Das Leben ist ein Rechenfehler

Autor*in
Walder, Vanessa
ISBN
978-3-8445-3590-7
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Sprecher*in
Umfang
213  Minuten
Verlag
Der Hörverlag
Gattung
AudioErzählung/Roman
Ort
München
Jahr
2019
Alters­empfehlung
8-9 Jahre10-11 Jahre12-13 Jahre14-15 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Klassenlektüre
Preis
12,99 €
Bewertung
empfehlenswert

Teaser

Enni hat mit den Hagens endlich eine Pflegefamilie gefunden, bei der sie bleiben will. Doch als diese berufsbedingt in die Schweiz umziehen, muss Enni in ein Internat in den Bergen, aus dem sie sofort wieder fliehen will. Dabei ist sie auf die Hilfe der anderen angewiesen, die von ihr als Gegenleistung fordern, dass sie ihnen hilft, Karans Geburtstag im Magic-Place-Park feiern zu können. Die Realisierung ihres Vorhabens gestaltet sich schwieriger als gedacht, so dass ihr Plan nicht ganz aufgeht.

Beurteilungstext

„Das Leben ist ein Rechenfehler“ ist der erste Band der geplanten Reihe „Die Unausstehlichen & ich“. Beide Titel sind programmatisch, weil sie Maximen der 11-jährigen Protagonistin Enni sind, die ihre Lebenserfahrung widerspiegeln.
Enni hat im Alter von drei Jahren ihre Eltern bei einem Verkehrsunfall verloren und lebt seitdem in Heimen und bei Pflegefamilien. Damit hat die Autorin eine etwas untypische Hauptfigur geschaffen, deren Welt vielen Rezipienten fremd sein dürfte. Aber durch ihre lebhafte, z.T. etwas altkluge Art gewinnt sie schnell das Herz der Zuhörerinnen und Zuhörer, die schon nach wenigen Episoden merken, dass Enni im Zusammenleben mit Gleichaltrigen und Erwachsenen ähnliche Probleme hat wie sie. Weil Enni in der Ich-Form selbst erzählt, wirken sie und das Geschehen noch authentischer.
Die Sprecherin Maximiliane Häcke verleiht dabei Enni eine angenehme Fröhlichkeit und Leichtigkeit und stattet auch alle anderen Figuren lautlich unverwechselbar aus, was das Hörvergnügen steigert.
Ennis erzählt ihre Geschichte, weil der „Psycho-Doktor“ sie aufgefordert hat, die Ereignisse wahrheitsgemäß aufzuschreiben. Mit diesem Anfang wird Spannung aufgebaut, denn man fragt sich, wie es zu dieser Situation gekommen ist. Gleichzeitig schafft die Autorin dadurch die Basis für eine gewisse Distanz zur Hauptfigur und zu mehr Aufmerksamkeit für Ennis Rückblicke und Kommentare, die die Handlung immer wieder unterbrechen, so dass man trotz aller Sympathien kritischer Betrachter sein und aus Ennis Erfahrungen lernen kann. Bei den Kommentaren spricht Enni in ihren schriftlichen Aufzeichnungen den Arzt oft direkt an, wodurch noch weitere Distanz geschaffen wird. Vanessa Walder scheint daran gelegen zu sein, dass ihre Rezipienten Kenntnis von und Verständnis für Ennis Welt bekommen, was ihr dank ihrer Figuren und der zum Ende hin spannenden Handlung sehr gut gelingt.
Wegen ihrer Biographie gehört Enni mit zu den „Unausstehlichen“, den „Psychos“, wie sie sie nennt. Es sind Kinder und Jugendliche mit Persönlichkeitsstörungen unterschiedlicher Ausprägungen und Ursachen. Damit verschafft sich die Autorin die Möglichkeit besonders markante Figuren zu gestalten, deren Unterschiedlichkeit zu Konflikten führt, gleichzeitig aber auch die Basis dafür bildet, sich zu ergänzen und damit den Schwierigkeiten des Lebens gemeinsam entgegenzutreten. So ist Lucky trotz seiner elf Jahre sehr klein, schmächtig und kindlich, ist aber Spezialist, um Schlösser aller Art zu knacken. Mit Mattes findet Enni einen Seelenverwandten, der aber in einer intakten Familie lebt, was aus Ennis Sicht verhindert, dass sie ein echtes Team werden. Ennis großes Problem ist ihre Unbeherrschtheit: Ihre Kopfhaut beginnt zu kribbeln, dann sieht sie rot und rastet aus. („Was dann passiert, erzählen mir meist die anderen.“) Dadurch bringt sie sich oft in Schwierigkeiten.
Bemerkenswert sind auch Ennis Kommentare, weil sie von ihrer altersuntypischen Reife zeugen. So weist sie in ihren Aufzeichnungen den Arzt in direkter Ansprache darauf hin, dass das Schloss an seinem Schrank „von jedem“ aufgebrochen werden könnte. Den Zuhörerinnen und Zuhörern rät sie beispielsweise als Fazit zu einer erzählten Episode, immer „das größte Arschloch“ zu sein oder als Erster die Flucht eingeschlagen zu haben, bevor es brenzlig wird. Sie durchschaut ihre neuen Mitschülerinnen und Mitschüler relativ schnell und erkennt die große Kompetenz des sie behandelnden Psychologen, weshalb sie überhaupt bereit ist, die Aufzeichnungen für ihn anzufertigen und ihm die „unverblümte Wahrheit“ zu sagen.
Auch Ennis Sprache ist geprägt von ihrem Lebensumfeld, denn sie flucht unablässig. Wohl damit sich jüngere Zuhörerinnen und Zuhörer diese Sprache nicht zum Vorbild nehmen, werden die Schimpfwörter durch einen Piepton ersetzt, was jedoch besonders am Anfang nervig sein kann, weil der Text immer wieder unterbrochen wird. Die Pausenlänge nach dem Piepton variiert sogar, wahrscheinlich um den Umfang des Fluchens anzudeuten. Dennoch dürfte mancher Zuhörer durch die Auslassungen animiert werden, in Gedanken die fehlenden Wörter zu ersetzen, was der Autorintention entgegenstünde.
Die meisten Rezipienten dürfte Enni jedoch dadurch beeindrucken, dass sie immer wieder die Schuld auf sich nimmt, obwohl andere die Tat begangen haben. So lässt sie sich von der Polizei abführen wegen eines Schokoriegels, den Noah am Kiosk gestohlen hat, der Sohn ihrer neuen Pflegefamilie in Berlin, bei der sie sich sehr wohl fühlt und den sie als ihren „Halbbruder“ bezeichnet. Indem Enni die Schuld auf sich nimmt, möchte sie verhindern, dass er Ärger mit seinen Eltern bekommt, weil er im Gegensatz zu ihr noch „unbescholten“ ist. Letztlich führt diese Handlung jedoch dazu, dass Enni ins Internat muss, als die Hagens berufsbedingt in die Schweiz umziehen und ist damit ein Beweis für ihre Maxime, dass sie eben zu den Psychos und Unausstehlichen gehört.
Ennis Problem einfach zu handeln statt nachzudenken, spiegelt sich auch in ihrer Erzählweise wider. Sie beschreibt Handlungen und nennt die Begründung, die die Tat in ein ganz anderes Licht setzt, erst am Ende. (z.B.: Mit Noah hat sie den weißen Pudel ihrer Nachbarin rasiert. Sie wurden nur deshalb entdeckt, weil sie vergessen hatten, den Aufsatz des Rasierers zu reinigen. Eine Woche zuvor hatte diese Nachbarin gesehen, dass Noah eine Schulstunde geschwänzt hatte, und ihn bei seinen Eltern verpetzt.) Diese Vorgehensweise erhöht die Sympathien für Enni, weil dadurch viel deutlicher wird, was für ein gutes Herz sie hat, denn für sie ist ihr Handeln die größte Selbstverständlichkeit und die Begründung nur nebensächlich.
Das Ende der Geschichte ist so gestaltet, dass es bereits viele Ansatzpunkte für weitere Geschichten in sich birgt. So bleibt offen, was mit dem Internat nicht stimmt, weil es nirgendwo im Internet aufgeführt ist, und welche dunklen Geheimnisse beispielsweise die Leiterin und der Hausmeister, aber auch einige von Ennis neuen Freunden haben. Man fragt sich, wie sich die Beziehungen zwischen Enni und ihnen entwickeln werden und ob es ein Wiedersehen mit Noah gibt, der offensichtlich von zuhause fort gegangen ist.
Sicher werden alle, die Ennis ersten Episoden und Lebensweisheiten gelauscht haben, gern weitere hören wollen. Und vielleicht betrachtet der eine oder die Andere „Unausstehliche“ mit etwas anderen Augen.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von Anmq; Landesstelle: Nordrhein-Westfalen.
Veröffentlicht am 02.11.2019

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