Was Sara verbirgt

Autor*in
Nedrejord, Kathrine
ISBN
978-3-8251-5271-0
Übersetzer*in
Rüegger , Lotta Wolandt, Holger
Ori. Sprache
Norwegisch
Illustrator*in
Seitenanzahl
154
Verlag
Urachhaus
Gattung
Buch (gebunden)Erzählung/Roman
Ort
Stuttgart
Jahr
2021
Lesealter
14-15 Jahre16-17 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
KlassenlektüreBücherei
Preis
17,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Was kann man tun, wenn sich die beste Freundin seltsam benimmt und nicht reden will? Was tun, wenn der Verdacht auf Vergewaltigung sich bestätigt? Kann man einfach zuschauen und abwarten oder muss man den Täter finden? Ist Vergewaltigung nicht eines der schlimmsten Verbrechen, die man einer anderen Person zufügen kann? Und gibt es neben diesem abscheulichen Verbrechen noch andere Unterdrückungsfelder?

Beurteilungstext

In ihrem Jugendroman von 1998 "Kurzer Rock" schrieb die langjährige schwedische Polizeireporterin Christina Wahldén: "Die Medien konzentrieren sich immer auf das Verbrechen und die Vergewaltiger. Die Geschichte des Opfers aber ist viel länger."
Gut zwanzig Jahre später publiziert die samisch-norwegische Dramatikerin und Bühnenkünstlerin ihren Jugendroman "Was Sara verbirgt".
Das Thema ist immer noch aktuell. Ursachen und Folge sind immer noch gleich, identisch wie viele Jahre vorher und wahrscheinlich leider noch in den folgenden Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten - wenn sich nichts ändert.
Die etwa sechzehnjährige Lajla, begabte Fußballspielerin, die demnächst zu einem Auswahlspiel der Nationalmannschaft eingeladen ist, registriert, dass ihre beste Freundin nach einem Wochenende komplett verstört und in sich gekehrt ist. Sie erfährt nach langem Zögern, dass Sara vergewaltigt und noch dazu schwanger geworden ist. Wer der Vergewaltiger war, will sie nicht sagen, da sie Aufsehen und vor allem dessen Zorn fürchtet. Lajla versucht trotzdem zu recherchieren, findet manches Verhalten von Personen fragwürdig, die sie somit in den Kreis der Verdächtigen aufnimmt. Heimlich muss sie weitersuchen, da Sara ihr das Versprechen abgenommen hat, nicht mehr weiter zu forschen.
Als eine Mitschülerin Lajla gegenüber ihr Schweigen bricht und zugibt, von einem Verdächtigen ebenfalls vor einiger Zeit vergewaltigt worden zu sein, gibt Sara alles zu und sie gehen zur Polizei.
Neu an diesem Jugendroman ist allerdings, dass eine Abtreibung nicht groß diskutiert, sondern in diesem Fall als richtige Handlungsweise dargestellt wird.
Der Autorin gelingt es die Spannung bis zum Ende aufrechtzuerhalten, verbunden mit der Frage: Wer ist der Vergewaltiger?
Doch dies ist nur vordergründig.
Der Jugendroman ist mehrschichtig konzipiert.
Im Vordergrund steht die Suche nach dem Verbrecher und vor allem wie Sara damit umgeht. Lajla zeigt sich hier als verlässliche und besorgte Freundin, die sogar ihre fußballerische Karriere aufs Spiel setzt. Freundschaft und Loyalität steht hier beispiellos im Vordergrund.
Die zweite Handlungsebene wird oft gar nicht als Unterdrückung oder als Belastung wahrgenommen. Sind doch die Rollenklischees in Jahrhunderten gewachsen und erscheinen bei vielen leider immer noch als selbstverständlich. Lajlas zwei Jahre jüngerer Bruder ist ebenfalls von Fußball begeistert und scheint talentiert zu sein. Ihr Vater und auch die Gesellschaft im Ort sehen jedoch nur Lajlas Bruder als Fußballtalent. Sie wird mit ihrem Talent nicht richtig wahrgenommen. Dies zeigt sich auch daran, dass ihr Vater meint, ihre Berufung zum Vorspiel bei der Nationalelf in ihrer Altersgruppe müsse doch ein Versehen sein. Nur widerwillig lässt er seine Tochter zu dem Spiel in den Süden des Landes reisen. Hier zeigt die Autorin, ohne moralisch zu sein, die immer noch vorherrschende Meinung über die Rolle von Frau und Mann.
Die dritte Ebene der Unterdrückung spielt im gesellschaftlich-historischen Kosmos von Norwegern und Samen. Die meisten Bewohner von Karasjok sind logischerweise Samen, doch sie müssen Norwegisch in der Schule lernen, da es die Amtssprache ist. Hier bricht der noch immer nicht völlig abgeklärte Konflikt zwischen den Ureinwohnern, den Samen, und den sog. Kolonisten, den Norwegern, immer wieder auf. In der Schule wird dem jungen Norwegischlehrer aus dem Süden vorgeworfen, dass seine Vorfahren diese nördlichsten Gebiete kolonisiert und die Samen unterdrückt hätten. Am Beispiel des Nobelpreisträgers Knut Hamsun, der für seinen Roman "Segen der Erde" ausgezeichnet worden ist, fordern die Schüler ihren Lehrer auf, dessen Rolle während der Hitler-Diktatur klarzustellen und sein Verhalten den Samen gegenüber zu erklären. Hier gerät der Lehrer ins Stottern. Obwohl seit etwa 30 Jahren die Samen in Karasjok ihr samisches Parlamentsgebäude haben. Hier können sie demokratisch ihre kulturellen Rechte wahrnehmen. Und wer schon mal vor diesem Parlamentsgebäude gestanden hat, wird die Architektur nicht mehr vergessen: Den Halbkreis mit den beiden Koten-Hälften an ihrem jeweiligen Ende, symbolisiert den Fortschritt und das kulturelle Erbe der Samen, von denen noch viele ihr Nomaden-Leben führen.
Kathrine Nedrejord, die auch Hausdramatikerin am Osloer Nationaltheater ist, verwebt hier drei Ebenen der Unterdrückung in ihrem Roman. Wenn auch die Vergewaltigung ein internationales Problem und Verbrechen darstellt, sollten die beiden anderen Ebenen ebenfalls nicht vergessen werden. Ihre Sprache ist knapp, lässt Raum für viele Zwischentöne und spricht nicht nur Jugendliche an. Auch Erwachsene kann ihr Schreibstil faszinieren. Somit gewinnt sie für ihre wichtige Thematik ein sicher wünschenswert großes Publikum.
Ihr Roman ist ein wichtiges Plädoyer für Individualität und Selbstbestimmung.
Die beiden Übersetzer haben für diesen Text eine einfühlsame, nahezu wortidentische Übertragung gefunden.






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Diese Rezension wurde verfasst von Walter Mirbeth; Landesstelle: Bayern.
Veröffentlicht am 14.09.2022