Yildiz und Aytekin - Die zweite Generation erzählt

Autor*in
Groeben, Annemarie von
ISBN
978-3-7795-0056-8
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
157
Verlag
Peter Hammer Verlag
Gattung
Ort
Wuppertal
Jahr
2006
Lesealter
14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
0,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Yildiz und Aytekin sind eine türkisches Ehepaar, das in Deutschland lebt. Yildiz ist hier geboren, Aytekin ist erst als Junge aus einem anatolischen Dorf gekommen. Beide erzählen ihre Geschichte, weil Yildiz’ Lehrerin an der Bielefelder Laborschule sie darum bittet. Unterschiedliche Familien- und Wertvorstellungen, besonders auch was die Erziehung der Kinder betrifft, aber auch das Verhältnis von Mann und Frau werden thematisiert.

Beurteilungstext

Es ist schwierig, ein solches Dokument, denn das ist dieses Buch auf jeden Fall, kritisch zu bewerten. Ein Jugendbuch ist es nicht, aber als Lektüre und Diskussionsgrundlage, als Denkanstoß in der Auseinandersetzung mit dem “Anderssein” für Jugendliche und Erwachsene sehr empfehlenswert.
Im ersten Teil schildert die Lehrerin und Herausgeberin kurz und voller Sympathie den Lebensweg der Schülerin, den sie,seit diese in der 5. Klasse zu ihr kam, begleitet hat. Sie kannte und besuchte die Eltern, nahm an Familienfesten teil - Beschneidung des Bruders - , musste vor jeder Klassenfahrt die Zustimmung der Eltern persönlich einholen, damit Yildiz mitfahren durfte. Yildiz große Liebe zu Aytekin, die damit verbundenen Komplikationen und die sehr starke häusliche Arbeitsbelastung überschatteten das Ende ihrer Schulzeit, so dass Yildiz das 10. Schuljahr ohne Abschluss verliess, was ihre beruflichen Möglichkeiten neben der Ablehnung durch die türkische Verwandtschaft deutlich einschränkte.
Aytekin kam mit der festen Absicht, in Deutschland erfolgreich zu sein. Er lernte schnell Deutsch, arbeitete intensiv und jahrelang in doppelter Schicht. Ausführlich wird das Drama seiner Verlobung mit einem Mädchen aus seinem Dorf, die in Berlin lebt, geschildert. Hier zeigt sich wie auch später, dass er ganz stark an seine Familie und deren Traditionen gebunden ist, während Yildiz hoffte, durch die Heirat mit ihm ein eigenständiges Leben - getrennt von ihrer problematischen Familie und seiner konservativen - führen zu können. Sie ist daher ständig im Widerspruch zwischen den Erwartungen an sie und ihren eigenen Überzeugungen und Wünschen gefangen.
Darin liegt vor allem die Stärke dieses Buches, diesen Aspekt mit aller Deutlichkeit durch die Fragen und Antworten herausgearbeitet zu haben.
Die Schwester der Lehrerin stellt beiden Eheleuten jeweils kurze Fragen und lenkt damit die Selbstdarstellung. Bei Aytekins Darstellung fällt ins Gewicht, dass er seine Erlebnisse und Gedanken recht klar formuliert, während man bei Yildiz wiederholt das Gefühl bekommt, dass ihre widerstreitenden Gefühle sich auch als Sperren in der Sprache äußern. Bei ihr findet eher ein Dialog statt, während Aytekin zusammenhängend seine Darstellung gibt, nur angeregt durch die kurzen Fragen. Denoch sind gerade Yildiz’Äußerungen von besonderer Brisanz, weil sie aich der Zerrissenheit zwischen den Kulturen bewußt ist, z.B: bei ihren Überlegungen, mit Aytekin und den beiden Söhnen zurück in die Türkei zu ziehen, aber nicht nach Anatolien, sondern in die Westtürkei, weil dort die Frauen moderner seien! Sie empfindet die Anwürfe rassistischer Nachbarn offenbar auch viel stärker als ihr Mann. Sie ist froh, keine Tochter zu haben, weil diese es soviel schwerer hätte.
Keine ganz leichte, aber eine sehr zu empfehlende Lektüre - nicht nur für LehrerInnen, sondern für alle, die sich für das Zusammenleben von Menschen aus verschiedenen Kulturen interessieren. Hier wird vor allem auch mit aller Deutlichkeit, aber ohne erhobenen Zeigefinger auf die Unterschiede innerhalb der türkischen Bevölkerungsgruppe in Deutschland hingewiesen, und es wird einleuchtend, warum auch die 2. und 3. Generation der türkischen Arbeitsmigranten sich nicht einfach an deutsche Gegebenheiten anpassen, wie es manche Politiker in ihren Sonntagsreden fordern.

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Diese Rezension wurde verfasst von uwo.
Veröffentlicht am 01.01.2010