Tsai Kun-lin - Der Junge, der gerne las

Autor*in
Yu, Pei-yun
ISBN
978-3-907277-17-1
Übersetzer*in
Fiederling, Johannes
Ori. Sprache
Taiwanesisch
Illustrator*in
Zhou, Jian-xin
Seitenanzahl
168
Verlag
Baobab Books
Gattung
Buch (gebunden)Comic
Ort
Basel
Reihe
Tsai Kun-lin - Der Junge, der gerne las. Band 1
Jahr
2023
Lesealter
12-13 Jahre14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
BüchereiFreizeitlektüre
Preis
25,00 €
Bewertung
empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Eine ruhig erzählte Graphic Novel über die bewegte Kindheit und Jugend des Menschenrechtlers Tsai Kun-lin aus Taiwan. Sie bietet spannende Einblicke in die in Deutschland meist unbekannte wechselhafte und oft von Fremdherrschaft bestimmte Geschichte Taiwans. Anhand der Erlebnisse eines einzelnen Jungen wird diese für Jugendliche nachvollziehbar. Die Folgen von Fremdherrschaft und Diktatur für eine einzelne Familie werden einem ohne effektvolle Dramatik vor Augen geführt.

Beurteilungstext

Ein in Deutschland sozialisierter Jugendlicher fremdelt vermutlich zunächst mit einer Graphic Novel, deren Cover einen Rosaton ziert. Vielleicht hilft ihm die Information darüber hinweg, dass in Japan die Farbe Rosa u.a. für das Blut jung gefallener Krieger stehen soll und in China generell für Jugendlichkeit. Jedenfalls haben asiatische Männer oft kein Problem mit rosa Hemden. Die Graphic Novel mit dem rosa Cover zeichnet Kindheit und Jugend des Menschenrechtlers Tsai Kun-lin aus Taiwan nach. Als dieser geboren wurde, stand Taiwan unter japanischer Kolonialherrschaft. Das Bild auf dem Cover zeigt eine Szene aus Tsai Kun-lins Zeit an der Ersten Mittelschule Taichung, in der er auf seinen Einsatz in der Kaiserlichen Japanischen Armee im II. Weltkrieg vorbereitet wird. Er liegt im Gras, nachdem er aus dem Zug gesprungen war, mit dem er jeden Morgen zur Schule fahren muss. Über ihm sieht man die Silhouetten amerikanischer Kampfflugzeuge. Diese werden aus seiner Perspektive von Libellen überdeckt. Dieser zeichnerische Kunstgriff erinnert daran, dass in seiner Grundschulzeit seine Liebe zu Büchern dadurch geweckt wurde, dass ihm sein Schulfreund klar machte, dass er das japanische Kinderlied über „Rote Libellen“ gar nicht verstanden hatte. Deswegen hatte ihm der Sohn des Lehrers, sein Schulfreund, damals die Bücherei des Ortes gezeigt. Tsai Kun-lin entwickelt in der Folge einen Bildungshunger, der ihm schließlich zum Verhängnis wird. Nach der Niederlage Japans im II. Weltkrieg geht die Insel Taiwan an die Republik China über, in der aber bald ein Bürgerkrieg zwischen den nationalistischen Kuomintang und den Kommunisten tobt. Erstere verlieren. Die Führungselite der Kuomintang unter Chiang Kai-shek zieht sich nach Taiwan zurück. Tsai Kun-lin hat in dieser Übergangszeit kurzzeitig auf Anraten eines Lehrers an einem schulischen Lesezirkel teilgenommen, in dem Bücher linksgerichteter Autoren gelesen wurde. Kurze Zeit später verfolgen die neuen Machthaber willkürlich vermeintliche politische Gegner. Die Zeit des „Weißen Terrors“ beginnt. Auch Tsai Kun-lin wird verhaftet als er gerade knapp zwanzig Jahre alt ist, weil er die „falschen Bücher“ gelesen hat. Dies erklärt auch den zunächst befremdlichen Untertitel der Graphic Novel: Tsai Kun-lin, der Junge, der gerne las. Damit endet Band 1, der auf vier Bände angelegten Lebensgeschichte. Die Stärke der von Yu Pei-yun getexteten Graphic Novel liegt darin in klaren Bildern die Verstrickungen der kleinen persönlichen Erlebnisse des Protagonisten mit der wechselhaften Geschichte Taiwans zu erzählen. Die Autorin unterrichtet am Institut für Kinderliteratur an der Taitung National University. 2016 begegnete sie Tsai Kun-lin zum ersten Mal. Die Zeichnungen sind trotz der oft düsteren Ereignisse sehr hell, was zum Teil an den vielen freien Flächen liegt. Nachtszenen sind nicht tiefschwarz sondern werden von leichten Grautönen dominiert. Als einzige weitere Farbe hat der 1973 geborene Illustrator Zhou Jian-xin Rosa verwendet. Die Machtwechsel in Taiwan spiegeln sich auch im Wechsel der Herrschafts- und Alltagssprache wider. Ob Japanisch, Hochchinesich oder der taiwanesische Dialekt gesprochen wird, wird durch die unterschiedlichen Schriftfarben Schwarz, Grau und Rot verdeutlicht. Am Ende des Buches findet man eine hilfreiche Zeittafel der Ereignisse im Buch, eine Auflistung der wichtigsten Personennamen und eine knappe Zusammenfassung der Geschichte Taiwans. Das Buch entwickelt durch die Aneinanderreihung von zeitgeschichtlichen Ereignissen und persönlichen Erlebnissen Tsai Kun-lins keinen Spannungsbogen. Vielmehr muss man sich der Bedeutung der einzelnen Episoden für das Leben des Jugendlichen Tsai Kun-lin oft erst bewusstwerden. An einer Stelle bringt der jüngere Bruder Tsai Kun-lin Erdnüsse in die Mittelschule, wo dieser sie mit seinen Schulkameraden teilt. Das Thema des andauernden Hungers der Schüler wurde zuvor in den Bildern aber keineswegs ausgebreitet. Das Buch braucht also einen mitdenkenden, aufmerksamen Leser, der nicht auf oberflächliche Action aus ist. Lässt man sich auf die ruhige Erzählweise ein, erfährt man viel über die fremde, von vielen Umwälzungen geprägte Lebenswelt in Taiwan zwischen 1930 und 1950. Man darf auf die folgenden 3 Bände gespannt sein.

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Diese Rezension wurde verfasst von SD; Landesstelle: Sachsen-Anhalt.
Veröffentlicht am 05.08.2023