Tomaten mögen keinen Regen

Autor*in
Orlovskki, Sarah Michaela
ISBN
978-3-7022-4015-8
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
175
Verlag
Tyrolia
Gattung
Erzählung/Roman
Ort
Innsbruck
Jahr
2022
Lesealter
12-13 Jahre14-15 Jahre16-17 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
BüchereiKlassenlektüre
Preis
12,00 €
Bewertung
empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Der mehrfach preisgekrönte Roman aus dem Jahre 2013 ist ein Plädoyer für Inklusion im familiären und gesellschaftlichen Miteinander. Die Autorin hinterfragt das Anders sein von fünf Kindern und den Umgang mit ihnen. Alle haben ein gesundheitliches Handicap, keine Eltern mehr und leben im „Haus Bethlehem“ in der Obhut von Nonnen.

Beurteilungstext

Basierend auf der christlich durchdrungenen Handlung gibt es bereits Unterrichtsmaterialien für den Einsatz des Buches im Religions- bzw. Ethikunterricht. Dieser Jugendroman versteckt seine Botschaften in einer komplizierten Komposition. Für das jüngere Lesealter (empfohlen ab 12 Jahre) ist es auf Grund mehrerer miteinander verbundener und verquickter Handlungsstränge (Vor- und Rückblenden, Montagen, wechselnde Erzählperspektiven) schwierig, die Thematik zu durchdringen. Einen Leitfaden für das Lesen der frei erfundenen Personen und Handlung vermittelt die vorangestellte Widmung der Autorin. Armenische Jugendliche haben ihr geholfen zu verstehen, „wie es ist, wenn dich alle behandeln, als wärst du behindert. Nur weil deine Zunge oder deine Arme und Beine nicht denselben Bewegungsradius haben wie die der meisten Leute.“. Das trifft im Buch besonders auf die Hauptgestalt, den 13- jährigen Ich – Erzähler Hovanes zu. Sein „Knie knirscht“, er hat „einen schlechten Fuß“ und seit dem Verlust seiner Eltern das Reden eingestellt. Aus der subjektiven Sicht dieses introvertierten Jungen, der seine Erzählung über das Leben im Heim mit Gedanken und Gefühlen über sich selbst und andere untersetzt, kommt es zu einer sehr glaubwürdigen, lebendigen, emotional berührenden Darstellung der Konflikte. Im Fokus stehen dabei Einfügungen (typografisch halbfett gedruckt, offener Absatzabstand), die sich über das ganze Buch verteilen. Es sind zu entschlüsselnde Reflexionen über sein Verhältnis zum hyperaktiven Sirup, mit dem er sich das „Bubenzimmer“ teilt: „Ich habe mir so oft ein Leben ohne ihn gewünscht. Aber jetzt gerade wünsche ich mir nichts mehr, als dass er überlebt…“ (S. 5) Sirup liegt in unserem Zimmer, in seinem Zimmer – ich darf nicht mehr hinein. Ich habe dort keinen Platz mehr…mich braucht niemand.“ (S. 154). Aber das stimmt zum Glück nicht! Die Jugendlichen brauchen einander.
Man wird aus dem Blickwinkel dieses Jungen auch damit konfrontiert, wie Erwachsene mit dem Anders sein dieser Kinder zurechtkommen. Die Schwestern Miki und Rosa bemühen sich, ihnen eine familiär geprägte Heimstatt zu geben, ihre Selbständigkeit zu entwickeln, anknüpfend an die individuellen Stärken der Kinder, ihre besonderen Fähigkeiten zu befördern. Bezugnehmend auf den Titel „Tomaten mögen keinen Regen…“ kümmert sich Hovanes um den Gemüseanbau und die Betreuung der Kaninchen, unterstützt vom einfühlsamen italienischen Gastarbeiter Sandro. Als dieser abreist, verliert der Junge seine wichtigste Bezugsperson: „Ich will nicht mehr. Ich will hier weg.“. Eine weitere Parallelhandlung unter der Teilüberschrift ANA durchzieht alle 24 Kapitel des Romans. Die Journalistin ANA wird zur Bezugsperson für die sechsjährige mit Trisomie geborene Tiko. Am Anfang stehen routinemäßige Interviews für eine „Behinderten -Story“, belegt an Einzelschicksalen der Heimkinder. Im Ergebnis aber wird Anas Wohnung eine „Außenstelle vom Waisenhaus“, Ana wird eine „Feiertagsmutti“ für das liebenswerte Mädchen, das sie an Wochenenden beherbergt und betreut. Auch die anderen Mädchen sind hinsichtlich ihrer Einzelschicksale und Charaktere von der Autorin so gestaltet, dass man sich in sie hineinversetzen kann. Hervorzuheben ist, dass für die tragende Rolle des Ich – Erzählers ein sensibler Junge ausgewählt wurde, der seine Selbstzweifel besiegt. „Du bist echt eine Nummer, Hovanes“, meint Lucine. „Ich weiß gar nicht, was ich ohne dich tun würde“. Bahnt sich eine Liebesgeschichte an? Man sollte die Thematik des Buches nicht auf Schlagwörter wie Behinderung oder Außenseiter reduzieren. Es ist ein zukunftsoffener, problemorientierter Roman, der nicht nur Jugendliche, sondern auch Erwachsene zum Nachdenken anregt.

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Diese Rezension wurde verfasst von Kra; Landesstelle: Sachsen.
Veröffentlicht am 21.09.2022