Unter der Totenkopfflagge

Autor*in
, Schowe
ISBN
978-3-596-80914-1
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
442
Verlag
FISCHER Schatzinsel
Gattung
Ort
Frankfurt
Jahr
2009
Lesealter
12-13 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
8,95 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Der 13-jährige Paul wird im Jahre 1718 regelrecht geshanghaied. Erst wird er wochenlang auf einem Schiff gefesselt gefangen gehalten, dann einem Piratenschiff übergeben. Es muss viel Geld geflossen sein und mit seinem Amulett zusammen hängen. Einzig der kleine Schiffsjunge steht ihm bei, bald bekommt Paul heraus, dass er ein Mädchen ist. In einer abenteuerlichen Fahrt kommen die beiden auf eine Insel, durchleben reichlich gefährliche Abenteuer, erleben aber ein Happy End.

Beurteilungstext

Schowe versteht sein Handwerk. Am Ende der Seeräuberzeit, als die Briten konzentriert Jagd auf alle Piraten auf den Weltmeeren machten, erlebt sein jugendlicher Held noch einmal so etwas wie die Abenteuer aus Stevensons Schatzinsel. Aber die Raffinesse Schowes lässt das vergessen.
Die Handlung:
Erst in den letzten Jahren wird es Mode, dass Mädchen beschrieben werden, die als Schiffsjunge auf einem der Seelenverkäufer anheuern. Hier ist es ein etwas ängstliches Mädchen (wenn Paul beteiligt ist), das durchaus seinen Jungen stehen kann, immerhin bekommt keiner der raubeinigen Seebären etwas davon mit, außer Paul natürlich und seinem großen Freund, dem schwarzen Deus ex Machina dieser Erzählung, und allerdings den beiden großen Feinden Pauls, die sie zum Schluss auch noch entführen.
Das Happy End ist nur natürlich. Die große Sehnsucht des pubertären Paul nach seinem leiblichen Vater, den er erst am Schluss des Buches das erste Mal sieht, ist das eigentliche Thema. Erst nach und nach treten Hinweise auf, die er anfangs noch nicht versteht, dann aber wird es immer deutlicher: sein Vater war ein gefürchteter Pirat. So ein Mensch kann natürlich in einer Zeit, in der Piratentum gnadenlos verfolgt wurde, nicht einfach nach London zurückkehren. Folglich wird er ganz am Ende doch noch erschossen. Aber seine Hinterlassenschaft ermöglicht dem jungen Paar ein Überleben in der Heimat mindestens für einige Zeit.
Dazwischen liegen die Abenteuer auf See:
Die Maritima:
Das Leben an Bord nimmt einen großen Teil des Romans ein. Spannende Konstellationen sorgen für ebenso atemloses Lesen wie die rhythmische Beschreibung der Seefahrt. Elegische Phasen, die in denen Paul sich an das Schiff, die Leute an Bord, das Leben zur See gewöhnt, wechseln sich ab mit dynamischen Phasen, die der Konflikte, der Stürme, der verfolgenden Piratenjäger, der Seeschlacht mit einem Handelsschiff. Deutlich erkennt man, dass der Autor genauer Bescheid weiß als einer, der nur Angelesenes abschreibt: wie man einen Dreimaster segelt, was er aushält, wo seine Grenzen sind, wo seine Endlichkeit ist. Leider ist die Zeichnung des Dreimasters im Anhang wenig hilfreich: man sieht zwar, um was für ein Schiff es sich handelt, sieht was vorn, was hinten, was oben, was unten ist. Aber die Handlungsteile, in denen Paul in den Wanten herumklettert, sind nicht in die Zeichnung aufgenommen. Auch wäre es hilfreich gewesen, irgendwo einzutragen, wie hoch denn eigentlich die Schiffsaufbauten sind. Im Text heißt es immerhin, dass von der Rah aus das Deck ganz klein erscheint. Aber wo findert der unerfahrene Leser eine Rah und in welcher Höhe über dem Deck?.
Die Autorität eines Kapitäns war mindestens seinerzeit eine fragile Angelegenheit, das ist in der Person des Kapitäns Hardy meisterhaft beschrieben. Gerüche der See, des Schiffes, der Menschen an Bord nehmen eine große Rolle ein, ebenso wie die Geräusche, die unverkennbar sind und ein Eigenleben führen.
Die Schilderung des obligatorischen Sturms, der ein halbes Wrack entlässt und Paul und seine Maggie, den angeblichen Schiffsjungen, nur knapp überleben lässt, nimmt nur an die 25 Seiten ein. Aber ich möchte den kennen lernen, der nicht mindestens diese 25 Seiten in einem Rutsch durchliest.
Spannung:
Spannung zu erzeugen ist ein Handwerk, das der Autor aus dem ff versteht. Ich schrieb schon von seiner Rhythmik. Spannung erfordert dieses rhythmische Beschreiben von Ruhe und Aktion, die steigert sich gegenseitig und erfordert zudem einen Spannungsbogen, der weiter reicht als bis zum Ende der momentanen Handlung. Diesen Bogen schafft Schowe durch die alles überlagernde Annäherung des Jungen an seinen Vater, von dem er anfangs nichts ahnt und der dann immer konkreter wird, in jeder Handlungsphase in irgendeiner Weise auftaucht.
Brutalität:
Die Brutalität eines klassischen Piraten ist kaum zu überbieten, dennoch wird das von einer romantischen Sicht überlagert, die unser Paul anfangs völlig teilt. Erst seine Maggie öffnet ihm die Augen, nein, er wehrt sich noch dagegen, aber sie öffnet seine Sinne, so dass er, als es dann zu einer brutalen Schlacht kommt, deren Wahnsinn sofort begreift. Nichts bleibt mehr von den Heldentaten eines Piraten bestehen, es geht nur ums Schlachten und um Gold.
Realität:
Von Gerüchen und Geräuschen schrieb ich schon, der Gestank an Bord muss infernalisch gewesen sein, Schowe beschreibt es so. Die Lebensbedingungen im London des 18. Jahrhunderts sind bekannt, Schowe schreibt da nichts Neues, Neues aber vielleicht für den jungen Leser dieses Romans. Da bleibt nichts übrig von der Romantik der früheren Zeiten. Und der offene Schluss erlaubt nicht das HappyEnd eines TV-Films unserer Tage.
Charaktere:
Wie es sich gehört, gibt es gute und schlechte Menschen, bei den Hauptpersonen ist das eindeutig. Der vielfache Lebensretter der beiden Jungen ist Obadiah, ein muskelbepackter Held, schwarz und edel, immer im rechten Augenblick handgreiflich zur Stelle. Natürlich ist er Pirat, dennoch gutherzig, und also kann er nicht mit nach London, bleibt in der Karibik, was ihm sicherlich auch etliche Diskriminierungen wegen seiner Hautfarbe erspart, aber das junge Paar hätte ihm auch sonst keine rechte Alternative bieten können.
Fazit:
Ein überaus spannender, differenzierter Piratenroman, der einige Fragen zur Zeitgeschichte eröffnet und für alle Leser ein Gewinn ist.

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Diese Rezension wurde verfasst von cjh.
Veröffentlicht am 01.01.2010