So wie ich will. Mein Leben zwischen Moschee und Minirock

Autor*in
Akbas, Melda
ISBN
978-3-570-30809-7
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
237
Verlag
Gattung
Ort
München
Jahr
2012
Lesealter
14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
7,99 €
Bewertung
empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Das Buch bietet einen authentischen Blick "hinter die Kulissen" einer türkischen Familie in Deutschland, geschildert aus der Sicht einer engagierten jungen Frau, die trotz aller Hindernisse ihren Weg geht.

Beurteilungstext

"Seit ich mit dem Leben außerhalb unserer Familie konfrontiert bin, bewege ich mich […] in zwei unterschiedlichen Welten." (Akbas 2012, S. 91) Mit diesen Worten bringt die 18-jährige Deutsch-Türkin Melda Akbas aus Berlin ihren alltäglichen Spagat zwischen den Erwartungen ihrer Eltern und den Vorstellungen ihrer Mitschüler und Freunde auf den Punkt. Das Buch bietet einen authentischen Blick "hinter die Kulissen" einer türkischen Familie in Deutschland, geschildert aus der Sicht einer engagierten jungen Frau, die trotz aller Hindernisse ihren Weg geht.

Staatsangehörigkeit, Integration, Segregation, Identitätskonflikte und ein ungezügelter Freiheitsdrang - das sind nur einige der vielen Themen, die in Melda Akbas' autobiographischen Schilderungen angesprochen werden. Auf 237 Seiten taucht der Leser ein in Meldas Welt, in der sie sich stets neu positionieren muss: Kopftuch - ja oder nein? Fasten - ja oder nein? Sex vor der Ehe - ja oder nein? Die Positionen ihrer Umwelt zu diesen Themen nimmt die 18-Jährige dabei als sehr konträr wahr: "Zu Hause pochten Anne und Baba auf die alten Werte und Traditionen, […] in der Schule versuchten die Lehrer, einen weltoffenen, westlich geprägten Menschen aus mir zu machen." (Akbas 2012, S. 91) Pointiert zeigt sich diese Auffassung auch im Untertitel des Buches: Mein Leben zwischen Moschee und Minirock. Ihr Fazit stellt die junge Autorin dabei im eigentlichen Titel gleich voran: So wie ich will!
In acht Kapiteln (je ca. 30 Seiten lang), berichtet die Ich-Erzählerin in alltagsnaher Sprache aus ihrem Leben. Die Überschriften entsprechen dabei ihren persönlichen Leitsätzen, mit denen sie sich in schweren Momenten Mut macht, z.B. "Vertraue dir selbst", bieten aber keine inhaltliche Orientierung; die Einteilung der Kapitel wirkt willkürlich.
Sprachlich anschaulich beschreibt Melda, die sich selbst als "aus der Art geschlagen" und sogar als "Schummeltürkin" bezeichnet, vor allem ihren unstillbaren Drang nach Freiheit und Unabhängigkeit, dem sie vor allem durch ihr starkes Engagement in diversen Gremien und Schülervertretungen nachzugehen versucht. Gerade ihr Unverständnis gegenüber der Bereitschaft vieler ihrer türkischen Mitschülerinnen, sich willenlos den Forderungen ihrer Familien und ihrer Religion unterzuordnen, macht deutlich, dass eine gemeinsame Herkunft nicht per se für gleiche Ansichten steht. Mit klaren Worten fordert die junge Frau mehr gesellschaftliches Engagement von ihren Landsleuten und den Mut, eine eigene Meinung zu haben und diese zu vertreten. Ein Stück weit ist sie dabei selbst erschrocken, wie schwer es selbst ihr fällt, andere Migranten mit ihren Appellen zu erreichen und stellt fest, dass sich ihre Position inzwischen zum Teil sehr von der vieler anderer Deutsch-Türken unterscheidet: "Ich bin selbst ein Migrantenkind und weiß nicht, wovon ich spreche, wenn ich über Migrantenkinder rede? Das geht gar nicht!" (ebd., S. 148).
Und auch an anderen Stellen wird Meldas "Dazugehörigkeits-Dilemma" deutlich: "Für Deutsche bin ich eine Türkin, für Türken eher eine Deutsche. […] Nichts Richtiges" (ebd., S. 152), schreibt sie und unterscheidet doch stets zwischen "uns" und "den Deutschen". Ironisch betrachtet sie Klischees wie die typische türkische Großfamilie und die Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis in der Einhaltung islamischer Grundregeln. So selbstbewusst, wie sie sich auch an vielen Stellen des Buches gibt, so ist es aber doch vor allem auch das Eingestehen ihrer Schwächen (z.B. wenn sie ihre Überforderung und Überlastung mit der Menge ihrer schulischen und außerschulischen Pflichten beschreibt), was ihre Schilderungen glaubhaft wirken lässt.
Meldas Offenheit und Authentizität in ihren Ausführungen sind beeindruckend, stoßen aber hin und wieder auch an ihre Grenzen. Beispielsweise zum Thema der Auslegung des Korans zu politischen Zwecken sagt sie: " Dieses Thema ist mir zu heikel." (ebd., S. 169) und belässt es dabei. Auch an anderen Stellen entkräftet sie ihre zuvor selbstbewusst vorgetragenen Standpunkte zum Teil durch Einschübe wie "[Bedenkt,] ich bin erst achtzehn!" (ebd., S. 234) o.ä., was schade ist.
Zusammenfassend lässt sich festhalten: Das Buch bietet einen ungeschönten Blick auf Themen, die wohl für alle Jugendlichen mehr oder weniger stark zum Tragen kommen, wie z.B. die erste Liebe, und erlaubt zudem deren Betrachtung aus einer multikulturellen Perspektive. Ob der Leser dabei selbst einen Migrationshintergrund vorweisen kann oder nicht, ist für den Reiz der Handlung unerheblich. Meldas Geschichte kann helfen, einen offeneren Umgang der Menschen unterschiedlicher Herkunft miteinander zu fördern und bietet durch viele interessante Einblicke und Informationen eine wesentliche Grundlage für Toleranz.

Erwägt man einen Einsatz des Buches im Unterricht, ist zu beachten, dass durch Meldas zum Teil sehr deutliche Positionierungen möglicherweise ein Konfliktpotential in Klassen mit einem hohen Anteil an Schülern mit einem Migrationshintergrund entstehen kann. Dies soll nicht heißen, dass das Buch in einem solchen Fall nicht gelesen werden soll, aber das Ziel sollte eine konstruktive Auseinandersetzung mit angesprochenen Themen wie arrangierte Ehen, Sex vor der Ehe, Kontrolle durch Eltern, Unterordnung in vorgegebene Rollenbilder und die Regeln des Islams sein. Interessant wäre ein Vergleich von Meldas Erlebnissen und Wahrnehmungen mit weiteren autobiographischen Erzählungen anderer Jugendlicher mit Migrationshintergrund.

Aus meiner Sicht ist das Buch empfehlenswert, da es vielen Jugendlichen - mit oder ohne Migrationshintergrund - Mut machen wird, sich selbst treu zu bleiben und ihren eigenen Weg zu gehen.

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Diese Rezension wurde verfasst von chä.
Veröffentlicht am 01.01.2010