Wir waren Glückskinder - trotz allem

Autor*in
Wolffsohn, Michael
ISBN
978-3-423-71045-9
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
225
Verlag
dtv
Gattung
BiografieSachliteraturTaschenbuch
Ort
München
Jahr
2023
Lesealter
8-9 Jahre10-11 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
BüchereiFreizeitlektüreKlassenlektüre
Preis
10,95 €
Bewertung
nicht empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Angeregt durch seinen siebenjährigen Enkel, der „mehr über Juden und Hitler“ erfahren wollte, beschreibt Michael Wolffsohn Grundzüge des Judentums und die Lebensumstände der Juden vom Beginn der Weimarer Republik bis zu den ersten Nachkriegsjahren. Den Rahmen bildet seine eigene Familiengeschichte.

Beurteilungstext

Mit einem Vorwort und einem kurzen Schlussteil, der sich mit dem weiterhin bestehenden Antisemitismus befasst, gliedert sich das Buch in vier Kapitel. In den ersten beiden Kapiteln werden jeweils die Kindheit und Jugend von Michael Wolffsohns Eltern beschrieben. Beide wachsen zunächst unbeschwert in behütenden Elternhäusern auf. Durch die Machtübernahme der Nationalsozialisten wird ihr Leben zunehmend überschattet und schwierig.
Das dritte Kapitel beschreibt das Leben beider Familien nach ihrer Flucht aus Deutschland, zunächst in Britisch-Palästina, dann im neu gegründeten Staat Israel. Trotz aller Schwierigkeiten haben sie als Überlebende Glück im Unglück und das Kennenlernen und die Heirat der Eltern kommt als glückliche Fügung hinzu.
Im vierten Kapitel kehren die Großeltern väterlicherseits und die Eltern nach dem Krieg mit dem damals siebenjährigen Michael Wolffsohn nach Deutschland zurück. „Trotz allem und nach allem. Trotz Hitler und nach Hitler.“ Die Großeltern und Eltern kämpfen vergeblich um Entschädigung und die Rückgabe des beachtlichen, durch die Nazis enteigneten Besitzes. Dazu gehörten die größten Kinos und Varietétheater Deutschlands. Nur die Berliner Wohnanlage Gartenstadt Atlantic erhielt die Familie 1962 zurück. In die Lebensbeschreibungen eingeflochten sind zahlreiche Erklärungen zu Sitten und Gebräuchen des Judentums. In Beziehung zum Christentum werden Unterschiede und Gemeinsamkeiten unter Berücksichtigung des historischen Hintergrunds herausgearbeitet.
Zur Veranschaulichung enthält das Buch Fotos der Familie und des Zeitgeschehens. Unklar bleibt die Altersgruppe, an die sich das Buch wendet. Der Autor gibt an, für seinen siebenjährigen Enkel zu schreiben. Vom Verlag wird ein Lesealter ab elf Jahren angegeben. An die jüngeren Kinder gerichtet, erklären sich die wohl als Auflockerung gedachten, aus meiner Sicht aber missglückten, einfachen und saloppen Formulierungen. „Doch schon bald war Schluss mit der vermeintlichen Sicherheit. Bums. Bums. Bums.“ Gewollt lustig und befremdlich wirkt die mehrfache Verwendung von Fäkalsprache. „´Pupse oder popele ich in Gesellschaft oder bin ich sonst irgendwie ein Mistkerl?´“ Durch redundante Wiederholungen und Brüche liest sich das Buch nicht fesselnd und flüssig. Belehrungen und Erklärungen von Begriffen wie “Rachitis“ oder „Kredit“ sind bezogen auf das eigentliche Thema überflüssig und führen zu unnötiger Langatmigkeit. Um ältere Kinder zu erreichen, wären im Schreibstil und in der Darstellung von Ereignissen ein wesentlich höheres Niveau und eine wesentlich differenziertere Auseinandersetzung mit dem Thema erforderlich gewesen.
Die lächerlichen Äußerungen, die Hitler und Goebbels in den Mund gelegt werden, wirken irreführend verharmlosend. “Sie wollten Hitler sehen, der dort seine Nazireden brüllte: „A-ickn, acken, ocken, zacken…´“ Natürlich verbietet sich in einem Kinder- und Jugendbuch eine schonungslose Darstellung der Verbrechen der Nationalsozialisten, an vielen Stellen fehlt es aber an dennoch durchaus möglicher Authentizität, Tiefe und Präzision. Der Terror, die persönliche Betroffenheit und existentielle Bedrohung durch die zunehmend an Macht gewinnenden Nationalsozialisten werden überwiegend so lapidar oder relativierend beschrieben, dass der Ernst des Themas nicht eindringlich vermittelt wird. Historisch belegte Fakten werden mit subjektiven Einschätzungen vermischt und sind dadurch für Kinder möglicherweise schwer einzuordnen.
Es wäre eine große Chance gewesen, Kindern und Jugendlichen das Judentum und die Zeit des Nationalsozialismus verständlich nahezubringen. Wider Erwarten wird der renommierte, zweifach habilitierte Historiker und Publizist diesem Anliegen weder stilistisch noch inhaltlich gerecht.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von swi; Landesstelle: Hamburg.
Veröffentlicht am 22.06.2023