70 Meilen zum Paradies

Autor*in
Klement, Robert
ISBN
978-3-7026-5779-6
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
144
Verlag
Jungbrunnen
Gattung
Ort
Wien
Jahr
2006
Lesealter
12-13 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Bücherei
Preis
13,90 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Siad und seine Tochter Shara haben es von Somalia nach Tunesien geschafft. Hier warten sie mit anderen, dass sie ein Schlepper nach Europa bringt. Die Überfahrt ist ein Alptraum; in einem italienischen Lager müssen sie unter menschenunwürdigen Bedingungen das Asylverfahren abwarten - aber sie geben die Hoffnung nicht auf. Siad und Shara träumen davon, nach Kanada auszuwandern, wo Siad Arbeit als Krankenpfleger finden könnte. Ein Traum, den sie mit aller Kraft verwirklichen wollen.

Beurteilungstext

Der Traum vom Paradies - ein jeder träumt ihn auf seine Weise. Für den jungen Krankenpfleger Siad aus Somalia und seine 13jährige Tochter Shara bedeutet das Paradies, in Freiheit und Frieden zu leben, eine Arbeit zu haben und genüg essen zu können. Er und seine Freunde sind sich sicher, diesen Traum in Europa verwirklichen zu können. Nur 70 Meilen trennen sie noch vom Paradies.
Robert Klement ist einer der wenigen Autoren, der das aktuelle Thema der Flüchtlingsproblematik in einem Kinderbuch aufgreift. In seinem hochinteressanten Buch erzählt er sehr ergreifend und spannend eines der vielen Einzelschicksale des Flüchtlingsdramas. Shiads und Sharas Flucht von Somalia über Tunesien, ihre Irrfahrt auf dem Mittelmeer, ihre Ankunft im Flüchtlingslager in Lampedusa und schließlich ihre Abschiebung nach Neapel wirkt sehr authentisch, zumal der Leser aus dem Vorspann erfährt, dass die Schicksale der handelnden Personen nicht erfunden sind und an den Schauplätzen des Romans recherchiert wurde. Mit Hilfe vieler Hintergrundinformationen schildert er zum einen aus der Sicht der Flüchtlinge deren menschenverachtende Behandlung, welche sich zur Zeit an den Küsten Europas abspielt und nur ab und zu durch die Medien in das Bewusstsein der Menschen rückt. Zum anderen zeigt er aus der Sicht der Europäer, welche Probleme sie in Bezug auf Zuwanderung, Integration und Asyl wirklich haben.
Der Leser stellt sich auf die Seite von Siad und Shara. Er erfährt, dass sie schon einen weiten Weg durch die Sahara hinter sich haben und jetzt ihrem Ziel Europa ganz nahe sind. Gemeinsam mit ihnen besteigt er voller Angst den alten Schlepper und hofft auf eine schnelle Überfahrt ohne Komplikationen. Doch ahnt er zugleich die Gefahren, denen sie auf dem Meer ausgeliefert sind. Ergreifend schildert der Autor die Irrfahrt, wie die Flüchtlinge ums Überleben kämpfen, wie sie immer wieder neue Kraft und Hoffnung schöpfen.
Der Autor gaukelt den jungen Lesern nichts vor. Er beschönigt die Lage nicht und schildert wirklichkeitsnah den Tod dreier Insassen, besonders ergreifend und gefühlsbetont den des jungen lebensfrohen Mädchen Joy.
Robert Klement möchte dem Leser erklären, warum die Menschen aus Afrika flüchten und in Europa leben wollen. Er stellt einige Flüchtlinge im Boot vor und schreibt, woher sie kommen. Ausführlich lässt er Siad auf sein vergangenes Leben in Somalia zurückblicken.
Bis auf die Rückblicke Siads erzählt der Autor in chronologischer Reihenfolge. Seine Sprache und sein Stil sind unkompliziert. Die Handlung folgt größtenteils zeitraffend einem linearen Erzählstrang, in dem sich direkte Rede und epischer Text abwechseln.
Der Autor wählt die auktoriale Erzählweise und schlüpft ab und zu in die Gefühls- und Gedankenwelt seiner Figuren, besonders in die von Siad und Shara.
Der Leser erfährt, warum der Krankenpfleger seinem Land den Rücken kehrt und sich und seine Tochter den Strapazen der Flucht aussetzt. Er hofft, trauert und freut sich mit ihnen.
In Lampedusa endlich angekommen entpuppt sich das vermeintliche Paradies als Flüchtlingslager, in dem die Flüchtlinge unter menschenunwürdigen Bedingungen warten müssen bis sie Asylrecht bekommen. Wer nicht einreisen darf, wird auf dem schnellsten Weg zurückgeschickt. Meterhohe Betonmauern und Stacheldraht - dafür haben die Menschen aus Afrika ihr Leben aufs Spiel gesetzt? Siads Maßstäbe für das Paradies Europa verschieben sich mit der Zeit. Er ist sich nicht mehr sicher, ob seine Entscheidung, nach Europa auszuwandern, richtig war.
Auch als er als "Asylant mit Bleiberecht" auf den Tomatenfeldern in der Nähe von Neapel schuftet, kann er seinen Traum von einem besseren Leben nicht verwirklichen.
Anschaulich und eindringlich erzählt Robert Klement von dem menschenunwürdigen Leben afrikanischer Flüchtlinge mitsamt ihren Demütigungen und Diskriminierungen durch die etablierte europäische Gesellschaft.
Völlig überraschend und fast wie im Märchen endet die Erzählung. Gerade noch glaubt der Leser an ein trauriges Ende. Viel zu ausweglos erscheint Siad und Sharas Situation. Doch dann erfüllt sich mit Hilfe eines Geldsegens ihr Traum, nach Kanada auszuwandern.
Das Besondere des Buches, seine Authentizität, geht zwar verloren. Dafür steigt noch einmal die Spannung, denn die Handlung nimmt einen ungeahnten Verlauf. Die Hoffnung gewinnt gegenüber der Aussichtslosigkeit die Oberhand. Ein Kinderbuch mit dieser Thematik braucht sicherlich so ein zuversichtliches Ende!
Dieses nicht leicht zu ertragende Buch sollten viele junge Menschen lesen. Es schärft ihren Blick auf die Flüchtlings- und Ausländerproblematik, die in Zukunft für Europa immer mehr zur Debatte stehen wird. Und es erklärt, warum die 70 Meilen zum Paradies oftmals ganz schnell 70 Meilen zur Hölle werden können.


Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von GaSc.
Veröffentlicht am 01.01.2010

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