Terror-Tantchen

Autor*in
Walliams, David
ISBN
978-3-499-21741-8
Übersetzer*in
Münch, Bettina
Ori. Sprache
Englisch
Illustrator*in
Ross, Tony
Seitenanzahl
416
Verlag
Rowohlt
Gattung
Fantastik
Ort
Reinbek
Jahr
2016
Lesealter
10-11 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
14,99 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Teaser

Lady Stella Saxby ist 12 Jahre alt, immer sehr nett zu allen und nach dem Unfalltod ihrer Eltern Alleinherrscherin über das Familienschloss Saxby Hall. Naja, das Letzte stimmt zumindest fast. Denn da ist dummerweise immer noch Tante Alberta, die wohl schrecklichste Tante der Welt. Sie hat nur ein Ziel: Saxby Hall muss ihr gehören! Also holt das Terror-Tantchen zum Vernichtungsschlag aus.

Beurteilungstext

Eben das scheint auch der Leitspruch für das Buch im Ganzen zu sein: Denn "nett" ist „Terror-Tanchen“ eigentlich in keinem Moment. David Walliams lässt mit seiner titelgebenden Tante Alberta eine brutale, hinterhältige, grobschlächtige und schlicht gemeine Antiheldin auf die Leser los, die, einer Dampfwalze gleich, jede Entwicklung der Geschichte zum Guten hin erst einmal plattmacht. Statt Stella nach dem Unfall aufopferungsvoll zu pflegen (wie sie der Öffentlichkeit weismacht), setzt sie alles daran,an die Besitzurkunde von Saxby Hall zu gelangen und Stella dazu zu bringen, einer Erbschaftsänderung zuzustimmen. Stella wird von ihrer Tante im Ganzkörperverband gefesselt. Sie kann sich befreien, aber Albertas Riesenuhu Wagner fängt sie wieder ein. Alberta sperrt sie ins Verlies. Stella entkommt durch die Kamine und hat erneut das Tantchen auf den Fersen, welches sie im Schornstein verbrennen will – so geht es Schlag auf Schlag. Schließlich schreckt Tante Alberta auch vor Folter nicht zurück und spannt ihre Nichte auf die Streckbank…
Ja, "Terror-Tantchen" ist ein rabiates, oft ekliges und ziemlich fieses Buch. Gleichzeitig ist es jedoch auch ein Buch über Freundschaft, Hilfsbereitschaft und über die Macht der Fantasie. Stella ist die Identifikationsfigur und ein Lichtblick in der von Alberta verdunkelten Welt: Sie wächst am Widerstand gegen ihre Tante, sie gewinnt an Selbstvertrauen und lernt, mit der Trauer um ihre Eltern umzugehen. In Ruß, dem Geist eines jungen armen Kaminkehrers, findet sie nicht nur einen Verbündeten, sondern auch zum ersten Mal einen echten Freund. Durch seine Freundschaft erkennt Stella, dass es viel wichtigere Sachen gibt als Herkunft und Status.
Letztendlich vermittelt Walliams seinen Lesern klassische Botschaften: Lass dich nicht unterkriegen, kämpf für deine Ziele. Auch die Grundthemen des Buches sind universelle: Freundschaft und Mut, der Kampf gegen das Böse, Erwachsen werden ohne dabei die kindliche Fantasie zu verlieren…
All das sind aus der Kinderliteratur vielfach bekannte und dafür typische Themen (ohne ihnen damit ihre Wichtigkeit absprechen zu wollen). Dass "Terror-Tantchen" trotzdem aus dem aktuellen Kinderliteraturangebot heraussticht, ist der gekonnten Kombination der oben beschriebenen "dunklen" Aspekte mit wunderbar blödsinnigem Humor zu verdanken. Dieser kommt vor allem in der Figurenausgestaltung sowie der allgegenwärtigen Situationskomik zum Tragen: Dann, wenn Tante Albertas Androhungen von "So richtig E.R.G.E.R. …" durch ihre Buchstabierschwäche ins Lächerliche abdriften, wenn Verfolgungsjagden misslingen, weil der verwirrte Butler Gibbon mit einem Tablett voll gekochter Socken auf Toast dazwischen stolpert; wenn…
"Terror-Tantchen" macht beim Lesen auch so viel Spaß, weil es in den zahlreichen Actionszenen richtig knallt und scheppert. Schwankend zwischen schmerzlichem Zusammenzucken und Schadenfreude können hier Kinder (und ebenso erwachsene Leser) die Grenzüberschreitungen des Buches genießen, die einem selbst im realen Leben kaum erlaubt sind: Stella kann nur gegen ihre Tante ankommen, weil sie selbst gemein ist und ihr schmerzhafte Streiche spielt (zum Beispiel ihre Pfeife mit Sprengstoff stopfen). Mit seinem anarchischen Witz ähnelt "Terror-Tantchen" in diesen Momenten beliebten Cartoons – besonders lustig und irgendwie befriedigend ist es gerade dann, wenn die Bösen mal richtig eins auf die Mütze bekommen. Überhaupt braucht das Buch den Vergleich mit Filmen nicht zu scheuen. Zwei Gestaltungsmittel erschaffen den filmischen Charakter: Erstens der besondere bildhafte Schreibstil Walliams und sein Verfahren, mit verschiedenen Schriftarten und -größen verschiedene Geräusche und Lautstärke auch ins Schriftbild einzuflechten. An vielen Stellen herrscht im Buch einfach unheimlich viel K R A C H!!!
Zweitens ist da die offensichtlich sehr gut funktionierende Zusammenarbeit mit Illustrator Tony Ross, der zahlreiche schwarz-weiße, comichaft-karikierende Panels beisteuert. Bildfolgen wie in Zeitlupe (von der mit Mullbinden kämpfenden Stella), Zooms und auch über den eigentlichen Inhalt hinaus ausgearbeitete Zeichnungen (der Stammbaum der Saxbys zeigt Charakterköpfe und Moden mehrerer Epochen) machen das Buch zum visuellen Erlebnis. Walliams´ und Ross´ Herangehensweise kommt den Konsumgewohnheiten der von Film und Fernsehen geprägten Kinder sehr entgegen. Und durch ein Text-Bildverhältnis von annähernd 1 zu 1 finden sich Jüngere und ungeübte Leser ebenso gut zurecht. Es lohnt sich also, für Leseförderung oder Klassenlektüre aufs "Terror-Tantchen" zurückzugreifen – die Actionkomödie in Buchform ist nämlich auch mal was für die Jungs.
Abschließend bleibt noch anzuraten, dass man es möglichst nicht bei einmaligen Lesen belassen sollte, denn das Buch bietet genug Material für eine zweite oder sogar dritte Runde. Walliams und Ross haben so viele Ideen, dass diese alle gar nicht in die eigentliche Geschichte passen. Also bauen sie immer wieder Exkurse ein; sowohl bildliche (zum Beispiel Albertas makabre Sammlung ausgestopfter Eulen in Kapitel 24) als auch schriftliche – in welchem Kinderbuch gibt es sonst schon Fußnoten? Dazu noch so schön blödsinnige wie die von Oddmund Oddmund, dem Besitzer des fettesten Uhu der Welt …

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Veröffentlicht am 22.09.2016

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