Tränen unter dem Granatapfelbaum

Autor*in
Altin, Vanessa
ISBN
978-3-86873-974-9
Übersetzer*in
Max, Claudia
Ori. Sprache
Englisch
Illustrator*in
Moorhouse, Faye
Seitenanzahl
288
Verlag
Knesebeck
Gattung
Ort
München
Jahr
2016
Lesealter
12-13 Jahre14-15 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Fachliteratur
Preis
14,95 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Die 13jährige Kurdin Dilvan lebt mit ihrer Familie im Norden Syriens in einem kleinen Dorf. An einem Oktobertag 2014 wird das Dorf vom IS angegriffen und ihre Mutter mit den kleinen Schwestern entführt und mit dem Tode bedroht. In ihrem Tagebuch, das sie auf Befehl von Rehana schreibt, erzählt sie von ihrem harmonischen Leben vor dem Krieg und hautnah wie sie zusammen mit den kurdischen Kämpferinnen der YPG ihre Familie retten kann

Beurteilungstext

Dilvans Welt bricht zusammen, als sie als einzige aus der Familie nach einem Angriff des IS auf das Dorf nur leicht verletzt zurückbleibt und von den Kämpferinnen der YPJ (Kurdish Womens Defence Unit), deren Anführerin Rehana ist, gerettet und in einen sicheren Hof gebracht wird. Ihr Vater und die älteren Brüder kämpfen schon lange gegen den IS und jetzt wurde ihre Mutter mit den kleinen Schwestern Hira und Elif entführt. So beginnt denn auch das Buch mit Dilvans erstem Eintrag in ihr Tagebuch damit, dass sie ihre größte Sorge formuliert: "Heute morgen wurde meine kleine Schwester geköpft. Oh nein, lass das nicht wahr sein. Ich bin nicht sicher." (S. 10) Dort bricht das Tagebuch zunächst ab, aber sie erzählt (in anderem Schrifttyp abgesetzt) weiter, wie sie diesen furchtbaren Morgen erlebt hat. Sie erzählt, was sie sah und fühlte: "Ich sah, was von meiner Familie noch übrig war, zusammengeschlagen, blutüberströmt und nun kurz davor, geköpft zu werden. Meine Welt begann zu wanken und mir zu entgleiten. Mir war eiskalt, trotzdem schwitzte ich, schrie lautlos. Ich hatte einen metallischen Geschmack im Mund..." (S. 12)
Ungewöhnlich und beeindruckend an diesem Jugendroman ist vor allem, dass im Unterschied zu den vielen jugendliterarischen Texten, die vom Krieg in Syrien, von Flucht und dem Verlust von Familie in mörderischen und kriegerischen Auseinandersetzungen und von den Schwierigkeiten des Ankommens in einem fernen Land erzählen, hier Jugendliche nicht nur Opfer und Leidende sind, sondern aktiv und kämpferisch für sich, ihre Familien und ihr Volk kämpfen. Mit großer Selbstverständlichkeit schildert die Autorin die jungen Frauen, die mit großem Mut, Klugheit, Erfahrungen und mit Waffengewalt gegen die Barbarei der IS-Männer, von ihnen verächtlich "Rattenmänner" genannt, kämpfen. Rehana, von Dilvan als Heldin bewundert und verehrt, ist eine solche Anführerin. Vielleicht gibt es sie so nicht im wirklichen Leben - aber sie steht als Symbol für den Kampf der Kurden gegen scheinbar übermächtige Feinde und gerade auch als Frau gegen all die Frauenverachtung und den Terrorismus der mordenden Männer des Islamischen Staates.
Altin arbeitet als Journalistin für britische Zeitungen, ist mit einem syrischen Kurden verheiratet und hat mit vielen jungen Geflüchteten in Flüchtlingslagern und auch dort Kämpfenden gesprochen. Darauf basiert die Geschichte, von ihr bewusst "faction" in Abgrenzung zur "fiction" genannt. Es ist in der Tat keine "leichte Kost" zu lesen, wie junge Mädchen wie Dilvan gezwungen sind mit der Waffe in der Hand zu kämpfen und eigenhändig zu töten - um sich selbst und ihre Familie zu retten. Aber das ist das Leben dieser Kinder und Jugendlichen, die nicht immer so einen "Schutzengel" wie Rehana haben, die fast immer noch einen Ausweg findet.
Der Granatapfelbaum (titelgebend und der wichtigste Schutzort für Dilvan - dort sitzt sie und versucht ihre Erlebnisse und ihre Gefühle schreibend zu verarbeiten) steht für das normale, das schöne Leben vor dem Krieg, wo sie wie alle Teenager zur Schule ging, herumsaß, mit den Geschwistern und Freundinnen redete und man sich zu gemeinsamem Essen der Köstlichkeiten der kurdischen Küche traf. Und jetzt ist es der Baum, unter dem sie bittere Tränen weint, aber auch Hoffnung schöpft durch die Menschen, mit denen sie verbunden ist.
In einem Gespräch mit dem Independent vom 7.3.2016 äußert Altin ihre Verärgerung darüber, dass vor ihrem Roman gewarnt wird, dass er in Buchhandlungen versteckt zwischen den Texten zum Holocaust wird, weil er angeblich eine "Zumutung" sei und Kinder bzw. Jugendliche nicht mit solchen Gewalttaten konfrontiert werden sollten. Ähnlich kann man dies auch bei einer Reihe von deutschen Rezensionen lesen, in denen betont wird, dass man "junge Leser damit nicht alleine lassen sollte" (z.B. SZ)
Ich kann mich diesen Warnungen nicht anschließen - selten habe ich ein Jugendbuch gelesen, dass so berührend und ehrlich, in angemessener Sprache und spannend davon erzählt, wie Gewalt und Tod ins Leben von Jugendlichen einbricht und man sich wehren kann und muss. Eigentlich fällt mir gerade nur der Roman "28 Tage lang" ein, in dem auch eine starke jugendliche "Heldin" mit Waffengewalt am Aufstand im Warschauer Ghetto teilnimmt.
Fazit: Tränen unter dem Granatapfelbaum ist eine packende und mitreißende Geschichte, die mit genauso viel Liebe und Hoffnung gefüllt ist, wie mit Tod und Gefahren. (frei übersetzt aus Artikel in: Independent, Artikel von Simon Usborne v. 7.3.16)

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Diese Rezension wurde verfasst von ASR.
Veröffentlicht am 01.04.2017

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