass das Lektorat etwas sorgfältiger hätte betreuen können. Der Klappentext scheint den tieferliegenden Ernst der Geschichte nicht zu erfassen, wenn es dort irreführend heißt: „Ist denn das ganze Leben nur ein Spiel? Und wenn ja, was gibt es zu gewinnen?“ Die Idee der Level-Kapitel erschöpft sich im Laufe der Geschichte und ist auch inhaltlich nicht stringent eingesetzt. - Ebenfalls etwas irritierend sind die demonstrativ urdeutschen, antiquierten Namen der Nebenfiguren, die ausnahmslos Susi Meier, Peter Müller, Frau Fischer usw. heißen. Selbst, wenn sie durch ihre formelhafte Austauschbarkeit vielleicht erneut den Identifikationsgehalt der Geschichte steigern sollen – es steht zu befürchten, dass sie bei kindlichen Leser:innen eher das Gegenteil erreichen.
Diese wenigen Kritikpunkte schmälern jedoch keinesfalls den durchweg positiven Gesamteindruck der empathisch, spannend und originell erzählten Geschichte.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von Karen Bo; Landesstelle: Hamburg.
Veröffentlicht am 24.05.2023

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