Vielleicht sogar wir alle

Autor*in
Murail, Marie-Claude
ISBN
978-3-596-85444-8
Übersetzer*in
Scheffel, Tobias
Ori. Sprache
Französisch
Illustrator*in
Seitenanzahl
355355
Verlag
FISCHER Schatzinsel
Gattung
Ort
Frankfurt
Jahr
2012
Lesealter
Einsatzmöglichkeiten
Preis
12,99 €
Bewertung
eingeschränkt empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Eine Musterfamilie: Der Erstklässler bekommt seinen ersten Freund, die 14-Jährige beginnt aus ihrer Manga-Welt aufzutauchen, die Mutter ist eine vorbildliche Vorschullehrerin, die routiniert ist, aber in der Routine nicht verharrt, und der Vater erst: blendend aussehend hat er überall Erfolg, bis eine Fremdfirma seinen Betrieb übernimmt. Er setzt sich vergeblich für seine Mitarbeiter ein und beginnt dann ein neues erfolgreiches Berufsleben.

Beurteilungstext

Murail hat ein amüsantes, leicht lesbares Buch geschrieben, das ungemein genau auf die Lebenssituation der Einzelnen eingeht, sehr engagiert, sehr kenntnisreich. Da stellt sich dann die Frage, für wen es eigentlich geschrieben ist. Für Kinder ist zuviel von den Eltern die Rede, von den Kleinen ist zuviel die Rede für Jugendliche. Für pädagogisch Interessierte sind alle Erzählstränge lesenswert und spannend, denn ausnahmslos alle Protagonisten durchlaufen mehr oder weniger wichtige Krisen, aus denen sie gewachsen hervorgehen.
Die einzelnen Erzählstränge sind märchenhaft ideal: Amüsant sind die Kinderwahrheiten, -lebensweisheiten, -reaktionen und wie sie überhaupt lernen. Dazu zählt auch die Kindergruppe der Mutter, in der ein 3-Jähriger auftaut. Anfangs spricht er fast gar nicht, am Ende erzählt er seiner Lehrerin alles Mögliche. Der Sohn leidet darunter zu klein zu sein, aber das verschwindet immer mehr hinter seinem Erkenntniszuwachs. Typisch ist, dass seine Mutter ihn für hochbegabt und verkannt ansieht - aber auch das verwischt sich zunehmend. Die Mama ist eine selten qualifizierte Lehrerin und Erzieherin und vor der Folie ihrer etwas unbedarften Hilfserzieherin wird deutlich, dass sie Rituale in der Erziehung als wichtig ansieht, ebenso aber weiß, dass diese Rituale nicht erstarren dürfen. Damit hat die Hilfskraft dann aber erhebliche Schwierigkeiten.
Der Vater ist Filialleiter einer Spedition, er hat mehrere Sozialfälle eingestellt, die von der Übernahmefirma gekündigt werden sollen. Sein Einsatz für sie ist rein idealistisch - und wohl einigermaßen romantisch. Sein Gegner ist aber auch dermaßen unsympathisch, dass die Handlung als beinahe realistisch erscheint.
Und am Ende steht die Utopie, dass alle sich nach einem Leben in einer Jurte sehnen, der Vater importiert sie direkt aus der Mongolei und reduziert die Wünsche seiner Kinder auf die Sommerferien, in denen sie in einer wohnen wollen.
Die Auseinandersetzungen im Betrieb sind besonders lesenswert, erinnern mich aber letztlich an die sozialromantischen Utopien der 70er Jahre bzw. DDR-Romane des sozialistischen Realismus.
cjh12.05

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Diese Rezension wurde verfasst von cjh.
Veröffentlicht am 01.01.2010