Unter dem Kirschblütenbaum

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Teaser

Ein reicher bösartiger Großgrundbesitzer kann sich von nichts trennen, nicht einmal von einem Kirschkern, den er versehentlich verschluckt hatte und der jedem anderen großes Ungemach bereitet hätte. Sein Geiz lässt ihn keinen Arzt aufsuchen und so kann der Kirschbaum ungehindert wachsen - auf der Glatze des alten Mannes.

Beurteilungstext

O-Hanami, das Kirschblütenfest, ist eines der schönsten Feste in Japan. Täglich berichten die Nachrichtensender vom Voranschreiten der Kirschblüte von Süd nach Nord, so dass jeder - Schulen, Universitäten, Familien, ja ganze Firmenbelegschaften - sein eigenes Frühlingsfest rechtzeitig planen und feiern kann. “Hana” bedeutet Blume und “mi” sehen, so zieht man mit Essen und Getränken in die Gärten und Parks, lagert unter den Kirschbäumen und erfreut sich am Anblick der rosafarbenen Blütenwolken.
Der jähzornige, raffgierige Grundherr hat keine Freunde, er sitzt allein auf seiner Decke und während er gleichzeitig Kirschen isst und vor sich hinschimpft, verschluckt er den Kirschkern. Von da an kippt die Geschichte ins Surreale.
Der Erzählton ändert sich nicht. Ganz sachlich wird berichtet, wie ihm ein Kirschbaum aus dem Kopf wächst, während er weiterhin seinen Geschäften des Geldeintreibens nachgeht, bis er sich beim O-Hanami des folgenden Jahres im Jähzorn diesen Kirschbaum ausreißt. Geizig, wie er ist, ist er sogar zufrieden, dass sich im See, der nun auf seinem Kopf entstanden ist, Karpfen tummeln, die er also nicht mehr zu kaufen braucht.
Allerdings können die Dorfkinder der Versuchung nun absolut nicht mehr widerstehen und beginnen die Karpfen zu angeln. Das löst dann die endgültige Katastrophe aus, die das Dorf nicht nur von seinem Tyrannen befreit, sondern zum friedlichsten und schönsten Fleckchen Erde in ganz Japan macht.
Allen Say (geb. 1937 in Yokohama), der mit 16 Jahren nach Amerika kam und ein berühmter Fotograf und Bilderbuchillustrator wurde, erinnert sich mit zunehmenden Alter an die Märchen und Geschichten, mit denen er aufwuchs. Er möchte die traditionelle Erzählkunst bewahren. “Unter dem Kirschblütenbaum” gehört zu den “rakugo”, kurze Geschichten mit witzigen Pointen, wie sie früher den Zuhörern als eine Art Einstimmung für längere Erzählungen geboten wurden. Sie sind zeitlos, denn auch wenn sich die Lebensweise der Menschen ändert, ihre Charaktereigenschaften jedoch kaum. Und noch gibt es nicht nur das Kirschblütenfest, sondern auch Dörfer in versteckten Tälern und alte Bauernhäusern inmitten von Reisterrassen.
Die feingestrichelten schwarz-weiß Bilder des Buches zeigen die traditionelle Lebensweise bis ins kleinste Detail. Das Tatami-Zimmer mit den Schiebetüren (mit weißem Papier beklebte Holzfenster), in dem der Dorfherr auf seinem Futon schläft, die Muster auf den Yukatas (Sommerkimonos), und der europäische Betrachter staunt über die Landschaften und einen meterhohen Bambuswald. An den Menschenfeind schließlich erinnern nicht nur die Karpfen, die im Dorfteich ihre Kreise ziehen, sondern auch die auf den Wellen schwimmenden Strohsandalen.
Während Kinder die Botschaft unmittelbar verstehen, können auch Erwachsene, nicht nur Liebhaber bibliophiler Kostbarkeiten, ihren Spaß an dieser Geschichte haben.