Wie die Vögel

Autor*in
Zullo, Germano
ISBN
978-3-8489-0045-9
Übersetzer*in
Wimmer, Ingrun
Ori. Sprache
Französisch
Illustrator*in
Zullo, Albertine
Seitenanzahl
72
Verlag
Aladin
Gattung
BilderbuchSachliteratur
Ort
Stuttgart
Jahr
2021
Lesealter
4-5 Jahre6-7 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Bücherei
Preis
15,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Teaser

Ein Mann in Latzhose fährt mit einem Lastwagen durchs Nirgendwo, um dort Vögel freizulassen. Allein einer der Vögel braucht etwas Motivation und so gibt sich der Fahrer alle Mühe, woraufhin der Vogel doch noch losfliegt. Doch am Ende dieses textlosen Bilderbuchs fliegen nicht nur Vögel durch die Lüfte.

Beurteilungstext

Nun ist es textfreien Bilderbüchern eigen, dass sie keinen Text enthalten und (zunächst) ohne Sprache auskommen. Ihre Geschichten müssen sich die Betrachtenden erst erschließen, an die Stelle des Vorlesens rückt das Erzählen. Dass kein fertiger Text angeboten wird, ist ein Grund, weshalb Erwachsene sich vor der Beschäftigung mit dieser Art Bilderbuch häufig scheuen. Die betrachtenden Kinder hingegen lassen sich ganz unbekümmert auf die Geschichten ein, weshalb in dem Verzicht auf Sprache auch so viel Potential steckt. Das Bilderbuch des Schweizer Paars Albertine und Germano Zullo ist jedoch nicht nur wegen des nicht-vorhandenen Vorlesetextes still, ein ‚silent book‘ eben. Es kommt auch auf andere Weise leise daher, denn in dieser Erzählung geschieht dem ersten Anschein nach nicht viel. Und doch ereignet sich viel, etwas Großes, etwas Unerhörtes: Der Mann, der die Vögel - aus welchem Grund auch immer - aus seinem Laster lässt, fliegt am Ende selbst. Wie die Vögel. Die kurze Geschichte wird dabei in aller Ausführlichkeit illustriert und mit einer immensen Ruhe. Das Setting konzentriert sich hierbei auf das Wesentliche, fast scheint die Begebenheit in einer Art Raumvakuum stattzufinden. Es gibt keine Nebenschauplätze, keine Requisiten lenken von der Handlung ab. Und so kann man dieser leisen Geschichte schließlich auch die wenigen Töne entnehmen, die sie hergibt - die Motorengeräusche des Lasters und die Flügelschläge der Vögel. Mehr ist nicht zu hören. Worte werden nicht gesprochen. Der Lastwagenfahrer gestikuliert, bleibt aber stumm; und auch die Schnäbel der Vögel sind stets geschlossenen, kein Krächzen oder Zwitschern ist hörbar.
Zugegeben: Ganz textfrei ist das Buch dann doch nicht, Germano Zullo hat den Illustrationen von Albertine eine Art poetisches Vorwort vorangestellt. Indem es an ein aus dem Off vorgetragenes Intro eines Films erinnert, täuscht das Bilderbuch den Betrachtenden regelrecht vor, gleich einen Film zu rezipieren. Auch die Illustrationen lassen einen an das Storyboard eines Films denken (was nicht weiter verwundert, wenn man weiß, dass Albertine auch Filme im Repertoire hat): Eine Straße mitten in einer kargen Landschaft. Ein aus dem Auspuff qualmender Laster kommt über einem Hügel zum Vorschein. Der Laster kommt dem Zuschauenden entgegen. Perspektivwechsel. Der Zuschauer blickt seitlich auf den kurz vor einer Klippe parkenden Laster. Der Fahrer steigt aus. Der Fahrer geht zur Rückseite des Wagens. Nächster Perspektivwechsel: Der Mann schaut hinter der geöffneten Wagentür hervor. Ein schwarzer Vogel fliegt aus dem Inneren des Wagens heraus. Ein ganzer Schwarm unterschiedlicher farbiger Vögel folgt ihm.
In diesem Stil geht es weiter: Das Spiel mit den Perspektiven mutet konsequent filmisch an, die Illustrationen greifen auf Sehgewohnheiten zurück und schulen die Wahrnehmung gleichzeitig. Doch auch, wenn Kinder noch nicht über entsprechende visuelle Vorerfahrungen verfügen, um zum Beispiel die Vervielfältigung von Fahrer bzw. Vogel beim Herauslocken aus dem Wagen zu begreifen, werden sie viel Freude beim Dekodieren der Szenen haben. Der ruhige 'Ton' wird dabei durch ebenso ruhige, pastose Farbflächen in den dominierenden Primärfarben unterstrichen. Das Himmelblau, das Steppengelb und das Londoner-Bus-Rot verleihen der Szenerie eine unbeschwerte Leichtigkeit und Zuversichtlichkeit. Mit eben dieser vermag der Lastwagenfahrer schließlich denn auch sein Fahrzeug und seine Gravität hinter bzw. unter sich zu lassen, um mit den Vögeln davon zu fliegen. Gerade so, als wäre es seine Bestimmung gewesen. Gerade so, als wäre er ganz selbstverständlich wie die Vögel.
Das französischsprachige Original "Les oiseaux" wurde 2011 mit dem Französischen "Prix Sorcières" ausgezeichnet und wurde zu den "Best Illustrated Children’s Books" der New York Times 2012 gewählt.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von friste; Landesstelle: Hessen.
Veröffentlicht am 01.10.2021

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