Tsotsi

Autor*in
FUGARD, ATHOL
ISBN
978-3-257-23565-4
Übersetzer*in
Hansen, Kurt Heinrich
Ori. Sprache
Englisch
Illustrator*in
Seitenanzahl
336
Verlag
Diogenes
Gattung
Ort
Zürich
Jahr
2006
Lesealter
14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
9,90 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Tsotsi und seine Bande leben Anfang der 60er Jahre in den Slums einer südafrikanischen Stadt. Sie stehlen und morden ohne Gefühl, denn es geht nur ums Überleben. Als Tsotsi eines Nachts ein Baby aufgedrängt bekommt, will er für das Kind sorgen, doch Mitgefühl und Menschlichkeit bringen ungewollte Erinnerungen an die Oberfläche. Das neue Wissen um seine eigene Vergangenheit schmerzt, befähigt ihn aber, eine Amme für das Baby zu finden. Doch die Bulldozer der Weißen räumen weiter auf...

Beurteilungstext

“Tsotsi” wurde 2006 von Gavin Hood verfilmt und mit dem Oscar als “bester fremdsprachiger Film” ausgezeichnet. Ich möchte diesen Film nicht sehen. Die Erschütterung über ein menschliches Schicksal jenseits aller Vorstellungskraft überfordert fast schon in der Fantasie.
Und “unvorstellbar” ist das Schicksal dieses jungen Schwarzen und seiner Umgebung. Natürlich spielt die Geschichte bereits zur Zeit der südafrikanischen Apartheid in den 60er Jahren und die Bedingungen sind nicht mehr so. Wirklich nicht? Nirgends auf der Welt?
Das Prinzip eines völlig verkorksten Lebens, einer Jugend ohne Perspektive, durch reales Erleben entwöhnt von allem, was wir für menschlich wesentlich halten, gilt nach wie vor, in vielen Ländern Afrikas ebenso wie in einem großen Teil der übrigen Welt. Es gilt nach wie vor für die rechtlosen, unbeachteten, verachteten Verlierer einer übermächtigen Wirtschaft, eines ausufernden globalisierten Kampfes um Geld und Macht, der Menschen zunehmend als “Material” betrachtet und “verschleißt”.
Den Personen dieses Buches bleibt weder Zeit noch Energie für ein Menschsein, der animalische Kampf, den nächsten Moment zu überstehen, fordert ihre letzten Kräfte. Da ist kein Platz für Schwache, kein Platz für Liebe, kein Platz für Solidarität, jeder kämpft gegen jeden. Und der Feind des ständig überspannten Misstrauens ist Besinnung, Nachdenken über sein Tun und Erinnerung an bessere Tage.
Als sich Tsotsi, zunächst ungewollt, diesem Risiko aussetzt, krempelt sich sein Leben völlig um. Er findet in sich Reste von Menschlichkeit und Mitgefühl, einen Maßstab für Gut und Böse, den Wunsch nach der Begegnung mit Gott. Das macht ihn abhängig von seinen Mitmenschen, verwundbar und führt letzten Endes zur Katastrophe. Denn ein Happyend würde die Geschichte zerstören. Es gibt auch keines.
Fugard schreibt sein Buch mit expressionistischer Gewalt. Da wird blitzschnell zwischen den Zeiten gesprungen, zwischen Erzählebenen gewechselt, ein Bild von Tsotsis Vergangenheit beginnt sich erst nach zwei Dritteln des Buches zu formen. Unzusammenhängend erscheinende Denk- und Bildfetzen flackern auf, die Sprache kann erst ausufernd ziselieren, um im nächsten Moment wie mit einem Hackebeil zu modellieren. Das strengt an, wirkt aber eindringlich und überzeugend, stets stimmig zum jeweiligen Inhalt und der Person. Zeitweise beschleunigt sich der Ablauf bis zum Schwindelgefühl, um plötzlich zu retardieren. Der große Bogen aber hält stabil und entwickelt sich beängstigend und unterschwellig bedrohlich, um offen - für Tsotsi mit tragischem Ausgang - zu enden.
Kein einfaches Buch, keine “Unterhaltungslektüre”, aber ein realistisch harter Einblick in die - wohl für die meisten von uns - “andere Seite”. Und vor allem ein Buch, das noch lange nach der Lektüre beschäftigt, selbst zum Nachdenken über “die Verhältnisse” anregt und stumm Fragen nach unserer Verantwortung stellt. Denn “die Weißen” gibt es hier nur kurz aufleuchtend wie Luxusgüter in einem Schaufenster. Die Trennung , und das heißt ja “Apartheid”, hat funktioniert als Schutz der Privilegierten vor dem Zur-Kenntnis-nehmen.

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Diese Rezension wurde verfasst von bh.
Veröffentlicht am 01.01.2010