Wer hat unseren Kindern das Töten beigebracht?-Ein Aufruf gegen Gewalt...

Autor*in
ISBN
978-3-7725-2225-3
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in / Sprecher*in
Umfang
198  Minuten
Verlag
Freies Geistesleben
Gattung
Digitale Medien
Ort
Stuttgart
Jahr
2002
Alters­empfehlung
ab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Fachliteratur
Preis
14,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Dieser Aufruf gegen Gewalt in Fernsehen, Film und Computerspielen basiert auf einer Untersuchung des Psych.Prof. und Lt.Col. der US-Army D. Grossmann. Ergänzt wird der Aufsatz durch Beiträge zur Situation in Deutschland nach dem Amoklauf eines Schülers in Erfurt 2002.

Beurteilungstext

Der Militärpsychologe Grossmann und die Erziehungsberaterin G. DeGaetano beschäftigen sich beide seit Jahren mit dem Phänomen der zunehmenden und intensiver werdenden Gewalt von Schülern und Jugendlichen und dem Zusammenhang mit gewaltverherrlichenden Medien, wie Fernsehen, Videos und Computerspielen. Mediengewalt ist demzufolge ein “wichtiger und signifikanter Faktor für die reale Gewalt in unserer Gesellschaft”. (S. 36) Dass es einen Zusammenhang zwischen zunehmender Brutalisierung von Jugendlichen und ihrem Medienverhalten gibt, scheint unzweifelhaft, da alle Untersuchungen von jungen Tätern feststellen, dass sie ausnahmslos begeisterte Nutzer vielfältigster gewaltverherrlichender Medien, insb. der sog. Ego-Shooter-Spiele, sind. Dieser Fakt gilt nicht nur für die USA, sondern für alle bekannten und erwähnten Fälle in verschiedenen europäischen Ländern, nicht zuletzt auch für den Jugendlichen in Erfurt, der im letzten Jahr ein Massaker in seinem Gymnasium anrichtete, dem 16 Menschen - fast nur Lehrer - zum Opfer fielen.
Grossmann betont, dass in seiner Argumentation niemals behauptet wurde, dass die Medien der einzige Grund für die zunehmende Aggression und Brutalisierung sind. Da sind natürlich die bekannten Faktoren wie Armut, Rassismus, Drogen- und Kindesmisshandlung zu nennen. (S. 29)
Wenn aber in der Unterhaltungsindustrie Gewalt und Töten als legitimes, akzeptables Mittel zur Konfliktlösung vorgestellt wird und auch so von Jugendlichen konsumiert wird, dann hat das Folgen. Grossmann nennt hier zunehmende Aggressivität, Angst und Unempfindlichkeit gegenüber echter und künstlicher Gewalt. In diesem Zusammenhang zitiert er das eindrucksvolles Fazit einer Untersuchung aus den 80er Jahren in den USA u.a. zur Frage warum sich die Mordrate in den USA von 1950 bis 1980 verdoppelt hat: “Wenn die Fernsehtechnologie niemals entwickelt worden wäre, würde es heute pro Jahr 10.000 Morde...70.000 Vergewaltigungen und 700.000 Körperverletzungen weniger geben”.(S.45)
Grossmann beeindruckt immer wieder durch interessante Zahlen zur Kriminalitätsentwicklung und auch durch seine Thesen zur Frage warum nicht alles noch schlimmer ist, als es schon ist. Z.B. meint er, dass die Mordrate höher wäre, wenn die med. Versorgung noch so wäre wie in den 50er Jahren oder die Strategien der Polizeiarbeit nicht so effektiv wären (S.28)
Eine zentrale Überlegung ist, dass der Wunsch nach tödlicher Gewalt “unnatürlich” ist. (S.60/61) Er belegt dies u.a. mit der Hemmschwelle, ein Individuum der gleichen Spezies zu töten. Hier setzt die Wirkung der Medien ein, denn diese sorgen (aus Profitgründen!) für Desensibilisierung und Konditionierung. Bestimmte Arten von Computer”spielen”, in denen der Spieler selbst aktiv ist, sind Tötungssimulatoren. Hier wird das Töten physisch trainiert durch die eigenhändige Erfahrung - der Spieler wählt die Waffen, die Munition und “erledigt” soviele “Gegner” (so schnell und brutal) wie möglich. (S. 80) Grossmann bezieht sich hier explizit auf die Erfahrungen in der Armee. Seit der Einführung moderner Tötungssimulatoren in der Ausbildung der US-Army hat sich die Treffer-Quote der Soldaten erheblich erhöht: Die Anzahl erfolgreich tötender Soldaten im 2. Weltkrieg lag bei 15-20 %, im Vietnamkrieg bei 95 %!”(S.87) So zitiert Grossmann auch mehrfach “kampferfahrene Veteranen” und Militärs, die überrascht sind über die Treffgenauigkeit der 11- 13jährigen Jungen, die in Jonesboro, USA ein Massaker in ihrer Schule angerichtet haben.(S.90)
Nach all diesen erschreckenden und aufschlussreichen Informationen schreiben die Autoren, dass das wichtigste Ziel dieses Buches ist, “alle Betroffenen davon abzuhalten, die weiße Fahne zu hissen”(S.97) Bitte nicht aufgeben liebe Eltern, Erzieher, Lehrer! Nach diesem flammenden Appell folgen auf fast 30 Seiten ausführliche Ratschläge und Vorschläge. Die Hebel, die in Bewegung gesetzt werden können, sind sehr unterschiedlich und nicht alles ist auf unsere Situation in Deutschland übertragbar. Aber einige Ideen finde ich wirklich nachdenkenswert, z.B. davon auszugehen, dass Gewaltdarstellungen die wahre Obszönität sind (S.121/22) und Gesetzesinitiativen zu starten, die dies berücksichtigen. Außerdem hat die Idee einer Produkthaftung der Hersteller solcher Spiele und Medien etwas Bestechendes. Auch wenn dies nicht so einfach sein dürfte wie im Fall der Tabakindustrie - aber nachdenkenswert ist es allemal.
Interessant finde ich auch den Gedanken der Autoren, dass man durch die Entwicklung und Förderung der Sprach- und Lesefertigkeiten gewalttätiges Verhalten eingrenzen oder sogar verhindern kann: “Wenn wir unseren Kindern helfen wollen, ihre geistigen Fähigkeiten so weit zu entwickeln, dass sie Mediengewalt widerstehen und verstehen können, müssen wir Bildung und Sprachfertigkeiten zu einem der wichtigsten Themen innerhalb unserer Familien machen: Fernseher ausschalten und stattdessen reden und lesen.”(S. 104)
Prof. Glogauer beschäftigt sich in seinem im Anhang abgedruckten Aufsatz mit der Situation in Deutschland. Er geht differenziert auf die hiesigen Fälle ein und untersucht sie unter der von Grossmann vorgegebenen Prämisse, dass gewalthaltige Medien Kinder und Jugendliche zu Tätern werden lassen. (S. 143) Er stellt allgemeine Auffälligkeiten der Jugendlichen zusammen, wie z.B. dass sie über lange Zeiträume gewalthaltigste Medien nutzten, Mordsimulationsspiele bevorzugten und einem besonderen Waffenkult huldigten. Außerdem waren für viele der Täter Waffen legal zugänglich, z.B. über den Schützenverein oder den Waffenschrank des Vaters. Daneben ist auffällig, dass bei all den Tätern die Erwachsenen seltsam passiv blieben, nichts gegen den Medienkonsum unternahmen und selbst bei deutlich aggressivem und bedrohlichem Verhalten den Kopf in den Sand steckten. (S. 156/57)
Abschließend stellt er fest, dass “Schule und Lehrer zu Hass- und Gewaltobjekten bei einer großen Zahl von Schülern bei uns geworden sind”(S.172) Dies muss Folgen haben für die öffentliche Diskussion über das Waffengesetz, das Jugendmedienschutzgesetz. Bei uns könnte die Staatsanwaltschaft - ähnlich wie in Italien - gewalthaltige Medien und Spiele (z.b. Resident Evil) aus dem Verkehr ziehen. Warum tut sie das nicht?
Der letzte Aufsatz des Buches ist ein überarbeiteter Artikel der Journalistin B. Supp aus dem Spiegel 16/2002 über G. Lamprecht und seine Lebensgefährtin, die Opfer des Amokschützen von Bad Reichenhall wurden.
Dieses Buch sollte in allen Schulen vorhanden sein, es bietet reichlich Diskussionsstoff und zeigt Perspektiven gegen Gewalt. Es sollte auch in möglichst vielen Haushalten mit Kindern und Jugendlichen vorhanden sein, denn es richtet sich ja explizit an Eltern, es gibt ihnen Hilfen in der alltäglichen Auseinandersetzung mit ihren Kindern.

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Diese Rezension wurde verfasst von ASR.
Veröffentlicht am 01.01.2010