Wochenendrebellen

Autor*in
Rothemund, Marc
ISBN
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in / Sprecher*in
Umfang
109  Minuten
Verlag
LEONINE
Gattung
Film
Ort
-
Jahr
2023
Alters­empfehlung
8-9 Jahre10-11 Jahre12-13 Jahre14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
0,00 €
Bewertung
eingeschränkt empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

„Wochenendrebellen“ hat seine stärksten Momente, wenn die kindliche Perspektive eingenommen und die verzerrte Alltagswahrnehmung des Protagonisten dargestellt wird. Der Film möchte insgesamt aber sowohl problemorientiertes Independent-Kino als auch Family-Entertainment-Film sein; diese Überlagerung führt in der Gesamtsicht des Films zu einigen Unstimmigkeiten.

Beurteilungstext

„Wochenendrebellen“ beruht auf einer wahren Begebenheit: Seit 2012 besuchen Mirco von Juterczenka und sein Sohn Jason (damals 6 Jahre alt), bei dem im Kleinkindalter eine Autismus-Spektrum-Störung diagnostiziert wurde, deutsche und internationale Fußballstadien, um für Jason einen Lieblingsverein zu finden. Die Erfahrungen der beiden werden auf dem Blog www.wochenendrebell.de festgehalten. Hier finden sich neben Informationen zu Fußball und Groundhopping zum Beispiel auch Wissenswertes über Autismus. Zudem erschien 2017 ein Buch mit dem Titel „Wir Wochenendrebellen“ im Benevento-Verlag.
Durch die gemeinsamen Reisen und Stadion-Erfahrungen kommen sich Vater und Sohn (im Film: zehn Jahre alt) in „Wochenendrebellen“ näher, wobei diese Annäherung immer wieder durch Konflikte unterbrochen wird. Am Ende der filmischen Erzählung sind aber sowohl Mirco als auch Jason gereift: Mirco weiß, wie er mit seinem Sohn umgehen und in welchen Momenten er ihm helfen kann. Um mehr Zeit mit ihm zu verbringen, kündigt er deshalb auch seinen Job (die Kündigung wird von seiner Chefin allerdings nicht akzeptiert). Jason lernt im Laufe der Geschichte, dass er sich auf seinen Vater verlassen kann und dass es Momente im Leben gibt, in denen die eigene Komfortzone verlassen werden darf. Die Vater-Sohn-Beziehung dominiert also auf der Storyebene.
Bei der schauspielerischen Darstellung fällt vor allem die sehr nachdrückliche Schauspielleistung Cecilio Andresens positiv auf. Dem Nachwuchsschauspieler gelingt es, sich in der Rolle einzufinden und sowohl in ruhigen Momenten als auch in Momenten der Zerstreuung die richtige Emotionalität zu finden – ähnlich, wie das bei Helena Zengel in „Systemsprenger“ (2019) der Fall ist.
„Wochenendrebellen“ überzeugt vor allem dann, wenn Jasons Perspektive eingenommen wird. Hier gelingt es Marc Rothemund, die verzerrte Alltagswahrnehmung des Jungen und seine soziale Überforderung durch audiovisuelle Irritationen zu inszenieren – zum Beispiel durch diskontinuierliche Schnitte, ein hohes Erzähltempo, schnelle Kamera-Zooms und Störgeräusche. Insgesamt überwiegt allerdings die Perspektive der Erwachsenen bzw. vor allem des Vaters.
Das geht mit einem grundsätzlichen erzählerischen Problem einher: „Wochenendrebellen“ möchte einerseits aufwühlendes und problemorientiertes Independent-Kino sein, wie das etwa in den Schulszenen oder bei der ersten gemeinsamen Fahrt mit der Bahn gezeigt wird. Gleichzeitig aber bzw. vor allem ein gefühlvoller Feeldgood-Movie, garniert mit humorvollen Szenen, bei denen der Eindruck entsteht, dass jeden Moment Elyas M’Barek für einen Buddy-Moment um die Ecke kommen könnte. In der Gesamtsicht des Films stellt diese Unentschiedenheit bzw. diese Vermischung ein Problem dar: Eine stärkere Fokussierung auf die kindliche Perspektive und eine einheitlichere Inszenierung hätten wohl besser funktioniert; das wäre dann allerdings auf Kosten einer breiteren Zuschauer*innenadressierung gegangen.

Mit der erzählerischen und inszenatorischen Überlagerung geht zudem ein weiteres Problem einher: Die Autismus-Spektrums-Störung Jasons wird einerseits problematisiert und es werden die Herausforderungen des Jungen und seiner Eltern in alltäglichen Situationen nachdrücklich gezeigt. Andererseits wird Jasons Autismus in „Wochenendrebellen“ auch als dramaturgisches Mittel eingesetzt: Wenn Jason mit seinem Vater im Stadion ist, hat Mirco vor allem die Aufgabe, seinen Sohn körperlich zu schützen und vor weiteren Zuschauer*innen abzuschirmen. Dadurch entstehen mehrere Konfliktsituationen. Dabei erwähnt Mirco gegenüber anderen Figuren nicht, dass sein Sohn Autist ist, was die Situationen positiv auflösen würde – anders als die reale Geschichte von Jason und Mirco ist der Film in der Jetztzeit angesiedelt, in der die Gesellschaft für das Thema Autismus größtenteils sensibilisiert ist.
Auch wenn Autismus als Krankheitsbild in „Wochenendrebellen“ nicht bagatellisiert wird: Die Bilder der Krankheit und der Überforderung werden insgesamt überlagert von dramaturgisch motivierten Szenen und Unterhaltungsmomenten. Gegen Ende der filmischen Erzählung wirkt die Bahnfahrt nach Berlin mit der ganzen Familie – hier sind auch die Mutter, das Baby und der Großvater (Joachim Król) dabei – wie ein Werbespot der Deutschen Bahn. Ebenso steigern sich im Verlauf des Films die Momente der Rührseligkeit, gerade innerhalb der Vater-Sohn-Beziehung. Mit reichlich Pathos werden die Zuschauer*innen auch auditiv aus dem Film entlassen: Während der Abspann läuft und Bilder aus Fußballstadion gezeigt werden, erklingt „Ein Hoch auf uns“ von Andreas Bourani, ein Lied, das vor allem mit der WM 2014 in Verbindung gebracht wird und auch heute noch in deutschen Fußballstadien gespielt wird. Gerade im ersten Teil des Films dominieren Songs aus dem Indie-Bereich, die deutlich subtiler eingesetzt werden.
Ein weiterer Kritikpunkt muss an dieser Stelle noch erwähnt werden: In der Lettland-Sequenz kommt es zu einem großen Konflikt zwischen Vater und Sohn, wodurch Mirco seinen Arbeitstermin nicht wahrnehmen kann, da Jason auf seiner Grundregel beharrt, dass jedes Spiel, zu dem die beiden fahren, auch geschaut werden muss. Der Auslöser des Konflikts ist der Diebstahl von Mircos Arbeitstasche, direkt im Anschluss wird er auch noch von Jugendlichen auf einer – an die legendäre Trainspotting-Szene erinnernde – Toilette verprügelt. Der Film beruht zwar auf einer wahren Begebenheit, hier kommt es aber zu einer dramaturgischen Verdichtung, die leider (osteuropäische) Stereotype reproduziert.
Starke Momente hat der Film hingegen bei den Szenen in den Fußballstadien: Hier entstehen atmosphärische Bilder der Fanszenen und einzelner Spielmomente. Gerade auf fußballaffine junge Zuschauer*innen können diese Bilder nachdrücklichen Eindruck machen.

Anmerkung

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Diese Rezension wurde verfasst von Frank Münschke; Landesstelle: Hamburg.
Veröffentlicht am 26.09.2023