Südseejahre

Autor*in
Stevenson, Fanny
ISBN
978-3-86648-152-7
Übersetzer*in
Deprijck, Lucien
Ori. Sprache
Englisch
Illustrator*in
Seitenanzahl
400
Verlag
Mare
Gattung
Biografie
Ort
Hamburg
Jahr
2011
Lesealter
14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Bücherei
Preis
34,00 €
Bewertung
empfehlenswert

Teaser

"Unser 12. Hochzeitstag. Das ist unglaublich. Ebenso unglaublich, dass wir vor zwei Jahren hierher kamen, um im Busch zu leben", notiert Fanny Stevenson, die zehn Jahre ältere Ehefrau des weltberühmten Schriftstellers, am 19. Mai 1892 in ihrem erstmals auf Deutsch erschienenem Tagebuch. Auf der Inselgruppe Samoa im Südostpazifik hatte das Paar ein Klima gefunden, das dem an Tuberkulose erkrankten Robert Louis in seinen letzten Jahren ein erträgliches Leben ermöglichte.

Beurteilungstext

Fanny Stevensons Tagebuch, das nun erstmals auf Deutsch erscheint, gibt Einblick in ein längst verloren gegangenes Pionierdasein jenseits der westlichen Zivilisation, in dem sich die Stevensons – ähnlich wie bereits Gaugin oder Rimbaud vor und nach ihnen – zunehmend zu Anwälten der einheimischen Bevölkerung machten. Bisher war allein R.L.Stevensons Bericht der „Südseejahre“ auf Deutsch erschienen – ein schmales Bändchen von gerade einmal 80 Seiten, das kaum tiefere Einblicke in die Begebenheiten der Südseeflüchtlinge um die Jahrhundertwende zu geben vermochte.
Das neu erschienene Tagebuch Fannys dagegen befriedigt gleich zwei (Lese-) Bedürfnisse mit einer Klappe: Erstens zeichnet es das Portrait einer geistreichen, kühnen und emanzipierten Frau, die in ihrer Verletzlichkeit, ihren Ängsten und in ihrer Schattenexistenz hinter Robert Louis tadellos bestehen kann. Zweitens geben die voyeuristisch-psychologischen Tagebucheinträge detailliert Auskunft über das Leben in der Südsee. Ergänzt durch Auszüge aus Briefen Robert Louis Stevensons an einen Freund, sind Fannys Tagebucheinträge ein vielschichtiges Zeugnis einer ungewöhnlichen Ehe und eines beinahe märchenhaft anmutenden Lebens in einem paradiesähnlichen Umfeld.
Im März 1880 hatte Fanny – damals noch Vandegrift mit Namen – in San Francisco einen Todgeweihten geheiratet: Robert Louis Stevenson, erfolgloser Schriftsteller, zehn Jahre jünger als sie, schwer an Lungentuberkulose erkrankt. Aufgabe der frischgebackenen Mrs. Stevenson war es nicht zuletzt, ihren Mann zu pflegen und seine Krankheit zu mildern. Und das notfalls auch am Ende der Welt - in diesem Fall: nahe Apia, einem kleinen Ort auf Upolu, einer der Samoa-Inseln, östlich der Fidschi Inseln. Im Jahre 1890 siedelte das Paar von San Francisco aus über. Sie, eine moderne und gebildete Frau mit eigenen künstlerischen Ambitionen, schrieb in Vailima, wie der Stevenson-Wohnsitz genannt wurde, Tagebuch. Er, der mittlerweile weltweit berühmte Autor, schrieb lieber (ungleich literarischer) Briefe, die Fannys Südsee-Tagebuch schon bei seiner ersten Puplikation 1956 ergänzten wie hier.
Samoa unterstand damals der gemeinsamen Regierung des Deutschen Kaiserreichs, Englands und den USA. Die Großmächte favorisieren unterschiedliche Häuptlinge, die ihre jeweiligen Belange auf den Inseln vertreten sollten. R.L. Stevenson, in Samoa nur „Tusitala" - „Geschichtenerzähler“, genannt, versuchte zu vermitteln; erwartungsgemäß recht erfolglos. Je mehr Zeit er der Politik und Diplomatie witmete, desto mehr lernte er sie zu verabscheuen. In Hugo Pratts Comicabenteuer um Corto Malteses „Südseeballade“ sind diese Ereignisse detailliert geschildert. Das Tagebuch Fannys und die Briefe Stevensons waren eine seiner Quellen. Am Ende konnten sowohl Robert Louis als auch Fanny die Belange der westlichen Kolonialherren nicht mehr vertreten. In melancholischer Wehmut übernahmen sie allein die Position der Urbevölkerung – ohne jeden bleibenden Erfolg.
Während sich in den Jahren auf Samoa für Robert Louis nichts an seiner Bestimmung zum Künstler, Erzähler und Intellektuellen für die westliche Welt ändern sollte, vollzieht sich für Fanny eine Wandlung. Sie geht in dem einfachen, praktischen und doch paradiesähnlichen Leben in der Südssee immer mehr auf. So schreibt sie nicht ohne ironische Lakonie: "Mitten in der Nacht erhob sich Louis, machte Licht und begann, Gedichte zu schreiben. Doch ich sorgte mich nur um den Mais." Fannys Humor überdeckt den wachsenden und grundsätzlichen Konflikt des Ehepaars so wenig wie die Farbe, mit der Teile des Tagebuchs später unlesbar gemacht werden sollten – und im Original dem normalen Auge noch heute Passagen wie diese verdeckt: "Ich bin sehr niedergeschlagen, denn meine Eitelkeit liegt blutend danieder wie ein frisch gefällter Baum. Louis sagte mir, ich sei keine Künstlerin, sondern die geborene Bäuerin. Dabei dachte ich oft selbst, dies sei das glücklichste Leben und nicht das für die Kritiker."
Heute erahnen wir, dass sie wahrscheinlich recht hatte, und die Entfernung vom „natürlichen Leben“ hat uns stets mehr Leid als Glück gebracht. Doch der Weg zurück ist für immer verschüttet – allein Literatur wie diese kann uns daran erinnern, dass es einmal tatsächlich möglich war.

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Diese Rezension wurde verfasst von OWA; Landesstelle: Sachsen-Anhalt.
Veröffentlicht am 12.12.2016