Staying was the hardest part

Autor*in
Dogan, Rabia
ISBN
978-3-551-58534-9
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
384
Verlag
Carlsen
Gattung
Erzählung/RomanTaschenbuch
Ort
Hamburg
Reihe
Hardest Part - Trilogie
Jahr
2023
Lesealter
16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
BüchereiFreizeitlektüre
Preis
14,00 €
Bewertung
eingeschränkt empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Seit mehr als vier Jahren spricht die 21-jährige Evren nicht mehr. Auslösend dafür war das plötzliche Verschwinden ihres älteren Bruders Onur. Das Leben in ihrer türkischen Familie erfährt dadurch heftige Veränderungen. Evren kapselt sich zunehmend ab; ihr Wunsch, ein Medizinstudium zu beginnen, ist hinfällig geworden. Dann trifft sie auf den stets verständnisvollen Assistenzarzt Talhah. Evren fühlt tiefe Zuneigung zu ihm. Aber wird er sie aus ihrer Isolation herausholen können?

Beurteilungstext

Rabia Doğan hat ihren Roman den im Mittelmeer ertrunkenen Flüchtlingen sowie der türkischen Aktivistin Semra Ertan gewidmet, die 1982 sich aus Protest gegen den deutschen Rassismus selbst verbrannte. Zudem verweist sie im Anhang auf "die neun migrantisierten Menschen, die 2020 Opfer eines rassistischen Anschlags in Hanau" wurden. Wenn die Autorin ihren Roman dazu angedacht hat, auf die mitunter unerträgliche Situation von Migranten in Deutschland hinzuweisen, so ist ihr dies jedoch allenfalls ansatzweise gelungen. Rassismus ist zweifellos ein dringendes Thema. Und es entspricht gewiss derzeitiger Realität, dass türkische Einwanderer oft in engeren Familienstrukturen und unter prekären, beengten Verhältnissen leben müssen, so wie dies im Roman bei Evrens Familie der Fall ist. Aber etwa zu kleine, kaum noch bezahlbare Wohnungen sind ganz besonders in Großstädten wie Berlin, dem Handlungsort des Romans, keineswegs ein lediglich Eingewanderte betreffendes Problem; denn Gleiches gilt durchaus auch für viele Deutsche.
Tatsächlich verblasst eine entsprechende Thematik, die auf in Deutschland unbestreitbar zu erlebende rassistische Verhaltensweisen deutet, im Buch weitestgehend hinter der absolut im Vordergrund stehenden, sehr persönlichen psychosomatischen Problematik und der sich anbahnenden Lovestory der Ich-Erzählerin und Protagonistin Evren. Ja, sie hat viele „typische“ Situationen als Einwandererkind erleben müssen. Aber ihr weitaus stärkstes Trauma ist offensichtlich das gänzlich spurlose Verschwinden und ein möglicher Tod ihres Bruders. Letzteres löst bei ihr einen ausgeprägten Mutismus aus: Sie spricht mit niemandem mehr, kommuniziert nur per Handy-Nachrichten. Aber dann trifft die „Eisprinzessin“ (wie ihre stets abgearbeitete Mutter sie einmal nennt) auf den „Märchenprinzen“ Talhah, einen überaus strebsamen Assistenzarzt an der Berliner Charité, der selbst als Kind aus Syrien geflohen ist. Anders als Evren hat er jedoch alle Anstrengungen unternommen, einen exzellenten Schulabschluss und ein ebenso gutes Studium hinzulegen. Er wird Evren zur verlässlichen Stütze; eine allmählich zwischen beiden wachsende Liebesbeziehung bahnt sich an. Irgendwann beginnt Evren sogar mit ihm zu sprechen. Ein erster Durchbruch ist erzielt. Und dann steht nach fünf Jahren absoluter Funkstille ihr Bruder Onur wieder vor der Tür. Das Wiedersehen gestaltet sich so ganz anders als erwartet. Aber natürlich gibt es ein Happy End in dieser so unendlich gefühlsintensiven Slow-Burn-Romanze.
Gewiss mag sich manche Leserin (Leser dürfte es bei diesem Sujet wohl eher selten geben) in der einen oder anderen geschilderten Situation wiederfinden. Mutismus, also ein komplettes Verstummen bei völlig intaktem Sprachapparat, kommt glücklicherweise nur äußerst selten vor. Sich mit einer betroffenen Hauptfigur zu identifizieren, deren Leben von Abkapselung und viel Selbstmitleid bestimmt ist, wäre allerdings nur schwer vorstellbar. Deutlich realer erscheint da die Rückkehr des Bruders: Sie löst zwar überschäumende Freude bei den Eltern aus, bei Evren jedoch auch ziemlich viel Hass, da sie sich durchaus zu Recht um fünf Jahre ihres Lebens betrogen fühlt und nur schwer verzeihen kann, dass Onur sich nicht ein einziges Mal gemeldet hat.
Der Roman setzt auf ganz viel Gefühl, ist also als Lektüre für ausgeprägte Romantiker*innen ab 16 Jahren geeignet, die dergleichen gehörig dick Aufgetragenes lieben: Evrens und Talhahs schier endlose Selbstreflexionen, die zumeist simplen Psychotipps, die „Slow Burn“-Längen bis zum mehrfach gestörten, dann endlich doch noch erfolgreichen ersten Kussversuch – und schließlich auch den harten Bruch kurz vor dem letztlich befreiend harmonischen Ende des Geschehens.

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Diese Rezension wurde verfasst von Gerd Klingeberg; Landesstelle: Rheinland-Pfalz.
Veröffentlicht am 14.10.2023