Charlotte durch alle Zeiten

Autor*in
Farmer, Penelope
ISBN
978-3-8489-2038-9
Übersetzer*in
Ruschmeier, Sigrid
Ori. Sprache
Englisch
Illustrator*in
Seitenanzahl
224
Verlag
Aladin
Gattung
Ort
Hamburg
Jahr
2014
Lesealter
10-11 Jahre12-13 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Bücherei
Preis
12,90 €
Bewertung
eingeschränkt empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Charlotte Makepeace ist neu im Internat und fühlt sich in der fremden Umgebung unter lauter fremden Menschen verloren. Dies steigert sich, als sie nach ihrer ersten Nacht zwar im gleichen Bett, jedoch in einer anderen Zeit aufwacht. So beginnen verstörende Wochen, in denen sie den einen Tag sie selbst und den anderen Clare Moby ist. Und was passiert, wenn sie eines Nachts gar nicht mehr in die eigene Zeit zurückkehrt?

Beurteilungstext

Bei dem Roman handelt es sich um eine Neuübersetzung des erstmals 1969 in England erschienenen Romans ""Charlotte Sometimes"". Es ist das dritte und letzte der ""Aviary Hall Books"" um die beiden Schwestern Charlotte und Emma Makepeace; die kleine Schwester Emma tritt in diesem Band nicht als handelnde Figur auf, ist aber in den Gedanken Charlottes immer präsent.
Der Roman gliedert sich in drei Teile. Im ersten Teil wechselt Charlotte jeden Tag die Rolle mit Clare; einen Tag verbringt sie als Charlotte in ihrer eigenen Zeit, den nächsten Tag als Clare in Jahre 1918. Ein geregeltes Internatsleben mit konstanten schulischen Leistungen und beständigen Freundschaften ist so nicht möglich; Charlotte befindet sich mit ihren 12 Jahren in der Identitätskrise der beginnenden Pubertät. Im zweiten Teil geschieht die Katastrophe: Charlotte bleibt im Jahr 1918 stecken. Sie beginnt, sich in ihrer Rolle als Clare einzurichten, die Grenzen der beiden Ichs verschwimmen zunehmend, nur Clares Schwester Emily erinnert sie daran, dass nicht sie Clare ist. Die Wende erfolgt, als Charlotte es wagt, sich gegen die Masse zu stellen und für eine ‚gemobbte' Mitschülerin einzustehen; mit dieser selbstbewussten Tat erhält sie eine eigene stabile Persönlichkeit und kann nun endlich als Charlotte ganz sie selbst sein. So kehrt sie am Anfang des dritten Teils in ihre eigene Zeit zurück, die Episode der Zeitsprünge, die Phase der Identitätskrise ist beendet.
Der Rollentausch zwischen Charlotte und Clare wird ausschließlich aus der Perspektive Charlottes erzählt, und so erfahren wir nicht, wie es Clare in Charlottes Zeit ergeht. Doch dies ist auch nicht weiter wichtig, denn der zentrale Konflikt des Romans ist Charlottes Selbstfindung, ihre Suche nach der eigenen Identität und ihrem Platz in der Gemeinschaft des Internats. So stellt sich Charlotte leitmotivisch die Fragen ""Wer bin ich?"" und mehr noch ""Wer bin ich für die anderen?"".
Ein bedeutsames Thema des zweiten Teils ist der Erste Weltkrieg - die Darstellung von anfänglicher Kriegseuphorie und Kriegstreiberei und späterer Ernüchterung durch Tod und Elend aus britischer Perspektive mag auch einer der Gründe sein, warum der Text gerade im Jahr 2014 neu aufgelegt wurde. Damit ist eine zentrale Botschaft des Textes, dass wir die Geschichte in uns tragen, dass die historischen Ereignisse nicht nur Teil des kulturellen Gedächtnisses, sondern Teil unserer Persönlichkeit sind.
Die Protagonistin wird in ihrer ‚Reise durch alle Zeiten' ans Ende des 1. Weltkriegs geschickt, durch die Namensgebung wird der Leser darüber hinaus auf eine Reise in literarische Vergangenheiten entführt, genauer in die englische Literaturgeschichte der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. So erinnert Name von Charlottes alter ego Clare an den Landschaftsdichter John Clare, und tatsächlich spielen die Entdeckung von Natur und Landschaft und das damit verbundene Gefühl von Freiheit im Leben als Clare eine wichtige Rolle. Charlottes (respektive Clares) kleinere Schwester heißt Emily, die altjüngferliche Tochter der Familie, bei der Clare und Emily wohnen und die für sie ein wenig die Rolle einer Gouvernante übernimmt und in der Fürsorge für die Mädchen gegen ihre Trauer über den Tod des geliebten Bruder ankämpft, heißt Agnes; mit dieser Anspielung auf den Roman ""Agnes Grey"" sind die drei Brontë-Schwestern (und indirekt auch deren Bruder Branwell) vereint. Auch erzählerisch, in der Wahl von Themen und Motiven, etwa der Darstellung des strengen Internatslebens und der Bedeutung schwesterlich-freundschaftlicher Beziehungen, und nicht zuletzt in der Erzeugung mystischer Stimmung folgt Penelope Farmer dem Vorbild (spät-)romantischer AutorInnen und der Tradition der Gothic Novel.
Auch in Charlottes Gegenwart fehlen die Anspielungen auf Klassiker der englischen Literatur nicht, denn welcher (englische) Leser denkt nicht, wenn ihm in einem Mädcheninternat eine ""Sarah"" begegnet, an Frances Hodgson Burnetts berühmtes Kinderbuch ""Little Princess"" und dessen Heldin ""Sara"".
Der Roman thematisiert auf außergewöhnliche Weise die pubertäre Selbstfindung. Auch wenn nichts wirklich Unheimliches oder Gefährliches geschieht, hält er den Leser ständig in einer atemlosen Spannung.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von WiBe.
Veröffentlicht am 01.01.2010

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