Deutschland. Ein Wintermärchen - K.T. spricht Heinrich Heine

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Die 1844 entstandene Reisedichtung Heines als Hörbuch, gelesen von Katharina Thalbach. Einleitung und Ausklang mit Klaviermusik von Felix Mendelssohn-Bartholdy.

Beurteilungstext

Hübsch ist sie nicht, die Stimme von Katharina Thalbach, genau so wie sie selbst nicht als ausgesprochen hübsch gilt. Aber “schön” wäre ein geeignetes Wort für die Intensität, Wandlungsfähigkeit und Präsenz sowohl der Person wie ihrer Stimme. Und diese Stimme passt für die Heine-Rezitation, als wäre sie extra dafür gemacht. Uneindeutig selbst in der Geschlechtszuordnung springt diese Stimme blitzschnell und mühelos von “kleinem Mädchen” zu verruchter Kneipe, von sanft einschmeichelnd oder sogar scheinbar gedankenlos plappernd zu boshaft-schneidend und revolutionär-anfeuernd.
All diese Wechsel sind aber keine Spielerei mit Möglichkeiten, kein eitles Prunken mit Fähigkeiten, sondern kongenial den Sinn der Heineschen Verse verdeutlichend und oft satirisch zuspitzend bis zur Überhöhung. Das war für Heines Zeitgenossen sicher nicht erforderlich, das Leben unter Zensur und Unfreiheit schärft Blick und Gehör für feinste Nuancen und Andeutungen zwischen den Zeilen, aber so muss hierzulande ja heute keiner mehr leben und so haben viele die entsprechende Fähigkeit längst eingebüßt. Frau Thalbach hilft auch denen auf die Sprünge, ohne mit einem Holzhammer zuzuschlagen: Sie kitzelt auch die feinsten Ironien hörbar heraus und macht sprachliche Ziselierungen deutlich, die oft dem Leser entgehen würden.
Dass Heinrich Heine virtuos mit der deutschen Sprache umzugehen wusste, ist keine Neuigkeit, aber den Feinheiten nachzuspüren, Harmonien und Dissonanzen bewusst zu erfassen ist eine beinahe ausgestorbene Kunst. Da tut kundige Führung und Hilfe Not und hier wird sie uns aufs Angenehmste geboten. Dabei gibt es herzhaft zu lachen und leise zu schmunzeln, häufig auch betroffen ob der erhaltenen Aktualität zusammenzuzucken oder sogar im ersten Moment empört aufzufahren, um dann zerknirscht zuzugeben: er hat ja Recht! Und Recht hat er meistens, der spitzzüngige Düsseldorfer, dessen Sinn für Dialektik und hochraffinierte Auseinandersetzung sicher auch aus seinem jüdischen Erbe herrührt. Seltsam hellsichtig erscheinen oft seine Schilderungen von Nationalcharakter und geistigem Klima in Deutschland. Nur selten liegt er mal daneben, wie im Falle seiner Vorhersage, der Kölner Dom würde sicher nie fertiggebaut. Obwohl - ist er jemals fertig gewesen?
Wer sich auf Heine einlässt, darf “nicht pingelig” sein in Fragen der Obrigkeit, der Kirche oder menschlicher Dummheit. Er schießt in seinem Eifer für den gedanklichen Fortschritt sicher auch manchmal etwas übers Ziel hinaus, doch erkennbar bleibt immer, dass sein Einsatz kein Spiel und sein Anliegen nicht der Verkauf seiner Bücher ist - es ist die unbehinderte freie Entfaltung von Geist, Meinung, Fähigkeiten und Beziehungen, für die er kämpft.
Nicht die Herrschaft des Proletariats schwebt ihm vor - die war ihm stets ein Gräuel -, sondern das Regiment der Vernunft, des Geistes und der Freiheit sind sein Ziel. Und solche Propheten braucht Deutschland nach wie vor. Deshalb: Heine und Thalbach for President!