Wie das Bild der Welt entstand

Autor*in
ISBN
978-3-411-12639-2
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
26
Verlag
Brockhaus - MeyerDuden (Weingarten)
Gattung
Ort
Mannheim/ Leipzig
Jahr
2007
Lesealter
12-13 Jahre14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
46,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Wandkalender mit 13 historischen Weltkarten.

Beurteilungstext

Wenngleich den Betrachter erstaunen muss, wie genau und konkret sich das Wissen um das Aussehen unserer Erdformen bereits in den Karten des frühen 16. Jahrhunderts dokumentiert, so unterscheiden sich die Landkarten doch deutlich von den heutigen Karten, vor allem hinsichtlich ihrer ornamentalen Ausschmückung. Egal, ob die Karten die Erde als Kugelform zeigen oder nicht, die Ränder, teils auch die Erd-Karten selbst, sind gefüllt mit einer Flut von graphischen Darstellungen verschiedenster Art: Portraits historischer Persönlichkeiten, Jahreszeitenfigurationen, Himmelkörper und die vier Elemente, Götter, Tiere, Gewächse, Beiwerk aus dem mythologischen Bereich - symbolträchtige, allegorisch-bildhafte Aussagen, die sich in der Tiefe ihrer Bedeutung nur dem erschließen, der mit dem Weltverständnis und der Kultur der Zeit vertraut ist.
Verfolgt man diese Ornamentik über die Jahrhunderte, so sieht man die Veränderungen im Stil der Bebilderung. Themen wie die Schöpfungsmythen oder bildliche Beschreibung des Himmels, Wesen wie Seeungeheuer, Nixen, Meergötter weichen zugunsten astronomischer Diagramme oder gar Mondkarten, die nicht mehr versuchten, die Welt zu erklären, sondern die Erde in einen kosmischen Zusammenhang zu stellen: Die Mythologie wich der Wissenschaft, später auch der Geschichte, die versuchte, die Länder in Bildern zu beschreiben. Dann werden etwa Herrscher wie Könige, Päpste, Sultane in Friesen abgebildet, oder die Bilder spiegeln konkrete historisch-politische Zustände, beispielsweise die Bedrohung des christlichen Europas durch die Belagerung Wiens durch die Türken. Andere Karten gestalten einen umlaufenden Rand mit Städteansichten und zeigen dazu passend Figurengruppen in ihren nationalen Trachten, bevölkern sogar die Erdteile auf den Karten damit.
Es ist gerade diese optische Ausgestaltung um die eigentliche Weltkarte herum, die die Zeit und ihr Interesse, ihre Denkweisen und Weltsicht spiegelt und so ein genaues Bild damaliger Ideengeschichte vermittelt: das intellektuelle Interesse an Astronomie und kosmischen Mechanismen, an Jahreszeiten und Elementen, an Religion und Kunst. Sie zeigen aber auch das Bedürfnis der Menschen, sich ihre Welt zu erklären und die Kräfte zu verstehen, die "ihre Welt im Innersten zusammenhält". Hier zeigt sich der Einfluss eines Nikolaus Kopernikus, dem Begründer des heliozentrischen Weltbildes, am deutlichsten; seine Erkenntnisse über die (später so genannte) Himmelsmechanik, die Beziehungen zwischen den Bewegungen der Sterne und der Drehung der Erde um ihre eigene Achse finden Eingang in die Darstellung der Kartographen.
Es ist frappierend, welch gewaltige geographisch genaue Kenntnisse die Darstellung der Erde bereits dokumentiert. Die älteste hier abgebildete Karte ist die von Martin Waldseemüller aus dem Jahr 1507, geschaffen in 12 mächtigen zusammengesetzten Holzschnitten - auch Amerikas Geburtsurkunde genannt, da sich auf dieser Karte erstmals die Bezeichnung "Amerika" zu Ehren des Amerigo Vespucci findet. Die Karte zeigt Amerika als einen Inselkontinent mit einer gebirgigen Westküste, wie sie erst 10 Jahre nach Entstehung der Karte entdeckt werden sollte. Ungeklärt ist bis heute das Rätsel, wie Waldseemüller von der Existenz des Pazifiks hatte wissen können.
Einige der Karten fallen optisch aus dem Schema heraus, so etwa die Weltkarte in Adlerform von 1574: Hier wird die Welt zum Körper des Adlers des heiligen Römischen Reichs, gezeichnet zu Ehren des Habsburger Kaisers Maximilian II. - eine symbolhafte Darstellung religiöser und säkularer Kräfte. Noch auffälliger die Weltkarte von ca. 1590 in Form einer Narrenkappe, deren Gesicht durch die Weltkarte ersetzt ist - ein durch seine Scherzhaftigkeit verstörendes Bild. Der Kartograph scheint sich über die Menschen (seine Auftraggeber?) lustig zu machen. Die zahlreichen um die Kappe angesiedelten lateinischen Sprüche scheinen die menschliche Dummheit zum Thema zu haben. Hat sich hier der Kartograph unter der Tarnkappe des Narren versteckt, der bekanntlich "Narrenfreiheit" genoss und Regeln brechen durfte? Aber welche? Hier erscheint die ganze Welt als Narr; der Schöpfung wird damit der Sinn entzogen, sie ist fremd, fast bedrohlich in ihrer Irrealität. Von einer Sinnsuche geschweige denn Sinnfindung wie in den anderen Karten, die um eine Erklärung der Kräfte ringen, kann hier nirgendwo die Rede sein.

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Diese Rezension wurde verfasst von avn .
Veröffentlicht am 01.01.2010