Vater und Tochter

Autor*in
Wit, de
ISBN
978-3-7725-2697-8
Übersetzer*in
Esterl, Arnica
Ori. Sprache
Holländisch/Niederlä
Illustrator*in
Seitenanzahl
32
Verlag
Freies Geistesleben
Gattung
BilderbuchSachliteratur
Ort
Stuttgart
Jahr
2015
Lesealter
6-7 Jahre8-9 Jahre10-11 Jahre12-13 Jahre14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
15,90 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Abschied, Schmerz, Freundschaft, Liebe, eigene Kinder, Abschied - Der Deich ist geblieben, aber das Wasser ist verschwunden ... Wo Wasser war, wächst nun Schilf ... Etwas hat sich gewandelt.

Beurteilungstext

Die Thematisierung des Sterbens und des Todes ist für Bilderbücher zum Glück kein Tabu mehr. Längst wird bereits schon Kleinkindern zugetraut, mit dieser Frage in ästhetischer Form konfrontiert zu werden, weil sie sich ja unvermeidlich – mal früher, mal später – auch im Alltag aufdrängt: Wie ist das Sterben? Und was kommt danach? Die Frage nach dem Sein (das Leben) lässt sich nur beantworten, wenn man es in ein Verhältnis zu dem setzt, was nicht ist (›das Nichts‹), hat der Philosoph Martin Heidegger einmal formuliert. Insofern ist die Frage nach dem Tod immer auch eine Frage nach dem Leben, weil wir ja nicht wissen können, ob nach dem Tod etwas oder nichts ist. Die Thematisierung des Todes ist ex negativo eine Reflexion über des Sinns des Lebens. Denn am Ende geht es allen Menschen mehr oder weniger gleich: Die Angst vor dem Sterben ist um so größer, je mehr man das Gefühl hat, diesen Sinn im Laufe des eigenen Lebens nicht erkannt zu haben, ihm nicht gerecht geworden zu sein, etwas verpasst zu haben. Vorausgesetzt sie wollen diese Angst lindern, bewegen sich literarische und ästhetische Auseinandersetzungen zu diesem Thema in einem Spannungsfeld; hier das mehr oder weniger tröstliche Versprechen auf ein Leben nach dem Tode, dort die Unvermeidlichkeit des Endes, des Nichts. Auch die letztere Antwort kann tröstlich sein, wenn man sie – früh genug, und nicht erst am Lebensabend – wieder auf das Leben bezieht.
Beide Antwortmöglichkeiten sind legitim, und manchmal verbinden sie sich auch auf eine eigensinnige Weise. Wie in der Bilderbuchadaption des oscarprämierten Kurz-Animationsfilms VATER UND TOCHTER des niederländischen Zeichners und Filmemachers Michael Dudok de Wit. Es handelt von einem Mädchen, das ihren Vater zum Strand begleitet. Er fährt mit dem Ruderboot aufs Meer hinaus. Die Tochter wartet, doch er kommt nicht wieder. Die Zeit vergeht, und das Leben nimmt seinen ›gewöhnlichen‹ Verlauf: das Mädchen wird zur Frau, sie verliebt sich, bekommt selbst Kinder. Sie wird älter, und auch ihre Kinder sind einmal erwachsen. Manchmal kommt sie zu der Stelle zurück, an der sich der Vater von ihr verabschiedete. Selbst als sie ein schon sehr hohes Alter erreicht hat …
Das Bilderbuch VATER UND TOCHTER verwischt die Grenzen von Poesie und Erzählung; es verfügt zwar über ein zentrales, einleitendes Ereignis (der Verlust des Vaters) und folgt auch der narrativen Logik der Tilgung des Ereignisses. Aber das passiert so poetisch, dass man tatsächlich von einem »Bildgedicht« sprechen kann, wie im Klappentext des Buches. Auf der Ebene der Erzähltechnik verbinden sich eine enorme Zeitraffung (auf sehr wenigen Seiten lässt sich ein beinahe ganzes Menschenleben nachvollziehen) mit der Redundanz des dargestellten Raumes (die Dünen, der Strand, das Meer). Es gibt zwar ein Leben der Tochter außerhalb dieses Raumes, und es scheint ein sehr erfülltes Leben gewesen zu sein, doch diese Räume kann der Leser/Betrachter nicht betreten. Die Geschichte hat daher trotz ihres hohen Erzähltempos etwas ungewöhnlich zeitloses, weil die (erzählte) Zeit nur als die oberflächliche Veränderung des ewig Gleichen inszeniert wird. Es überwiegt ein nicht-linearisches, zyklisches Zeitverständnis, wie man es eben aus der Poesie kennt. Zudem laden die überwiegend sepiafarbenen, höchst stimmungsvollen Zeichnungen de Wits den Betrachter eher zum Weilen im Bild ein, als dass sie ihn animieren, dem Fortgang der Geschichte schleunigst zu folgen. Vorsicht Spoiler!: Egal, ob man nun die Begegnung von Vater und Tochter am Ende der Geschichte als deren Wiederbegegnung im ewigen Leben oder als gemeinsames Aufgehen im ›Nichts‹ interpretieren möchte, hat das Buch etwas sehr tröstliches. So schmerzhaft die Trennung des Kindes von seinem Vater war, so verband sich dessen Erinnerung an ihn (und den traurigen Abschied) mit einer Hinwendung zum Leben, einem scheinbar sehr erfüllten und reichhaltigem. Auch wenn – oder gerade weil – es im ewigen Kreislauf von Leben und Tod notwendig selbst einmal zu Ende gehen muss.

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Diese Rezension wurde verfasst von mz; Landesstelle: Sachsen-Anhalt.
Veröffentlicht am 16.03.2016