Rabbit Boy. Die seltsame Verwandlung des Robert Kümmelmann

Autor*in
Biermann, Franziska
ISBN
978-3-423-76388-2
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Biermann, Franziska
Seitenanzahl
200
Verlag
dtv
Gattung
Erzählung/RomanFantastik
Ort
München
Jahr
2022
Lesealter
8-9 Jahre10-11 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
BüchereiFreizeitlektüre
Preis
14,00 €
Bewertung
empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Franziska Biermann erzählt wunderbar doppeldeutig einen Konflikt zwischen Neubau und Natur. Das Lesen macht Spaß, doch trägt der Konflikt?

Beurteilungstext

Robert, Freund Gino und Freundin Henriette besuchen die Hermann-Igel-Grundschule und haben als Dreierclique keinen einfachen Stand in der Klasse 5b. Sebastian, Brian und Hulk sind die (unangenehmen) Gegenspieler. Und dann gibt es noch den Direktor Petzold, der davon träumt, dass auf der Wiese neben der Schule eine neue Turnhalle entsteht. Und den Klassen- und Biologielehrer Dr. Kohl. Biermann setzt diese Figurengemengelage in ein fantastisches Szenario. Als Prolog wird – weiße Schrift auf schwarzem Grund – eine mystisch-religiöse Szene auf eben der Turnhallenwiese geschildert, in der die als ausgestorben geltende Kaninchenart Nuralagus Lux einen tapferen Helden heraufbeschwört. Durch einen Zufall wird das ausgerechnet Robert, der eines der Leuchthaare der Kaninchen verschluckt und sich in ein Riesenkaninchen verwandelt. Robert muss nun mit seinen beiden Mitschüler:innen den Bau der Turnhalle auf der Wiese der Kaninchen verhindern. Immer wieder wendet sich das Blatt: Der Direktor kann die fehlenden 100.000 € durch einen Sponsor (eine Putzfirma) bekommen, die die sauberste Schule auszeichnet. Natürlich sind (fast) alle Schüler:innen begeistert beim Putzen dabei. Die Sabotageakte von Robert und Co gelingen nur zum Teil. Als dann das Geld überreicht wird, gibt es eine Kettenreaktion, weil viele Akteure das Geld entwenden wollen; um den Bau zu verhindern, sich selbst zu bereichern oder das Geld auch für den Bau zu sichern. Höhepunkt ist die Feierlichkeit zum ersten Spatenstich, bei dem es schließlich Robert in aller Öffentlichkeit gelingt, den Bau der Turnhalle auf der Kaninchenwiese zu verhindern und als Lösung die Aufstockung der alten Turnhalle um ein zweites Turnhallengeschoss alle Beteiligten versöhnt.
Durch die Fokalisierung in der Geschichte sind wir als Lesende ganz auf Roberts Seite: Die Turnhalle darf nicht gebaut werden. Unklar bleibt, warum die Turnhalle gebaut werden sollte – eigentlich dient der Bau vor allem dem Ego des Schulleiters. Das ist schade, denn natürlich sind Konflikt in der Regel komplexer; Schulbau gegen Naturschutz abzuwägen ist sinnvoll; und es wäre schön gewesen, wenn hier die Notwendigkeit des Turnhallenbaus ernsthafter innerdiegetisch begründet worden wäre, um dem Kernkonflikt eine echte Spannung zu geben. Das ist schade, denn ansonsten ist dieses Buch wunderbar skurril!
Die Ködel der Kaninchen leuchten im Dunkeln, so auch Roberts Riesenködel; das bringt seinen Vater auf gute Geschäftsideen. Vieldeutige Sprachwitzeleien beleben den Text. Der Name der Kaninchenart lässt Lateiner kreativ werden: Nura Lagus: Die Schwiegertochter? Lux: Licht? Und die Verwandlung von Robert in ein Kaninchen sorgt in der Familie natürlich für Verwunderung und Verzweiflung, aber insgesamt wird Robert auch als Kaninchen gemocht und unterstützt. Seine sonst vielbeschäftigten Eltern nehmen sich nun Zeit für ihn und lassen sich ganz auf ihn ein. Das ist wunderbar. Und natürlich fragen sich bildungsbürgerliche Eltern und Deutschlehrer:innen sicherlich nach Korrespondenzen zu Kafkas „Verwandlung“. Kinder freuen sich wahrscheinlich eher an den Überraschungen für die anderen Kinder in der Schule und den verdutzten Schulleiter.
Begleitet wird der Text von stark miterzählenden Zeichnungen in Schwarz, Weiß und Orange, die von Franziska Biermann selbst kommen. Weitgehend nehmen sie Kernelemente der im Schrifttext erzählten Handlung auf, meist auch mit Sprechblasen oder Beschriftungen. Zum Teil gehen sie aber auch über den Schrifttext hinaus. So entsteht ein enges Zusammenspiel zwischen Schrifttext und Bild, das das Buch zu einem Gesamtkunstwerk macht.
Wäre der Kernkonflikt besser austariert, wäre das Buch wirklich so wunderbar, wie die anderen Bücher von Franziska Biermann. So, wie es ist, ist es sicherlich eine lustige Lektüre für Kinder am Übergang von der Grundschule zur weiterführenden Schule und es mag auch Kinder ansprechen, die nicht gern ganz so dicke Bücher lesen. Aber eine nachhaltige Tiefe bleibt trotz der anspruchsvollen Mehrfachadressierungen leider aus.

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Diese Rezension wurde verfasst von Christoph Jantzen; Landesstelle: Hamburg.
Veröffentlicht am 14.10.2023