Salz im Haar

Autor*in
AVI,
ISBN
978-3-551-35474-7
Übersetzer*in
Pesch, Josef
Ori. Sprache
Englisch
Illustrator*in
Seitenanzahl
236
Verlag
Carlsen
Gattung
Ort
Hamburg
Jahr
2007
Lesealter
12-13 Jahre14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Bücherei
Preis
5,95 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

1832 reist die 13-jährige Charlotte von England nach Amerika, um zu ihrer Familie zurückzukehren. Gerüchte sorgen dafür, dass keine der Begleitfamilien an Bord ist, sie also alleine reist. Die Segelbrigg braucht zwei Monate für die Fahrt, die das Leben der Charlotte verändern werden. Aus dem verwöhnten Mädchen aus “gutem Hause” wird buchstäblich ein Schiffsjunge, der edelmütige Kapitän entpuppt sich als gewalttätiger Despot. Es entsteht ein Krimi und Abenteuerroman.

Beurteilungstext

Fast exakt die Hälfte des Buches braucht die Heldin, um zu kapieren, was läuft - der Leser ist schneller informiert. Charlotte himmelt ihren Vater an und ist deswegen auch fest davon überzeugt, dass der Kapitän des Schiffes genauso gut, gerecht und weise ist wie Papa. Der Leser ahnt, dass von vornherein etwas nicht stimmen kann: Wer schickt seine halbwüchsige Tochter schon ohne Begleitung auf die weite und immer etwas ungewisse Reise von England nach USA. Heute ist das noch so. Und wie muss das erst 1832 gewesen sein!?
Aber das Mädchen ist von einer seltenen Sturheit und Beharrlichkeit. Und das ist sie so konsequent, dass man dem Autor bedingungslos auf seinem Wege folgt. Denn alles auf diesem Schiff ist stimmig: Die Fassade des Kapitäns zerbricht bald, nur das Mädchen klammert sich an das Bild seiner Welt, es muss einfach so sein. Hochmütig, geradezu unglaublich arrogant und zickig benimmt sich Charlotte gegenüber der Mannschaft, die sich immer mürrischer und abweisender verhält. Dass sie denunziert, ist ihr wohl klar, nicht aber, dass der Kapitän sie dafür instrumentalisiert. Sie sieht das eher auf der Ebene des Petzens. Und derlei Mädchen petzen eben gern.
Dann aber kommt die Katastrophe: Dieses unreflektierte Petzen endet jäh in einem Showdown vor der versammelten Mannschaft mit dem Tod zweier Besatzungsmitglieder. Und Charlotte ist ebenso schuld daran wie der jähzornige, gewalttätige Kapitän. Sie bricht mit ihm und macht ihn sich zum Todfeind.
Sie geht nicht nur so weit, ihn mit der Peitsche zu schlagen, sondern erzwingt sich die Aufnahme in die Mannschaft als Schiffsjunge.
Der Autor kennt sich in der Seefahrt aus: Wie Charlotte ihre Mutprobe vor der Mannschaft von Raubeinen, den 130 Fuß hohen Mast hinaufzuklettern, besteht, ist ein Meisterstück der maritimen Literatur - ärgerlich finde ich die hier zu korrekte Übersetzung der Höhenangabe in Fuß. Der Übersetzer hätte hier gut daran getan, von “über 40 Metern” zu sprechen - die Wirkung dieser Höhe, dass man das Schiff nur noch ganz klein unter sich sieht, dass die kleinste Schwankung des Decks sich hier oben in meterweitem Hin- und Herschwingen auswirkt - beschreibt die Ich-Erzählerin schon eindrucksvoll, aber was sagt einem Castrop-Rauxeler Jungen oder Mädchen diese Fußangabe? Auch dass die Webeleinen in einem Abstand von 16 Zoll gespannt sind, die man mit jedem Tritt hoch steigt, wieso sagt er da nicht über 50 cm? Die kann jeder sofort nachvollziehen, 16 Zoll sind für jeden Binnenländer eine Zahl ohne Bedeutung.
Der Segler durchquert einen Hurrican. Jede Zeile spannendste und kundige Seefahrtliteratur.
Aber auch die Handlung geht weiter: Während des Hurricans wird der Steuermann ermordet, und der Seefahrerroman wird zu einem Krimi: wer war der Mörder? Jeder verdächtigt jeden, jeder deckt seine Freunde, jeder könnte es gewesen sein. Wieder stellt sich heraus, dass der Kapitän souverän die Zügel in der Hand hält, Charlotte, die er des Mordes beschuldigt und deswegen zum Tode verurteilt, fühlt sich ihm hoffnungslos ausgeliefert, die Mannschaft ist ratlos. Nun aber wächst das junge Mädchen über sich selbst hinaus. Ist sie in den 14 Tagen, seit sie einfaches Mitglied der Mannschaft geworden ist, körperlich um Jahre reifer geworden, so wächst sie jetzt im Geiste. In einem Countdown geht der Kapitän über Bord und sie wird einstimmig zum Kapitän gewählt.
Bald darauf hält ihre bürgerliche Familie sie wieder in ihren Armen.
Die Rolle des Kapitäns zeigt die Schattenseite des Seerechts. Ist es auch sinnvoll, den Kapitän mit allen Hoheitsrechten auszustatten, so wird es fragwürdig, wenn der Kapitän den moralischen Ansprüchen dieses Amtes nicht genügt. Er wird - besonders in der beschriebenen Zeit - leicht zu dem wütenden Despoten, der nur noch seine eigenen Interessen sehen kann und seine Machtposition hemmungslos gegenüber den völlig rechtlosen Mitgliedern einer Mannschaft ausnutzt. Es ist abzusehen, dass Seegerichte, wenn sie seinerzeit überhaupt in Anspruch genommen wurden, immer auch Klassenjustiz waren.
Und jetzt beginnt das nächste Drama, auf den letzten 15 Seiten: Das anfängliche Gefühl, im Kapitän einen würdigen Ersatz für den Vater gefunden zu haben, bestätigt sich für die in den zwei Monaten Fahrt um Jahre gereifte Charlotte . Der Vater entspricht in seiner starren Haltung ganz dem Kapitän. Er liest ihr Tagebuch, hat nur Kritik an Rechtschreibung und Grammatik und verbrennt es. Es darf nie wieder darüber gesprochen werden. Über nichts. Charlotte wird isoliert. Keinerlei Kontakte.
So zieht sie wieder ihren “unnatürlichen” Matrosenanzug an und heuert auf der Seehawk an, das Schiff ist repariert, die Mannschaft ist noch die gleiche.

Auch wenn kaum ein Mädchen von heute mit Charlotte tauschen möchte, zweierlei hat AVI unvergleichlich mit diesem Seefahrerroman geschaffen: zum Einen einen spannenden Abenteuerroman, zum Anderen aber eine Geschichte über die Fragwürdigkeiten der Rollenverteilung in der damaligen und damit auch gleichzeitig in der unsrigen Welt und die Möglichkeiten, sich daraus zu befreien: Es gibt nicht Gutes, außer man tut es.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von cjh.
Veröffentlicht am 01.01.2010

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